Weekender

Ein Wochenende in Brünn: So Wien und doch so anders

Wiens kleine Schwester hatte schon immer den Kopf in der Zukunft. Bis heute kann man den Aufbruch in der Stadt erleben.

Übersicht

Beste Reisezeit

April bis September

Einwohner

ca. 380.000

Anreise

von Wien ca. 2 Std mit dem Auto, gute Bus- und Bahnverbindung vorhanden

Auskunft

brno.cz

von Konrad Kramar

Tochter Grete hatte endgültig genug. Der ganze Jugendstil-Kitsch, der Stuck, die gusseisernen Gitter, diese Statuen, die einem ständig überall die Sicht ins Freie verstellten: Das alles wollte die Fabrikantentochter jetzt hinter sich lassen. Jetzt würde sie ihre Idee von einem modernen Wohnhaus endlich Realität werden lassen. Ein „geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen“ sollte Greta Tugendhat später über ihren Wunschtraum schreiben. Ein Wunschtraum, den sie übrigens mit ihrem Ehemann Fritz teilte. Der hatte nämlich auch genug von  „Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren.“

Aus den Ideen von Fritz und Grete ist ein  weltberühmtes Stück Architektur geworden, die Villa Tugendhat.

UNESCO-Weltkulturerbe: Die Villa Tugendhat

©CzechTourism

Noch vor wenigen Jahren war sie vom Verfall bedroht, eher von Wasserschäden als von architektonischer Genialität gezeichnet und außerdem lieblos mit unpassenden Möbeln vollgestopft. Heute aber ist das Werk des deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe bis ins letzte Detail – das heißt bis zu den Dessertlöffeln – rekonstruiert, hat den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes und wird inzwischen von  Kulturtouristen derart gestürmt, dass man sich  lieber Monate als Wochen vorab für einen Besuch anmelden sollte.

Der Geist der Moderne

Man kann nach Brünn kommen, um dieses Architekturwunder zu bestaunen, man kann aber auch nach Brünn kommen, um den Geist, in dem es entstanden ist, zu verstehen – und ihn im modernen Brünn wiederzufinden. In einer Stadt, die immer gerne in die Zukunft geschaut hat, und es heute – wo Zehntausende Studenten das Leben hier prägen – aufs Neue tut. Brünn ist eine Stadt voller Brüche, wo das Neue immer das Alte herausgefordert hat, egal, ob es nun um die Villa Tugendhat geht und all die anderen revolutionären Bauten des Funktionalismus, oder heute um die hippen Bars in der Innenstadt, die nicht nur bei ihrer Inneneinrichtung mit allen Konventionen brechen, sondern auch etwa bei der Namensgebung. „Die Bar, die gar nicht existiert“ heißt das derzeit angesagteste Lokal. „Na Stojaka“, gleich ums Eck, hat die Kultur der schäbigen Gassenausschanken, die es einst im Kommunismus gab, ins postmoderne 21. Jahrhundert befördert.

Jüdische Textilmagnaten

Doch fangen wir trotzdem bei Grete Tugendhat und ihrem Wohntraum an. Die Spur nimmt man am besten auf, wo der entstand: in der Villa ihrer Eltern. Die ist gleich hinterm Gartenzaun der Tugendhat zu finden und ist doch Welten davon entfernt.
Das Haus, in das der jüdische Textilmagnat Alfred Löw-Beer 1913 einzog, könnte auch in einem der Wiener Villenviertel stehen. Eleganz der Ringstraßenepoche, die sich heute ebenfalls als Museum für Besucher öffnet.

Ganz so wie das  Cottage in den Wiener Nobelbezirken Döbling oder Hietzing war Schwarzfeld („Cerna Pole“) um die Wende zum 20. Jahrhundert das Viertel in Brünn, in dem sich die neue Oberschicht der Stadt ansiedelte – und das ist es heute wieder. Wer durch diese Gassen im Norden der Stadt spaziert, pendelt zwischen perfekt restauriertem historistischem Prunk aus der Monarchie und frisch in Beton und Glas hingeklotztem neureichem Selbstbewusstsein.  

