Unbekannte Orte: Das blieb vom Hollywood-Glanz im Kolosseum-Kino
Vor 20 Jahren schloss das Kolosseum Kino in Wien seine Pforten. Wo einst Hollywood über die Leinwand flimmerte, sorgt daneben noch das Buffet für sentimentale Gedanken an gestern.
Der Name prangt noch da. In einem Rot, fast wie in Technicolor, und in gigantischen Lettern einer hoffnungslos aus der Mode gekommenen Schriftart über dem Eingang: Colosseum, gülden umrahmt, und darüber: Buffet. Seit 1925, auch das ist zu lesen, besteht die g’stande Lokalität in der Nussdorfer Straße 4 in Wien-Alsergrund. Es ist das Überbleibsel einer Spielstätte, die einst die glitzernde Filmwelt ins kleine Wien holte. 20 Jahre ist es her, dass das dazugehörige Kolosseum Kino (manchmal mit K) seine Säle schloss. Jetzt gilt: Hausmannskost statt Hollywood.
Das Kolosseum war eines der ersten Großkinos der Hauptstadt, bot 700 Personen Platz. Wo einst das Filmtheater stand, ist heute ein Supermarkt. Vor dem Buffetrestaurant werden auf Kreidetafeln Cevapcici mit Pommes angeboten, Spaghetti Bolognese, Eiernockerln. Auf der Tageskarte: Knusperfisch für 8,90, dazu Erdäpfelsalat und Sauce-Tartare. Kulinarisch ist das Kolosseum ein Klassiker geblieben.
Das Interieur: kleine Kaffeehaustische aus Marmor, schwarze Sessel im Thonet-Stil, zwei Theken, eine fürs Essen, die andere fürs Trinken. An den Wänden das eine oder andere Foto von früher, als hier noch Filme mit Burt Reynolds liefen, oder, ganz früher, mit Charlie Chaplin. Am späten Vormittag: zwei, drei Gäste; emsig richten die Küchenkräfte alles her, etwa die „legendären Sandwiches“, wie es in einer Lokalkritik heißt. Für zu Mittag, wenn mehr Publikum kommt.
Sentimental werden ist da schon erlaubt. Wenn man sich zurückdenkt, in eine Zeit als Kind, als man in den Achtzigern hier ein und aus ging. Als die Helden auf der Leinwand tatsächlich noch überlebensgroß erschienen, die Frauen im Kino unwirklich schön, und die Abenteuer, die man Popcorn-essend verfolgte, vielleicht selbst irgendwo da draußen auf einen warteten.
Hier jagte Michael Douglas das Juwel vom Nil, erschlich Mary Stuart Masterson sich einen Kuss, und ein unsterblicher Schotte trat in den Straßenschluchten von New York zum letzten Schwertkampf an, denn es konnte nur einen geben.
Das schönste Kino in Wien war das Kolosseum nie. Man ging auch gern ins Flotten-Center auf der Mariahilfer Straße, ins Apollo, oder ins riesige Gartenbau. Viele Kinos von damals gibt es nicht mehr: Das Dido, das Edison, das Gloriette und viele mehr sind Geschichte. Das Admiral hat es als Herzensprojekt und als Programmkino irgendwie drüber geschafft. Das Bellaria wird gerade gerettet.
Und doch: Nie wieder prangte ein Filmtitel in so tiefem Rot oder dunklem Blau auf weißem Grund, wie vielleicht auf dieser Anzeigetafel auf der Nussdorfer Straße, an der bimmelnd der Fünfer vorbeizuckelte.
Die schnörkellosen Lettern zeugten von einer Wucht, die die Dramatik oder Komik der angepriesenen Filme noch zu unterstreichen schienen. Und das schmale Schild mit dem Namenszug, das – 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8! – mit seiner Vielzahl an Sälen förmlich protzte, ragte aus der Altbaufassade hervor wie ein überlebenswichtiger Wegweiser, wenn man an einem Samstagabend mit einem Mädchen an seiner Seite oder einem Schulfreund darauf zusteuerte: Hier, kehret ein, wo Träume Leinwand werden.
Dazu der Name: Kolosseum, das muss schon damals dezent größenwahnsinnig gemeint gewesen sein, im verschlafenen Wien der Achtziger; da wusste man, was man geboten bekam, keinen Alltag jedenfalls, und Unterricht schon gar nicht, dafür Spektakel, überlebensgroß. Dran vorbei kam man jedenfalls nicht, wenn man zwei Stunden tief ins Technicolor der Traumfabrik eintauchen wollte, selbst wenn das Vorraum-Innere im Grunde genommen schmuck- bis trostlos gehalten war: graue Wände, kühle Granitfliesen, Hartschalensitze – und ein kleiner Stand, an dem man Popcorn kaufen konnte.
Die Spielstätte hatte eine bewegte Geschichte hinter sich. 1898 wurde es als „Wiener Colosseum“ eröffnet, war ein Unterhaltungsetablissement mit großem Tanzsaal inklusive Galerie und Logen und daran anschließenden Speisesälen und Gesellschaftszimmern. Später verwandelte es sich von der Singspielhalle in ein Varieté, dann in ein Theater, und schließlich in ein Kino.
Vier Tage nach dem Anschluss 1938 wurden die jüdischen Besitzer abgesetzt, der Betrieb „arisiert“. Nach dem Krieg wurde es für einige Zeit in „Yank Kino“ unbenannt, bevor es in den Fünfzigerjahren wieder den Namen Colosseum erhielt. 1956 gab es eine Art Public Viewing: Die Olympischen Winterspiele in Cortina d‘ Ampezzo wurden hier übertragen – ein öffentlichkeitswirksames Ereignis. 2004, bei Umbauarbeiten, wurden Fresken entdeckt.
Besitzer des Buffetrestaurants Colosseum ist seit 2012 Daoda Gu. Ihn, der mit neun Jahren aus China nach Österreich kam, verbinden ebenfalls persönliche Erinnerungen mit dem Lichtspielhaus, als Kind ging er stets ins Kolosseum ins Kino. Der Kauf wird nicht frei von Sentimentalität gewesen sein. Kino, das ist zwar heute gleichbedeutend mit Multiplex. Sentimentalität allerdings kennt keine Rollbalken.
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