Norwegen: Unterwegs mit dem Hurtigruten-Postschiff
Glaubt man „Lonely Planet“, ist es die schönste Seereise der Welt: eine Kreuzfahrt in den Norden Europas.
Überblick
ca. 5,4 Millionen
Oslo
Mai bis September
Norwegische Krone (NOK)
aktueller Kurs
von Karl Riffert
Die MS Polarlys der norwegischen Reederei Hurtigruten pflügt mit 15 Knoten nordwärts, vorbei an einem Bilderbuch-Leuchtturm auf einer kleinen, unbewohnten Insel. Polarlicht (Polarlys) ist ein guter Name für ein robustes Schiff, das sich winters wie sommers und auch bei schweren Winterstürmen bis zum Nordkap und weiter wagt. Aber heute ist der Himmel blau und die See so ruhig wie ein Badeteich.
Es geht 2.300 Kilometer entlang der vielleicht schönsten Küste der Welt – und wieder retour. Die Eiszeit hat Norwegen sein einzigartiges Gesicht gegeben: Mehr als hundert schroffe Buchten und Sunde tragen das salzige Meerwasser tief ins Land hinein und sorgen in Kombination mit rund eintausend Bergen für eine spektakuläre Küstenlandschaft in einem der schönsten Länder der Erde. Norwegen ist fast viermal so groß wie Österreich, hat aber nur 5,2 Millionen Einwohner, wovon ein großer Teil im Süden, im Ballungsraum zwischen Oslo und Bergen lebt. Im übervölkerten Europa ist das dünn besiedelte Norwegen so etwas wie ein Königreich der Natur mit schier endlosen Wäldern, in denen das moderne Leben keinerlei Bedeutung hat.
Gut möglich also, dass dort wirklich Trolle leben, wie jedes norwegische Kind weiß. Trolle sind Zauberwesen, die nur nachts ihr Unwesen treiben. Es gibt große und kleine, böse und lustige und alle zusammen können zwei Dinge nicht ausstehen: Sonnenlicht und Ärger. Trolle können nämlich vor Wut platzen und wenn sie der Sonnenschein erwischt, zerfließen sie auf Nimmerwiedersehen. Aber eigentlich werden diese listigen Kerle steinalt, Zeit hat für sie keine Bedeutung. Dialoge zwischen Trollen sind sehr langatmig und nichts für Tageszeitungen. Wenn einer dem anderen etwas zuruft, können Jahrhunderte bis zur Antwort vergehen.
„Jetzt einmal ehrlich“, frage ich Monika, die Expeditionsleiterin auf der Polarlys, „glauben Sie diese Troll-Geschichten wirklich?“ „Aber nein, das ist nur für die Kinder“, lacht sie, gesteht aber später, dass sie beim Schwimmen oft die Angst plagt, dass ein Troll sie in die Tiefe ziehen könnte. Das ist erstaunlich, denn die ehemalige Fernmeldetechnikerin hat 15 Jahre auf Spitzbergen gelebt und dort unerschrocken Eisbär-Safaris für Touristen geleitet. Spitzbergen, das die Norweger Svalbard nennen, ist der nördlichste Teil des Landes, ein sehr ursprünglicher Inselarchipel, fast 2.800 Kilometer vom Nordkap entfernt, zwischen Grönland- und Barentssee. „Ich liebe Spitzbergen besonders im Winter“, sagt Monika. „Die Luft ist unglaublich sauber und klar und es ist gar nicht so kalt, wie man denkt. Und von Dezember bis März ist der Himmel voller magischer Nordlichter.
Was aber, wenn man unversehens beim Sternderlgucken einem Eisbären über den Weg läuft, der vielleicht noch nicht gefrühstückt hat? „Auf keinen Fall wegrennen“, empfiehlt Monika, die Eisbärendame. „Ruhig stehen bleiben und ganz viel Krach machen!“ Ich finde, das ist ein guter Ratschlag. Selbst wenn man von dem Eisbären gefressen wird, hat man ihm vorher wenigstens noch gründlich die Meinung gesagt.
