Weekender Waldviertel: Kanada liegt fast vor der Haustür

Ein Wochenende im Waldviertel kann der Anfang von etwas sein. Um es richtig kennenzulernen, braucht es sicher Jahre.

Überblick

Anfahrt

von Wien ins Waldviertel ca. 1-2 Stunden

Auskunft

waldviertel.at

Manchmal  sind die schönsten Abenteuer greifbarer als man glaubt. Nur ein, zwei Stunden entfernt, etwa im niederösterreichischen Norden –  im Waldviertel. Und wenn man sich trotz Navi verfährt, weil die Ablenkung groß ist, „schau, die Ruine dort oben“ oder „jö, so ein schönes Sonnenblumenmeer“ und Umleitungen das Ihre dazutun, braucht es halt ein bissl mehr Zeit. Diesmal geht es auf Entdeckungsreise zwischen  Schönberg am Kamp, Ottenstein, Zwettl und der Marktgemeinde Lichtenau. Und egal, wo der Startpunkt ist, wer als Städter im Waldviertel unterwegs ist, spürt, man ist sofort  mittendrin in Österreichs Anderswelt. Jedes Mal dieses Staunen über die  Vielfalt an  Wäldern, Felsen, Teichen, Flussläufen, Ruinen und Schlössern.

Wie diese Idylle erhalten? Zum Glück gibt es nur wenige Anlege- und Badeplätze, das schützt das Gebiet

©Waldviertel Tourismus/Studio Kerschbaum

Begriffe wie magisch, mystisch, wild, rau und schön haben ihre Berechtigung. Vergleiche mit Skandinavien oder  Kanada tun sich auf, wenn die Gegend fjordmäßig wie bei den Kamptal-Stauseen Dobra und Ottenstein wird, insgeheim denkt man sogar  an die Toskana, wenn  die weite Landschaft terrassenartig gekachelt mit Äckern, Feldern und Wiesen sanfte Wellen schlägt.

„Waldviertel, das ist Natur“, sagt Bernhard Berger. „Je nördlicher man  kommt, desto ursprünglicher wird alles.“ Berger ist gebürtiger Zwettler und hat sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen die Natur begreifbar zu machen. Er ist Herr über die Teiche und die Stauseefischerei am Gut Ottenstein  und erinnert sich sofort, dass die Kampstauseen Ottenstein und Dobra  noch vor gar nicht langer Zeit verträumte Orte waren. Durch die Pandemie habe sich das geändert.

Der Ottensteiner Stausee ist längst kein Geheimtipp mehr. Das spüren  wir, als wir uns mit anderen Entdeckern  langsam bergauf  schlängeln. Hatte man früher das Gefühl, hier eine kleine heile Welt  gefunden zu haben, war  plötzlich einiges los. „Es ist fast schon zu viel“, findet Berger, aber man wolle auch niemanden ausschließen. „Wir wollen für den Tourismus zugänglich bleiben. Und das im Einklang mit der Natur.“

 

Schloss Waldreichs mit Fischbeobachtungstürmchen und Ausgangspunkt für Wanderungen. Im Herbst ist hier Abfischfest

©Gut Ottenstein

In den vergangenen Jahren wurde immer mehr wild gecampt, und damit nicht mühselig Anzeigen geschrieben werden müssen, habe man sich am Gut Ottenstein  eine andere Strategie ausgedacht:  Gegen eine geringe Gebühr kann an festgelegten Plätzen übernachtet werden. Man muss ein bisschen steuern, anders geht es nicht. Denn nicht jeder, der kommt, verhält sich auf seiner Entdeckungstour der Umwelt gegenüber wertschätzend.
Bergers Leidenschaft für die Natur hat sich durch die Familie schon als Kind beim Fischen und auf der Jagd  entwickelt. Seit 15 Jahren gibt er sein Wissen weiter, bietet Angelkurse und -touren an. Schulklassen kommen und lernen beim Fischen, wie wichtig die intakte Natur, die Wildnis ist. Andere kommen und wollen mit ihm einfach nur „rausfahren“, einen Fisch zu fangen, sei zweitrangig. „Es geht darum, die Natur zu erfahren, auf sich wirken zu lassen, von ihr zu lernen“, sagt Berger.
 

Alfred Kurz (1929-2015) war Bauer und Bildhauer: Eine gute Kombination wie man hier sieht

©Marktgemeinde Lichtenau

Kunst und Mohnlandschaft

Wir fahren etwas weiter südlich, nur ein paar Kilometer, wollen den Künstlergarten Wietzen besuchen. Alfred Kurz (1929 – 2015) lebte hier als Bauer und Bildhauer. Ein Ort, an dem man vorbeifährt, wenn man es nicht wüsste. Kein Ort für Massen, ein Kleinod ohne Parkmöglichkeit. 50 Figuren des Fritz-Wotruba-Schülers stehen im Schatten von Zwetschken- und Apfelbäumen.
 

Wir haben weitab von Wackelsteinen und anderen von der Natur erschaffenen steinernen Kunstwerken, wie der  Weltkugel in Groß Gerungs  – deren Besuch unbedingt auf die Bucket List gehört –  einen Lieblingsort gefunden. Von Menschenhand gemacht – auch das gibt es im Waldviertel.
Viele Künstler schaffen in der Region besondere Werke, es ist ein Rückzugsort für Kreative. Doch wir sind jetzt Entdecker: Das Navi zeigt 18 Minuten Wegzeit nach Armschlag. Hier war vor kurzem die Mohnblüte wieder so schön. Das Scheitern  an Umleitungen tut weh. Aber wie viel kann und will man an einem Tag wirklich  sehen. Wir kommen eh wieder zurück.

