Die Schokolade und das Meer: Zu Besuch auf Belle-Île im Atlantik
Drinnen verfließt sich tiefdunkle Schokolade zu Kleinoden, die glücklich machen. Draußen tobt das Wasser an die Küste.
Von Sandra Mirosavljevic (Text) und Reinhard Podolsky (Fotos)
Es ist Sturm auf Belle-Île. So wie ihn Claude Monet 1886 in seiner berühmten Gemäldeserie von der bretonischen Insel festgehalten hat: schneeweiß peitschende Gischt, brüllender Wind, wild wechselndes Licht, scharfe Klippen, die sich dem entfesselten Meer entgegenstemmen, bevor es die französische Westküste erreicht. „Wenn der Sturm kommt, wird die Schokolade am besten.“ Patrick Thomas steht in seiner kleinen Schokoladenmanufaktur „La Palantine“ am Hafen der malerischen Ortschaft Le Palais und formt Pralinen, jede einzelne konzentriert und liebevoll. Ob zartbitter, goldbraun oder weiß – die Schokolade der beliebten Glückskügelchen macht der 53-jährige Chocolatier selbst, zwei bis sechs Tonnen pro Jahr.
Das kleine „La Palantine“ steht für die moderne französische Schokolade-Produktion: Neben wenigen großen Herstellern – darunter auch Valrhona mit dem gleichnamigen Schokolade-Favoriten der internationalen Spitzengastronomie – sind kleine, unabhängige Chocolatiers für 90 Prozent der Schokoladenproduktion verantwortlich. Sie bieten im ganzen Land Arbeitsplätze für rund 30.000 Menschen.
Frankreich ist ein Schokolade-Land
In Frankreich steht dunkle Schokolade hoch im Kurs. Während in ganz Europa durchschnittlich fünf Prozent des gesamten Schokoladeverbrauchs dunkel ist, verputzt man in Frankreich satte 30 Prozent. Nicht nur deswegen versteht sich die „Grande Nation“ als Wiege der Schokolade-Kultur Europas – schließlich soll niemand Geringerer als Alphonse de Richelieu, der Kardinal von Lyon, als Erster um 1642 Schokolade benutzt haben, um seine Anfälle von Melancholie zu mildern.
Das Geheimnis der Schokolade Im „La Palantine“ auf der Belle-Île wird Tag für Tag die Schokolade frisch hergestellt. Mit Hilfe von je nach Saison zwei bis sechs Mitarbeitern entstehen Pralinen, Schoko-Tafelkreationen u. a. mit dem Salz des wenige Meter entfernten Meeres sowie Riegel und Nougat. Jeden Tag aufs Neue. „Es ist auch die Frische der Pralinen, die unsere Kunden schätzen“, weiß der gelernte Bäcker und Konditor, der elf Jahre bei einem bekannten Chocolatier im Schokoladebrunnen der Nation, Paris, gearbeitet hat, bevor er auf seine Heimatinsel an den Atlantik zurückgekehrt war.
Hat seine Schokolade ein Geheimnis? Die feinen Lachfältchen an Thomas’ Augen vertiefen sich: „Nun ja, wir verwenden ausschließlich Milch von unseren Inselkühen – und der Rest ... un secret est un secret (ein Geheimnis ist ein Geheimnis)...“
In der Manufaktur an der Wand hängt eine Fotografie des Bootes, mit dem Thomas’ Vater 23 Jahre als Fischer die Familie mit dem versorgte, was der Atlantik hergab. „La Palantine“ hieß es und gab der im Todesjahr des Vaters 2001 gegründeten Schokoladenmanufaktur ihren Namen. „Wir wollten, dass etwas aus dem Leben meiner Eltern weiterbesteht – das Foto an der Wand und der Schriftzug vor dem Geschäft wecken bei mir viele schöne Erinnerungen.“
Wer die Liaison zwischen der Schokolade und dem Meer auf der hinreißend charmanten Belle-Île besser verstehen will, dem sei das Landschaftserlebnis bei Port Coton im Süden der 20 km langen und 9 km breiten größten bretonischen Insel empfohlen – hoch auf den Klippen mit dem Blick über das weite Wasser, wo Claude Monet „das Meer wunderschön und die Felsen fantastisch“ fand, den Geruch des ewigen Salzes in der Nase und eine frische Schokoladepraline (nicht beißen!) am schmelzig werdenden Gaumen.
Wenn all diese Sinne maximal geöffnet werden, ist der richtige Zeitpunkt für die Erkenntnis: Wir müssen auf diese Erde Acht geben, schließlich ist sie der einzige Planet, der Schokolade hat.
Kommentare