
Touristen sind die anderen: Ein psychologischer Blick auf Reisende
Warum wir uns innerlich von "den Touristen" abgrenzen. Psychologin Barbara Horvatits-Ebner über das Selbstbild auf Reisen.
Im Hotelrestaurant auf Bali fragt ein Mann in Funktionskleidung, ob das Wasser hier „eh sauber“ sei. Neben ihm erklärt eine Frau mit Rucksack, dass sie die Insel „so richtig spüren“ wolle. Ihre Tochter fotografiert etwas, das aussieht wie ein Reiskorn, und postet es mit dem Hashtag #authentic. Sind wir wirklich so, wenn wir in der weiten Welt unterwegs sind? Nein, natürlich nicht, das sind die anderen – die Touristen. Wir – also Sie und ich – reisen natürlich anders. Auch wenn wir gerade in Massen vom Flieger am Urlaubsort ausgespuckt werden.
Ein Widerspruch? Nicht wirklich, erklärt die Reisepsychologin Barbara Horvatits-Ebner (reisepsycho.com): „Wir Menschen haben grundsätzlich die Tendenz, Dinge so zu tun oder zu bewerten, dass sie zu unserem Selbstbild passen und unseren Selbstwert stärken.“ Wer reist, zählt sich also nicht zur Spezies des gemeinen Touristen, sondern sieht sich selbst als besonders neugierig, gebildet und weltoffen. Diese Abgrenzung hat eine lange Geschichte. Schon im 19. Jahrhundert beklagten sich britische Adelige, dass jetzt auch der Pöbel unterwegs sei – gemeint war die bürgerliche Mittelschicht, die sich das durch die industrielle Revolution erstmals leisten konnte.
Auch heute will man Individualität zeigen – selbst wenn wir alle uns meist auf längst ausgetretenen Pfaden bewegen. „Viele wünschen sich ein authentisches Eintauchen in eine fremde Kultur“, so Horvatits-Ebner. „Und da stören dann etwa die eigenen Landsleute – obwohl man ja selbst einer von ihnen ist.“
Diese Ambivalenz zeigt sich noch stärker, wenn wir auf Reisen „typische Touristen“ aus dem eigenen Herkunftsland treffen. Reflexartig denkt man da: Nein, so bin ich nicht. „Niemand möchte Teil eines Problems sein“, erklärt die Reisepsychologin. „Wird etwa über Overtourism oder schlechtes Benehmen berichtet, versuchen wir, uns innerlich davon zu distanzieren.“ Ein psychologisch sinnvoller Vorgang. „Wir externalisieren das Negative und internalisieren das Positive. Die Menschenmassen am Hotspot? Das hat nichts mit uns zu tun. Doch die schönen Erlebnisse? Die machen wir zu einem Teil von uns.“
Denn wir – also Sie und ich – reisen. Wirklich. Anders.
Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.
Kommentare