Zwischen Bergen im Süden und Kirkenes, unserer letzten Station jenseits des Nordkaps, liegen 34 Häfen, 22 davon nördlich des Polarkreises, und die Hurtigruten-Postschiffe laufen sie alle an. Dass dies seit 125 Jahren so ist, liegt an einem wagemutigen Kapitän namens Richard With aus dem Dörfchen Stokmarknes in Nordnorwegen. Die Westküste Norwegens galt seit jeher als sehr fischreich, aber der Seeweg entlang der Küste mit seinen Inseln und Sunden erwies sich stets als Wagnis, zumal es kaum Leuchttürme und bis ins späte 19. Jahrhundert keine wirklich zuverlässigen Seekarten gab. Transporte dauerten lang, weil die Schiffe oft in den Häfen verweilten. Denn besonders nachts und in den dunklen Wintermonaten war die Navigation entlang der norwegischen Küste ein lebensgefährliches Unterfangen. Der Erste, der sich einen regelmäßigen und ganzjährigen Postdienst zwischen Nord- und Südnorwegen zutraute, war Richard With. Der erfahrene Kapitän hatte gemeinsam mit einem Lotsen zehn Jahre lang die Küste befahren und akribische Aufzeichnungen gemacht. Dieses Know-how war sein Startkapital. Mit staatlichen Subventionen richtete er 1893 mit seinem Dampfer Vesteraalen den ersten Schiffsliniendienst ein und nannte ihn mit Gespür fürs Marketing „die schnelle Route“, auf Norwegisch Hurtigruten.
Unser Schiff, die Polarlys, ist eines von elf der Hurtigrutenflotte, die allesamt eine ziemlich einzigartige Mischung darstellen. Jeder Hurtigruten-Liner ist zugleich Kreuzfahrtschiff mit allem, was dazugehört, aber er dient auch zur Beförderung von Fracht und von Linienpassagieren, die vielleicht nur mal für vierzig Euro von einem Küstendorf zum nächsten fahren wollen. Nur eines sind sie nicht mehr: echte Postschiffe, denn die Poststellen an Bord gibt es seit 1984 nicht mehr. Für viele der rund 450.000 Hurtigruten-Passagiere pro Jahr ist es gerade der Mix aus Kreuzfahrtpassagieren und Einheimischen, der die Fahrt gen Norden so interessant macht.
Die Hurtigruten sind auch sonst ziemlich einzigartig. Obwohl inzwischen der größte Eigner eine britische Private Equity Firma ist, wird das Unternehmen für das – wenig rentable – Anlaufen aller Häfen an der Küste vom norwegischen Staat hoch subventioniert und dies mit der Auflage, dass an Bord norwegische Löhne bezahlt werden müssen. Deshalb gibt es hier noch echte norwegische Matrosen und echtes norwegisches Bordpersonal statt den sonst in der Kreuzfahrtindustrie üblichen Billiglöhnern aus der Dritten Welt.
Wir durchfahren gerade das „Königreich der tausend Inseln“, wie die windgepeitschten Eilande vor Trøndelag genannt werden. Es ist eine Landschaft voll rauer Schönheit, und die frische Seeluft, die man sich auf den Außendecks genüsslich reinziehen kann, macht Hunger.
Jonna Nilsson, die junge Restaurantchefin, empfiehlt heute mit Kräutern gebackenen Stockfisch. Sie fährt schon seit fünf Jahren zur See und findet es super, dass es bei der Mannschaft kaum Fluktuation gibt.
Das mag auch daran liegen, dass anders als auf großen Kreuzfahrtschiffen, wo die Mannschaft je nach Rang zwischen vier und neun Monate nonstop Dienst tut, bei Hurtigruten ein Drei-Wochen-Rhythmus gilt: drei Wochen Dienst, drei Wochen frei. Aber zurück zum Stockfisch. Stockfisch ist ungesalzener Kabeljau, der auf Holzgestellen paarweise – je zwei Fische werden ohne Kopf an den Flossen zusammengebunden – monatelang getrocknet wird.
Das funktioniert am besten in Nordnorwegen, auf den Lofoten-Inseln zum Beispiel, wo die kalte, salzhaltige Meeresluft den Fisch haltbar macht und auf natürliche Weise fermentiert. Im Mittelalter, als Hungersnöte gang und gebe und Kühlschränke noch nicht erfunden waren, galt der haltbare Stockfisch als eine kostbare, begehrte Ware. Manche norwegische Städte wurden durch den lukrativen Handel mit Stockfisch sehr reich wie zum Beispiel auch der südliche Ausgangspunkt unserer Reise: Bergen mit seinem schönen Altstadtviertel Bryggen.
Der Stockfisch machte Bergen ab 1360 für fast vier Jahrhunderte zu einem der bedeutendsten Außenposten der norddeutschen Hanse. Die Norweger tauschten den haltbaren Fisch vor allem gegen Mehl und exportierten ihre Ware in ferne Gegenden, von Portugal bis Sizilien. Die 58 prächtigen Holzhäuser des Hanse-Kontors im ehemaligen Hafenviertel „Deutsche Brücke“, heute Bryggen genannt, zeugen vom einträglichen Geschäft von damals. Heute ist Bryggen ein Touristenmagnet und Bergen das „Backoffice“ für die Ölförderung auf offener See, die Norwegen zu einem der reichsten Länder Europas gemacht hat.
