Reise nach Rhythmen: Wir tanzen um die Welt!

Die Ballsaison macht Pause? Dann ist eben Hausmusik angesagt. Und mit den richtigen Rhythmen wirbeln wir praktisch um die ganze Welt.

Tanzen ist sexy, das wussten schon die Altvorderen seit Tausenden von Jahren, eine Studie der Uni Frankfurt macht es offiziell: Testosteron wird ausgeschüttet, dass es eine Freude ist, Endorphine bescheren Glücksgefühle und das Stress-Hormon Cortisol wird unterdrückt. Schöner als fliegen quasi.

Sieg der Sinnlichkeit

Am allermeisten trifft das, so heißt es, auf den Tango zu. Der vielleicht temperamentvollste aller Tänze nahm im Buenos Aires des 19. Jahrhunderts Gestalt an. Argentinien war damals das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die Hauptstadt eine wahre Boom-Town. Einwanderer aus der Karibik brachten Tänze wie die Habanera mit, aber auch Rhythmen, die ihre Wurzeln tief in der Tradition Westafrikas hatten. Dazu kamen französische, neapolitanische und natürlich spanisch-andalusische Einflüsse, und sogar Osteuropa, etwa durch die polnische Mazurka, hinterließ Spuren.

©EPA/DAVID FERNANDEZ

Geprägt haben den Tango dann um die vorletzte Jahrhundertwende Hafenarbeiter und Huren, Gauner und Glücksritter in den anrüchigen Vierteln Buenos Aires, der Tanz galt als vulgär – und faszinierte wahrscheinlich gerade deshalb auch die bessere Gesellschaft. Vor allem die in Paris, von wo aus er ab 1910 seinen Siegeszug um die Welt und natürlich auch zurück nach Argentinien antreten sollte.

Natürlich wird man es im eigenen Wohnzimmer nicht auf Anhieb mit der sinnlichen Eleganz der Profis aufnehmen können, aber die acht Grundschritte sind auch keine Hexerei – und gerade bei den typischen Wiegeschritten spürt man doch recht schnell etwas von der Magie des Tangos.

Sonne für Zuhause

Wir bleiben gleich da, wo’s warm ist, vielleicht sogar noch ein bissl heißer als in Argentinien. Beim Samba der brasilianischen Nachbarn ist der westafrikanische Einfluss noch deutlich spürbarer als beim Tango. Und das fährt dann schon richtig ab, außerdem ist er in der Form des jüngeren Disco Samba wirklich einfach zu erlernen, dazu braucht man nicht einmal einen Partner – oder eine Partnerin.

Spielarten des Samba gibt’s inzwischen beinahe so viele wie den sprichwörtlichen Sand am Meer, praktisch die gesamte Música Popular Brasileira, also die brasilianische Popmusik ist davon beeinflusst. Sowohl Bossa-Nova-Klassiker wie das „Girl from Ipanema“ als auch die sanft schwingenden Grooves von Seu Jorge und Lenine oder die knallharten Elektro-Favela-Beats der Tropkillaz und der fantastischen Karol Conka. Auch wenn deren Tempo oft gerade mal Zeit lässt, mit den Hüften zu wackeln. Hat auch was.

Sonne ins Wohnzimmer bringen natürlich auch die vielen Sounds und Tänze aus der Karibik, genauer gesagt aus Kuba. Salsa, Mambo, Rumba, Timba, Son Cubano, die bereits erwähnte Habanera – hier spielt es sich richtig ab. Ein guter Rum-Cocktail dazu, es können selbstverständlich auch zwei sein, und einer Party steht nichts mehr im Weg. Egal, ob mit den alten Jungs des Buena Vista Social Club oder den jungen Mädels der zu Recht hochgelobten Band Ibeyi.

Nochmal Strand, aber doch ganz anders. Ta-dam, ta-ta-ta-dam ... Jawoll, Alexis Sorbas, Kreta, Sirtaki! Dass Mikis Theodorakis den Tanz erst 1964 aus verschiedenen griechischen Volkstänzen abgeleitet hat, um den tänzerisch völlig unbegabten Anthony Quinn im Film eine „authentische“ kretische Tanzszene zu ermöglichen, er also keine allzu große Tradition hat, soll uns hier nicht weiter stören. Im Gegenteil. Wenn’s Mr. Quinn lernen konnte, können wir das auch!

