Alt-Penzing kennt fast niemand in Wien und das ist ein Fehler
Große grüne Innenhöfe, schmucke Häuschen. Das Grätzel nahe Schönbrunn ist idyllisch. Doch ein Projekt sorgt für Unruhe.
Wer von Schönbrunn mit dem Auto auf der Hadikgasse gen Westen fährt, hat wohl selten daran gedacht, dass sich hinter den von den Abgasen grau gewordenen Hausfassaden ein wirklich nettes Grätzel verstecken könnte. Tut es aber.
Wien ist ein Dorf. Das mögen eingefleischte Hauptstädter, die Wien stets auf eine Stufe mit London, Tokio und New York stellen, vehement bestreiten. Hier, in Alt-Penzing, stimmt es aber.
Gleich hinter der verkehrsumtosten Häuserfront öffnen sich im Inneren der großen Blöcke wirklich grüne Innenhöfe mit großen Bäumen. So etwas gibt es kaum wo in Wien. Selbst in Häusern, die nahe an der Hadikgasse stehen, ist umgeben von Mauern kaum ein Verkehrslärm zu hören. Es dominiert das Gezwitscher der Vögel. Im Frühling brüten manchmal gar Eichelhäher in den Wipfeln. Deren Schrei wird nur durch das Gehämmer des Spechts, das Miauen einer Katze oder das Bellen eines Hundes - und im Sommer halt auch vom Lachen von Gartenfest-Besuchern - unterbrochen. Wenn es heiß in der Stadt ist, dann ist es hier um mindestens drei bis vier Grad kälter als in der aufgeheizten City.
Promis und Sommerfrische
Auf der Penzinger Straße stehen noch niedrige Häuser, die aus der Zeit entstammen, als es schick wurde, hier zu wohnen. Mit dem Bau Schönbrunns kamen vornehme Familien ins benachbarte Hietzing, die nahe bei den Herrschern wohnen wollten. Handwerker ließen sich in Penzing nieder. Im Vormärz entwickelte sich Penzing zu einem beliebten Sommerfrischeort. In den Jahren 1863 und 1864 wohnte Richard Wagner im Haus Hadikgasse 72. Dort arbeitete er gleich neben dem damals noch idyllischeren, aber auch gefährlicheren Wienfluss an seinen Meistersingern. Heute zeugt eine Gedenktafel davon.
Und bei dieser Prominenz sollte es nicht bleiben. Mit Teles da Silva baute sich einer der wichtigsten Berater Kaiserin Maria Theresias ein Palais in der Penzinger Straße, das sukzessive erweitert wurde. Heute ist es unter dem Namen Palais Cumberland bekannt. Nach dem Ende der Habsburger-Monarchie zog die Gesandtschaft der neugeschaffenen Tschechoslowakischen Republik 1921 in die Gebäudeteile Penzinger Straße 11 und 13 ein, wo die Botschaft Tschechiens heute noch ist. 1940 übersiedelte das Reinhardt-Seminar aus dem Schloss Schönbrunn in den Gebäudeteil Penzinger Straße 9, das ehemalige Lothringerhaus. 1992 wurde im Park eine Studiobühne eingerichtet.
Der Zaun zum Park markiert auch das Ende Alt-Penzings, das auch an der Schloßallee, die in die Johnstraße übergeht, ebenfalls verkehrsumtost ist. Aber zumindest sorgt der ziemlich lässige Auer-Welsbach-Park, der gleich gegenüberliegt, für gute Luft und viel Freiraum.
Weg vom - zumindest exzessiven - Verkehr geht es an der Penzinger Straße Richtung Rochuskapelle (großes Bild am Artikelbeginn). Hier fühlt man sich ein bisschen in die Vergangenheit versetzt. Die Kapelle gehört zur Pfarre St. Jakob. Und hier ist - schon wieder ein Promi - Christian Sieberer der Pfarrer. Früher machte er unter dem Pseudonym Pfaffenheini YouTube-Videos, in denen er konservative Ansichten vertrat. Heute sieht man ihn ab und zu in schwarzer Soutane und mit breitkrempigem Hut. Fast so wie ein italienischer Monsignore. Es ist halt doch ein Dorf. Neben der Kapelle ist der prachtvolle Lorely-Saal, der auch für die Präsentation der ORF-"Dancing Stars" benutzt wird. Schon wieder Promis.
Delikatessen
Ein Fixpunkt in Alt-Penzing ist seit gar nicht so langer Zeit das Delikatessen-Geschäft „Vollgut“ gleich in der Nähe. Es ist so etwas wie der Nahversorger der Bobos und hat sich einen soliden Kundenstamm aufgebaut. Der Kaffee ist ja auch - nomen est omen - gut. Dann gibt es allerhand französische und italienische Feinkost und getränketechnisch setzt man dort auf (Schaum-)Weine. Regelmäßig gibt es Verkostungen. Donnerstag ist Cremant-Tag, der Samstag dem Champagner vorbehalten. Die Cremants im Sortiment können es aber gut und gerne mit jedem Schampus aufnehmen. Manche gute Tropfen gibt es auch im Tetrapack. Sollte wer die Nase rümpfen: In Frankreich ist das üblich. Und außerdem können geneigte Kunden den Wein gleich in Mehrwegflaschen abfüllen lassen. Man kommt ja immer wieder gerne zurück.