Schon nach einer Woche Nordlandfahrt weiß man, warum diese Route im Verdacht steht, die schönste Kreuzfahrt der Welt zu sein. Da ist zum Beispiel keine 200 Kilometer von Bergen entfernt eine touristische Top-Destination in der Liga von Machu Picchu oder den Niagarafällen: Norwegens berühmtester Fjord, der Geiranger. 15 Kilometer hat sich hier das Meer ins Land hineingebissen. Man fährt wie in einem Spielzeugboot zwischen mächtigen Berggipfeln durch, die bis zu 1.700 Meter hoch sind. In der Mitte des Fjords stürzen „Die sieben Schwestern“, die bekanntesten Wasserfälle des Geirangerfjordes, in die Tiefe.
Schon am nächsten Tag wartet ein weiteres Highlight der Reise: Trondheim.
Die Stadt, die im Mittelalter das religiöse Zentrum des Landes war, besitzt das nördlichste gotische Gebäude Europas, das zugleich der größte mittelalterliche Bau Skandinaviens ist: den Nidarosdom. Unter dem Altar befindet sich das Grab von Olav I., jenem Wikingerkönig, der vor rund tausend Jahren die heidnischen Kulte durch das Christentum ersetzte. Sein Spitzname war übrigens Krähenbein, weil sich Olav trotz christlichem Eifer die Zukunft gerne aus Vogelknochen weissagen ließ.
Noch öfter als der Dom wird Trondheims Altstadt Bakklandet fotografiert, die man über die alte Stadtbrücke mit ihrem schönen, hölzernen Tor des Glücks erreicht. Bakklandet mit seinen alten Holzhäusern aus dem 17. Jahrhundert und seinen bunten Speichern am Fluss Nidelv hat wie durch ein Wunder die Stürme der Zeit überlebt und ist heute ein trendiges Viertel mit sündteuren Wohnungen, vielen Cafés und kleinen Shops.
Der stärkste Gezeitenstrudel der Welt
Wir aber springen weiter nördlich nach Bodö, für mich die tristeste Stadt Norwegens. Allerdings gibt es hier in der Provinz Nordland unweit von Bodö einen wunderlichen Ort, den schon Jules Verne beschrieb. Dieses Naturwunder ist am besten per Schlauchboot, warm eingepackt und ausgerüstet wie für eine Mars-Expedition, draußen am Meer erreichbar. Der Ort heißt Saltstraumen und gilt als der stärkste Gezeitenstrudel der Welt. Es ist, als ob hier jemand den Stöpsel gezogen hätte und das ganze Meer abfließt. Ein etwas verrückter Taucher ließ sich von einem Hubschrauber aus in diesen Meeresschlund werfen. Er wurde in einem Höllentempo 75 Meter in die Tiefe gezogen und ist zwei Stunden später mit wenig Sauerstoffvorrat vier Kilometer weiter mit Müh und Not wieder aufgetaucht. Wenn das Schlauchboot groß genug und der Motor stark und verlässlich ist, kann man über den Angst einflößenden Strudel drüberbrausen, was den Touristen regelmäßig die gut eingepackten Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Keine Angst vor dem Saltströmen hat der Kabeljau. Geschlechtsreife Kabeljaue, die man hier Skrei nennt, lieben dieses Gewässer, wo der warme Golfstrom sich mit dem eiskalten Arktiswasser trifft. Hier ist das Meer extrem sauerstoffreich, daher gibt es viel Plankton, ein Traumbuffet für die Fische. Und so kommt der Skrei im Jänner zu Tausenden, um sich hier zu paaren.
Ausflug ans Nordkap
Der Höhepunkt für die meisten Hurtigruten-Ferienpassagiere ist das Nordkap, ein beeindruckendes Schieferplateau auf 71 Grad nördlicher Breite. Der Polarkreis liegt auf dem 66. Breitengrad und dies bedeutet, alle Ansiedlungen nördlich davon, das triste Bodö, die Dörfer auf den Lofoten, Tromsö, Hammerfest, usw. liegen zwischen Anfang Dezember und Ende Jänner in totaler Dunkelheit. Die Sonne geht hier nie auf. Im Sommer hingegen herrscht ewiges Licht, die polare Mitternachtssonne. Das Nordkap hat etwas Mystisches, obwohl es in Wahrheit gar nicht der nördlichste Punkt Europas ist. Es ist nur der nördlichste, auf einer Straße erreichbare Ort. Seinen Namen erhielt das Nordkap von einem englischen Kapitän, der 1553 von London aus aufbrach, um mit drei Schiffen die legendäre Nordostpassage nach China zu finden. Die Schiffe wurden im Sturm getrennt und nur Kapitän Richard Chancellor schaffte es so weit in den Norden. Das Kap beeindruckte den Käpt'n wohl, so wie später auch andere Besucher.