Kathedralen und Skelette

Die bescheidene, unterkühlte Genialität der Villa Tugendhat verschwindet da beinahe zwischen all der architektonischen Angeberei – von damals und von heute. Der Funktionalismus, also jener Stil, der durch die Architekten des Bauhaus weltberühmt wurde, drängt sich dem Besucher nicht auf und hat doch überall in Brünn seine Spuren im Stadtbild hinterlassen.  
Natürlich empfängt einen Brünn wie jede mitteleuropäische Stadt  zuerst einmal mit  historischer Pracht. Gotische Kathedralen wie die Jakobskirche, wuchtige Barockhäuser auf dem Krautmarkt, unterirdische Gänge, voll mit Skeletten, durch die man spazieren kann.

Dazu kommt die ganze Pracht der Wiener Ringstraßenperiode – und das, ganz nach dem Vorbild der Monarchiehauptstadt, ebenfalls entlang einer Ringstraße. Die ist zwar heute nur noch  als Stückwerk vorhanden, doch Gebäude wie das Mahen-Theater, das  nicht nur exakt so aussieht wie das Wiener Volkstheater, sondern auch vom selben Architektenduo Fellner&Helmer stammt, machen deutlich, wie nah Brünn damals bei Wien lag.  

Was wäre ein Brünn-Aufenthalt ohne Bier: Brauerei Starobrno

©Stadt Brünn

Bruch mit Konventionen

Doch zwischen all dieser historischen Übermacht bricht in Brünn keck und  oft mit viel Witz die Moderne durch. Für die Tschechen waren die Jahre zwischen den Weltkriegen eine goldene Zeit, der Funktionalismus wurde zum tschechischen Nationalstil, und der verschaffte sich  in der Industriemetropole  Brünn seinen Platz. Mitten in der Altstadt etwa, gleich neben dem Freiheitsplatz, zwängt sich das Hotel Avion mit genau acht Metern Breite, zwischen seine barocken und klassizistischen Nachbarn. Mit riesigen Fenstern und Porzellanverkleidung war es eines der ersten Gebäude, bei dem eine Gruppe junger Architekten – übrigens  allesamt in Wien ausgebildet – mit allen damaligen Konventionen brach.

Funktionalismus und Sozialismus

Wie diese Revolution weiterging, kann man in Brünn zu Fuß und mit der Straßenbahn verfolgen. Vom Pavillon des Cafe Zeman im Stadtpark bis hinaus zum Brünner Messegelände. Es ist das größte und eindrucksvollste Architekturdenkmal, das die Funktionalisten in dieser Stadt hinterlassen haben. Einige Gebäude sind im Krieg zerstört worden, andere wiederum stammen aus der Zeit des Kommunismus, der wiederum seine eigene Vorstellung von Moderne in Beton goss und sich damit zwischen die Gebäude aus der Zwischenkriegszeit zwängte. Man kann hier einfach herumlaufen, am besten aber erlebt man das Messegelände bei einer der zahlreichen Veranstaltungen, die dort stattfinden: Ausstellungen, Konzerte, Festivals ... und natürlich Messen aller Art.
Veranstaltungen muss man in Brünn nicht lange suchen.

©Konrad Kramar

Uni-Metropole

In einer Stadt mit fast 70.000 Studenten ist ständig irgendwo irgendetwas los. Wer durch die Innenstadt spaziert, kann sich im Zettelwald auf den Plakatflächen informieren oder er läuft ohnehin in ein Straßenkonzert oder Bierfestival hinein.  Anders als Prag mit seinen träg fließenden Touristenströmen und dem  dazugehörigen, fest etablierten Kulturangebot  probiert sich Brünn gerade als Kulturmetropole aus. Das macht die Stadt für ihre Gäste zu einer ständigen Überraschung, in der es immer etwas Neues zu entdecken gibt: Eine neue Bar, ein neues Museum, ein neues Avantgardetheater. In Brünn wird ständig umgebaut, ständig neu angefangen.

Und wieder traut sich jemand das Alte, in dem man sich anderswo – wie etwa in Wien – so herrlich eingerichtet hat, herauszufordern. Es muss ja nicht immer eine Millionärstochter sein.

 

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