Alt-Penzings Gastro-Landschaft ist nicht überbordend. Kaffeehäuser fehlen, das schon sehr in die Jahre gekommene Café Wunderer, in dem einst Ritchie Moser (Tobias Morett) mit Max Koch (Fritz Muliar) im "Kommissar Rex" Billard spielte und über Kriminelle sinnierte, gibt es seit einer Dekade nicht mehr. Seit zehn Jahren logiert ein McDonald's an der Hadikgasse.
Aber die Lokale, die existieren, sind ganz ordentlich. In unmittelbarer Nähe zum Vollgut ist der Grieche "Odysseus" in der Diesterweggasse 17, der eigentlich jeden Abend knallvoll ist. Im Sommer gibt es auch im großen Schanigarten nur selten spontan einen Platz. Hierher kommen jene Hellenen essen, die in Wien leben, heißt es. Gyros ist üppig, Moussaka ordentlich. Wem der Gusto nach Burger oder griechischer Pasta steht, auch kein Problem: die werden hier ebenfalls glücklich. Nur hat der Odysseus vor einigen Jahren eine Falstaff-Gabel bekommen. Da hat man Preise und Ansprüche etwas nach oben geschraubt. Auf dem Teller des gegrillten Lamms findet sich schon mal eine Spur Balsamico, die dem Gericht noch eine interessante Note hinzufügen soll. Wäre gar nicht notwendig, grillen können sie hier ohnehin.
Womöglich beste Pizza der Stadt
Dort, wo man diskutieren könnte, ob das nun wirklich noch Alt-Penzing ist, steht die Pizzeria "Da Salvatore" (Weinzierlgasse 13). Von außen sieht das Lokal aus wie ein US-amerikanischer Diner aus dem 1950ern - mit einem Vorbau aus Glas. Drinnen gibt es neapolitanische Pizzen wie aus dem Bilderbuch. Mitunter zählen sie zu den besten in ganz Wien, doch das wissen die wenigsten. Ein Schicksal, das die Pizzeria mit Alt-Penzing teilt. Für die Grätzelbewohner aber nicht das Schlechteste - Platz finden sie hier fast immer, auch wenn man sie manchmal ins nicht so hübsche Souterrain setzt. Aber der belegte Teig macht das wett. Nur der Rotwein könnte um einige Grad kühler sein.
Ein anderes italienisches Juwel steht im verkehrberuhigten Bereich der Diesterweggasse 29: In einem Kellerlokal, das dereinst eine Tischlerei war, serviert ein Musiker im "Donna Rosa" sardische Spezialitäten. Piero Banchero, der auch Klassikkonzerte veranstaltet hatte, sattelte während der Corona-Krise um und konzentriert sich seitdem auf die Küche seiner Heimatinsel. Rezepte hat er von der Verwandtschaft bekommen und so kredenzt er in den kleinen, gemütlichen Räumlichkeiten etwa Spaghetti alla Bottarga. Pizzen gibt es auch - sie sind eher römisch angehaucht und haben einen dünnen, knusprigen Rand. Die belegt er beispielsweise mit Bottarga und eingelegten Artischocken.
Kennedy Garden
Das Gründerzeithäuschen, in dem das "Donna Rosa" untergebracht ist, hat zuletzt neue Nachbarn bekommen. Und zwar in Form von wuchtigen Blöcken eines äußerst umstrittenen Wohnprojekts. Kennedy Garden heißt das und bringt Unruhe ins beschauliche Grätzel. Der Wohnkomplex der BUWOG mit insgesamt 512 Wohneinheiten und 431 Garagenplätze passt laut vielen so gar nicht hierher. Obwohl Garden im Namen, fehlt hier wegen der dichten Bebauung das Grün. Und höher als alle umstehenden Häuser sind die Wohnkomplexe außerdem. Eine Bürgerinitiative kritisiert seit Jahren eine Zerstörung des Ortsbildes.
Aber womöglich bringt Kennedy Garden neue Entwicklungen mit sich. Die Nisselgasse, die den Verkehr zur Hadikgasse bringt und ständig verstopft ist, soll beruhigt werden. Das ist gut für die netten Geschäftslokale - vom Antiquariat bis zur Boutique. Jene, die leer stehen, könnten sich wieder füllen - so die Miete leistbar ist. Denn derzeit herrscht wegen Kennedy Garden Goldgräberstimmung, wie man hört, es wird viel verlangt.
Und auch die Penzinger Straße soll für den Durchzugsverkehr gesperrt werden und eine neue Lösung bekommen. Dann wird es überhaupt ruhig. Wie in einem Dorf.
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