Der erste Tourist soll schon 1664 vorbeigekommen sein, ein Priester aus Ravenna. Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Tradition, am Nordkap Champagner zu trinken. Der Erfinder der Pauschalreise, Thomas Cook, brachte ab 1875 seine Gäste zum Champagnertrinken ans Nordkap.
Das Hurtigrutenschiff legt in einem kleinen Dorf namens Vardö an und von hier aus kann man auf der Europastraße 69 direkt zum Nordkap fahren. Es ist eine Fahrt durch das Land der Samen, der Rentiere, der Mitternachtssonne. Hier ist die nordische Wildnis. Es heißt, wenn einer an einem See in der Finnmark angelt und es kommt ein zweiter Angler dazu, dann sucht er sich einfach einen anderen See.
Rentiere statt Bankkonto
Ich bin mit Nils verabredet, einem jungen Samen, dessen Familie mehrere hundert Rentiere besitzt. Wie viele genau ist ein Geheimnis. „Kein Same sagt, wie viele Rentiere er hat“, lächelt Nils. „Das wäre so wie den Bankkontostand zu nennen. Aber man braucht mindestens vierhundert Tiere, wenn man von Rentieren leben will.“ Auch das Leben der Samen hat sich geändert. „Meine Eltern sind noch in Zelten aufgewachsen und durchs Land gezogen“, erzählt Nils. „In den 60er Jahren wurden die Sami dann langsam sesshaft und jetzt leben wir in Häusern wie andere Norweger auch.“ Die Rentiere haben übrigens keine Namen. „Einem Wesen, das man isst, sollte man keinen Namen geben“, meint Nils und deutet auf ein sieben Jahre altes Tier, das uns andächtig zuhört: „Psst, er könnte uns verstehen.“ Im Sommer treiben die Samen ihre Rentiere zum Nordkap, da es dort keine Mücken gibt. Im Winter hingegen ziehen sie mit den Rentierherden auf das südlichere Festland, weil es dort weniger Schnee gibt und die Tiere dann eher Futter finden. Das Besucherzentrum am Nordkap ähnelt übrigens eher einer Autobahnraststätte mit angeschlossenem Museum und Kino. Die Magie des Nordens findet man hier nicht, wohl aber in einem ganz besonderen Fjord bei den Lofoten: dem – wie könnte es anders sein – Trollfjord.
Es ist schon spätabends, als unser Schiff langsam in den Trollfjord einfährt. Der nur zwei Kilometer lange Trollfjord ist für Kapitäne eine schweißtreibende Angelegenheit, denn die Einmündung ist kaum hundert Meter breit. Links und rechts steigen zwei Berge fast senkrecht tausend Meter hoch: der Blafjell und der Trolltindan. Nebel wabert am dunklen Ufer, es ist kalt auf dem Außendeck, aber es ist auch ein magischer Moment. Eine Flasche Aquavit wird herumgereicht. Der nordische Schnaps mit leichtem Kümmelgeschmack hat stattliche 41 Prozent Alkoholgehalt. Ein Schelm, wer da keinen Troll sieht. Moment, war da nicht ein Schatten, der gerade am Ufer vorbeigehuscht ist? Ach, die Trolle haben heute wieder ihren Spaß.
Hofer Reisen bietet zwölftägige Hurtigruten-Kreuzfahrten von Bergen bis Kirkenes und retour inklusive Flug ab/bis Wien (oder München) ab 1.999 €. Die Preise variieren je nach Saison und Kabine. So kostet etwa die Innenkabine im Juli 2.799 Euro, die Superior- Außenkabine 4.349 Euro. Buchung bis 28.2.: 01/38600, www.hofer-reisen.at
Für alle, die zum ersten Mal eine Nordlandfahrt per Schiff machen, empfiehlt sich die warme Jahreszeit von Frühling bis Frühherbst. Da ist das Meer meist recht ruhig, und jenseits des Polarkreises kann man im Sommer die Mitternachtssonne erleben. Doch auch eine Winterreise kann vor allem wegen der magischen Polarlichter beeindruckend sein, allerdings muss man mit stürmischerer See rechnen.
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