Wer hängt da bei wem an der Leine? Eselwanderungen in der Marktgemeinde Lichtenau - so kommt man runter

©ESELWANDERUNGEN WALDVIERTEL

Loslassen geht  gut, wenn man den Blick über  Maisfelder und Wiesen schweifen lässt. Jemand erzählt uns beim Wirten von Eselwanderungen ganz in der Nähe. Die Tiere haben dort so originelle Namen wie Apollo 13, „The Boss“, und Paris, „Die Zicke“. Was die Waldviertler sich alles einfallen lassen! Die werden wir das nächste Mal besuchen. Ein Anruf muss schon jetzt sein. Robert Wagner klärt gleich auf: „Wir sind ehemalige Wiener“ und nichts bringe ihn wieder nach Wien zurück. Die Stadt sei ihm zu laut und zu schnell. Er und seine Ehefrau Ulla haben der Großstadt vor knapp zehn Jahren den Rücken gekehrt. „Wir wollten endlich unseren Traum vom Leben auf dem Bauernhof verwirklichen und wurden in der Marktgemeinde Lichtenau fündig.“ Fünfzig Tiere, davon acht Esel, leben gemeinsam mit dem Paar auf dem Hof. „Hier im Waldviertel kommt man runter, kann sich erholen. Von Kindern über Manager bis zur Oma schätzen das alle, die uns besuchen.“  Hat er schon alles kennengelernt, was das Waldviertel ausmacht? „Vom Strandgefühl bis zum Bergwandern gibt es  alles.“ Aber auch sie hätten nach all den Jahren immer noch viele Orte zu entdecken. Manchmal, so lacht er, nenne er das Waldviertel Klein-Kanada.

mytischer, schöner, Anderwelt eben

©Waldviertel Tourismus/Robert Herbst

Sommerfrische-Bussis

Um das Waldviertel als Ganzes  zu erfassen, braucht es viel mehr Zeit, als gedacht.  Wer gleich zu Beginn an einem Ort hängen bleibt, weil dort das kommode Feriendomizil ist, wird einiges verpassen. Schade drum, ganz im Norden ist es noch ursprünglicher  und westwärts ist etwa der märchenhafte Lohnbachfall.

©Waldviertel Tourismus/lichtstark.com/Wagenhofer

Wie haben es wohl die  Sommerfrischler zur Wende ins 20. Jh.  gehalten? Wer es sich leisten konnte, baute. Etwa in Gars. Die Kamptalvillen  entstanden. Heute hockt die Burgruine Gars  über der Stadt, stehen Falco und Willi Dungl  als Büsten still im Kurpark, Gänse spazieren am Ufer des Kamp. Es ist gemütlich. Zu gemütlich? Die Kamptalbahn pfeift! Für uns heißt sie  nur noch Busserlzug. Sollen sich doch einst an den kleinen Bahnstationen Abschiedsszenen abgespielt haben, als die Familien aus der Stadt hier in Sommerfrische waren, die Väter aber nach den Wochenenden wieder zurück in die Arbeit mussten. Bussi, baba.

1889 eröffnet, führen die Gleise auch heute von  Sigmundsherberg bis Hadersdorf (Achtung, bis September wird repariert). Bei Rosenburg lohnt der Halt, um zumindest den Fußweg zum wirklich sehenswerten Renaissanceschloss hinaufzusteigen. An der Graslhöhle vorbei, auch Zwergerlloch genannt. Hier kreuzen sich, wie so oft, viele Wanderwege – wer sich ablenken lässt, verpasst die richtige Abzweigung. Wir müssen schon wieder aufpassen, abschalten braucht auch Konzentration. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto, das stellen wir auf all unseren Routen fest.
 

 

©Max Werdenigg

Flussabwärts, vorbei an Kamegg, kurz vor Gars-Thunau fährt die Bahn angeschmiegt an steil aufschießenden Felswänden entlang:  Wanderer nutzen den laut pfeifenden Zug, um Routen abzukürzen oder  zu verbinden. In Plank am Kamp ist das vielleicht hübscheste Fluss-Strandbad der Gegend, inklusive Strand-Heuriger „Das Bachmann“. Das rot-weiß gestrichene Badehaus  sieht man schon von Weitem. Und man würde nicht meinen, dass der Eintritt frei und das Schwimmen das ganze Jahr über möglich ist. Ja, auch im Kamp wurden schon Eisschwimmer gesichtet. Der Heurige ist dann zwar zu, aber die Landschaft wird auch ihren Reiz haben. Bernhard Berger nutzt den Winter zum Eisfischen am Stausee, „ein ganz eigenes Erlebnis“. Doch der Winter ist noch weit. „Die meisten kommen ja im Sommer“, sagt er, „ich finde aber den Herbst noch viel schöner. Wenn sich der Wald bunt färbt und der Nebel sich über die Landschaft legt.“ Klingt gut, wir schauen uns das alles an.

Annemarie Josef

Über Annemarie Josef

stv Chefredakteurin KURIER freizeit. Lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Gewinnerin des Hauptpreises/Print bei "Top Journalist Award Zlatna Penkala (Goldene Feder)" in Kroatien. Studium der Neueren Deutschen Literatur in München. Mein Motto: Das Leben bietet jede Woche neue Überraschungen.

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