Warum man trotz hoher Reisekosten und Flug-Chaos dem Fernweh nachgeben sollte

Nach zwei Jahren Corona-Beschränkungen ist die Sehnsucht nach Sonne, Strand und Meer groß. Sommerurlaub zwischen Teuerung, Flug-Chaos und Fernweh.

Von Simone Hoepke, Valerie Krb

Eines vorweg: Im Urlaub kann man sich auch nicht mehr so daneben benehmen, wie anno dazumal. Manche Ferienorte ziehen jetzt ganz andere Seiten auf. Ob das gut oder schlecht ist, liegt ganz in den Augen des Betrachters.

Drei Beispiele: Im spanischen Urlaubsort Vigo hat man genug von Badegästen, die selig grinsend ins Meer pinkeln. Ihnen droht der Badeort jetzt mit Strafen von 750 Euro, wobei noch nicht durchgesickert ist, wie die Kontrollen in der Praxis aussehen werden.

Beim Ballermann auf Mallorca hat man dagegen die Nase voll von halb nackten Gestalten an der Bar und führt einen Dresscode ein. Wer ohne Schuhe und Oberteil beim Bierkönig auftaucht, kann gleich wieder abrauschen.

Apropos tanken. An der Zapfsäule kann man derzeit im Rekordtempo Geld loswerden. Ein Umstand, der erfinderisch macht. In Griechenland panschen findige Tankstellenbetreiber Sprit. Und in Deutschland warnt der Autofahrerclub ADAC, Salatöl zu tanken. Das würde den Motoren gar nicht bekommen.

Alles in allem steht also ein spannender Reisesommer bevor. Auch, weil alle wegwollen, und das gleichzeitig. Chaos am Flughimmel und auf den Autobahnen inklusive. Warum weiß Mike Peters, Tourismusforscher an der Universität Innsbruck. „Die Österreicher reisen sehr gerne.“ Und weil sie das die vergangenen zwei Jahre pandemiebedingt kaum konnten, gilt es jetzt einiges nachzuholen.

Zahlen rund ums Reisen

1.550 Euro wollen die Österreicher heuer im Schnitt für ihren Sommerurlaub ausgeben. 2020 waren es noch 1.620 Euro.

30 Prozent des globalen Tourismus finden im Mittelmeerraum statt.

2 Minuten dauert der kürzeste Linienflug der Welt. Er geht von Westray nach Papa Westray innerhalb der schottischen Orkney-Inseln. 

15 Zentimeter schrumpft der Eiffelturm in Paris im Winter, weil sich das Eisen bei Kälte zusammenzieht.

9 Euro kostet das Sommer-Ticket für den Bahn- und Bus-Nahverkehr in Deutschland. 21 Millionen Tickets wurden bisher verkauft.

15 Prozent des globalen Tourismus finden im Mittelmeerraum statt.

4.000 Euro in Münzen werfen Touristen aus aller Welt pro Tag in den Trevi-Brunnen in Rom. Das Geld wird jeden Morgen von Mitarbeitern der Stadt herausgefischt.

30 Millionen Kreuzfahrtpassagiere wurden vor der Pandemie pro Jahr im Mittelmeer gezählt. Die Häfen bieten 400.000 privaten Jachten Platz.

577 Tausend Gästebetten hat Österreich offiziell in der Sommersaison. Tendenz leicht sinkend, weil vor allem private Pensionen zusperren.

7,16 Millionen Übernachtungen wurden im heurigen Mai in Österreich gezählt. Damit hat man fast das Vorkrisen-Niveau erreicht. 2019 waren es 7,5 Millionen.

Reisetrend Rache?

Den Trendbegriff „Revenge Travel“ hält Peters jedoch für irreführend. Es gehe den Menschen nicht darum, aus Rache am Virus zu reisen, sondern Versäumtes nachzuholen. „Dahinter steckt die Angst, Erlebnisse verpasst zu haben“, sagt er. Man denke an gestrichene Maturareisen oder Flitterwochen. Zudem sei Reisen ein Grundbedürfnis. „Beim Reisen entdecken wir uns selbst, es bedeutet Freiheit. Und gerade in Krisen brauchen wir es, um zu verarbeiten und zu vergessen.“

Daran wird auch die Teuerung nichts ändern, glaubt der Tourismusforscher. „Urlaub ist uns zu wichtig. Wir werden aber kürzer verreisen und Appartement statt Hotel buchen.“ Und auch die Klimakrise wirke sich nur zögerlich auf unser Reiseverhalten aus.

Wohin es die Österreicher zieht, hängt ganz davon ab, wen man fragt. Laut der Österreichischen Hoteliervereinigung wollen sechs von zehn Österreichern verreisen, 46 Prozent von ihnen im Inland. Daran haben auch Hotelzimmer-Preise, die im Schnitt zehn bis 15 Prozent über dem Vorjahresniveau liegen, nichts geändert. Viele Häuser sind ausgebucht. Genauso wie die Flugzeuge Richtung Mittelmeer. „Im Juli und August ist die Nachfrage für Griechenlandreisen so hoch wie nie zuvor“, sagt Helga Freund, Vorständin im Verkehrsbüro (Ruefa, Eurotours). Ebenfalls ganz oben auf der Hitliste stehen Spanien, Italien, Kroatien, die Türkei und Ägypten. Die Reisebüro-Mitarbeiter schwimmen derzeit in Arbeit. Einerseits, weil viele in unsicheren Zeiten lieber nicht auf eigene Faust verreisen und Tipps bei den Experten suchen. Andererseits, weil das Chaos am Flughimmel enormen Mehraufwand für die Reisebüros bedeutet, die sich mit Umbuchungen herumschlagen.

Die Preise sind aber nicht nur bei Unterkünften gestiegen. Wer das gewählte Urlaubsland individuell mit dem Mietauto bereisen will, muss heuer tiefer in die Tasche greifen. Laut dem Portal Check24 sind die Preise im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um 40 Prozent gestiegen. Zahlte man im August 2021 etwa auf Sizilien noch 570 Euro für eine Woche, sind es nun 885 Euro für einen Kleinwagen, rechnet der ÖAMTC vor. Ein Grund dafür sei, dass Mietwagenanbieter während der Corona-Reiseeinschränkungen ihre Flotten verkleinert hätten und nun die Nachfrage nicht bedienen könnten.

Peter Zellmann ist in Sachen „Reisefieber“-Trubel die Stimme der Spaßbremse. „Die größte Reisegruppe ist noch immer jene auf Balkonien“, stellt der Tourismus- und Freizeitforscher klar. „Bis in die Nuller-Jahre sind gerade einmal 50 Prozent der Österreicher regelmäßig auf Urlaub gefahren, bei Ausbruch der Pandemie waren es etwa zwei Drittel.“ Heuer wird wohl auch der eine oder andere Urlaubstraum platzen und Reiserouten von Übersee in die Region zwischen Sofambik und Balkonien umgeroutet.

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