Auf dem Highway ist die Hölle los

Wo fahren wir als Nächstes hin? Warum nicht in die USA, gerade jetzt! Und zwar in die Zeit endloser Highways und chromblitzender Autos, auf deren Frontsitzbänken locker ein Babyelefant zwischen Fahrer und Beifahrerin Platz gefunden hätte. Rock ’n’ Roll, und dann sogar noch ein bisschen weiter zurück Lindy Hop, Boogie-Woogie, Jive, Foxtrott.

Und auch hier sehen wir wieder starke Einflüsse afrikanischer Traditionen, die nicht nur die Musik der westlichen Welt maßgeblich beeinflusst hat, sondern eben auch ihre Tänze.

Tanz der Hoffnung

„Jerusalema“ – seit Monaten groovt ein Song durch sämtliche Kanäle, der es tatsächlich schafft, Menschen in diesen ungewöhnlichen Zeiten zu verbinden und zu motivieren. Der südafrikanische Producer Master KG hat ihn geschrieben, die unglaubliche Stimme seiner Landsfrau Nomcebo verleiht ihm eine fast magische Aura.

Aber es war das Tanz-Video einiger junger Angolaner, das den Song viral werden ließ. Die #JerusalemaChallenge war geboren und weltweit tanzen seither Menschen aller Altersgruppen und Schichten zu einem Song, der von Hoffnung erzählt. Und hochgradig ansteckend ist. Und DAS ist zur Abwechslung sogar richtig schön so.

Sound-Tipps

Argentinien
Den Tango gibt es mittlerweile in vielen Spielarten. Songs von legendären Größen wie Carlos Gardel oder Aníbal Troilo, dem Tango-Nuevo-Begründer Astor Piazzolla oder dem Gotan Project, das den Tango ins neue Jahrtausend und auf die Dancefloors der schicken Clubs geholt hat. Am heißesten: Bajofondo &  La Mala Rodríguez: „El Anden“

Brasilien
Ewiger Sommer, Sonne, Strand – und ganz viel Rhythmus, Brasilien punktet nicht nur im Fußball. Musikalisch immer wieder neu gibt der Samba in fast allen Lebenslagen den Ton an. Egal, ob traditionell oder als Bossa Nova, runderneuert als Pagode-Samba, Brazil-Pop – und sogar im härtesten Baile-Funk, den man finden kann

Kuba
Die Karibik-Insel gilt als unerschöpfliche Quelle für Latin-Grooves. Salsa, Mambo, Rumba, Son Cubano – alles von hier. Und seit der Wiederentdeckung durch Ry Cooder in den 1990ern ist der Hype ungebrochen. Ausgerechnet der Klassiker „Bésame Mucho“ war ursprünglich zwar ein spanischer Bolero, wurde aber auch bald „karibisiert“.

Griechenland
Sind wir mit dem Sirtaki einer Schummelei aufgesessen? Einem Prank? Ja und nein. Für „Alexis Sorbas“ musste ein Tanz gefunden werden, den auch der tänzerisch nicht sonderlich begabte Anthony Quinn rasch lernen konnte. Der Choreograf nahm also Elemente eines kretischen Syrtos (Volkstanz) und des traditionellen Hasapiko aus Konstantinopel – und erschuf einen Tanz, den heute Touristen und Griechen gleichermaßen gerne tanzen.

USA
An Amerika  denkt man in erster Linie nicht unbedingt als „Tanz-Nation“. Wieso eigentlich? Von Rock ’n’ Roll über Jive und Lindy Hop bis zum Foxtrott und dem Charleston, aber auch dem klassischen „Wolle wickeln“-Disco-Tanz hat doch einiges hier angefangen. Ein tänzerischer Zwischenstopp ist also auf jeden Fall ergiebig.

Südafrika 
Musikalisch ist das Land unzertrennlich mit der großen Miriam Makeba verbunden, auch wenn sie für einen großen Teil ihres Lebens ihre Heimat nicht besuchen durfte. Heute ist die Musik so divers wie in anderen Metropolen weltweit, der aktuelle Hit „Jerusalema“ etwa verbindet Electronic-House mit nigerianischen Afrobeat-Elementen.

 

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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