coffee-drink and business

Revierverhalten: Warum wir immer denselben Sitzplatz bevorzugen

Sesselspiele beim Frühstück, beim Meeting oder im Restaurant: Wie das Gehirn uns beeinflusst

Ein Hotel, ein Frühstücksraum, ein Tisch am Buffet. Und ein Paar, das gestern schon dort saß, heute wieder und morgen sowieso. Es sind diese kleinen Rituale, die viel über Menschen verraten. Sie erzählen von unserem Bedürfnis nach Ordnung in einer Welt, auf die ja oft   kein Verlass mehr ist. Den ersten Kaffee am Tag stets am selben Ort zu genießen ergibt Sinn – Routine am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.     

Warum sich das so gut anfühlt, hat mit unserem Gehirn zu tun: Der Neurobiologe Henning Beck nennt es in seinem Buch „Irren ist nützlich“ (dtv) Energiespar-Organ, weil es so effizient wie möglich arbeiten will und deshalb gewohnte Wege bevorzugt. Also Tisch, Kaffee und Eier „wie immer, bitte!“. Denn wer die Dinge stets gleich macht, muss weniger entscheiden – und denken. Ist der Tisch unseres Paares dann aber  plötzlich besetzt, spielt sich ein kleines inneres Drama ab. 
 

Heute wissen wir, dass unser emotionales Alarmsystem, die Amygdala, bereits auf kleine Veränderungen reagieren kann. Sitzt da also plötzlich ein anderer auf „unserem“ Platz, kann das mehr als irritieren – man stelle sich vor, dass später auch noch „unsere geheime“ Badebucht okkupiert wird und „unser“ Lieblingsitaliener „unseren“ Ecktisch an andere Gäste vergibt! Vor allem, wenn man eh schon davor gestresst war, kommen  leicht Unbehagen und Unmut auf, die  Stimmung kippt. Das erinnert an die Sitzordnung regelmäßiger Meetings: Wer einem anderen den Platz „wegnimmt“, dringt gefühlt in dessen Territorium ein. Die Umweltpsychologie nennt das territorial behavior. Der Forscher Irwin Altman beschrieb in den 1970ern, wie Menschen in öffentlichen Räumen durch Gegenstände wie Taschen oder Jacken Ansprüche markieren. Die Königsdisziplin der perfiden Liegenbesetzung mit dem Handtuch gab es da noch gar nicht. 
 

Vielleicht liegt in dem ganzen Revierverhalten – vor allem, wenn man darauf verzichtet –  eine Chance verborgen. Wer sich mal woanders hinsetzt, sieht mitunter Dinge, die ihm zuvor völlig entgangen waren. Etwa eine neue Perspektive aufs Buffet – womöglich sogar auf das Leben.

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Annemarie Josef

Über Annemarie Josef

stv Chefredakteurin KURIER freizeit. Lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Gewinnerin des Hauptpreises/Print bei "Top Journalist Award Zlatna Penkala (Goldene Feder)" in Kroatien. Studium der Neueren Deutschen Literatur in München. Mein Motto: Das Leben bietet jede Woche neue Überraschungen.

Kommentare