Reisetipp: In Apulien schlägt Italiens wahres Herz
Lebensfreude pur: Am Stiefelabsatz Italiens warten Traumbuchten, geheimnisvolle Städte, die Trulli und Olivenhaine. Was man gesehen haben muss.
Überblick
Von Wien nach Bari. Weiter per Bahn, Bus oder Leihauto
austrian.com
Von Wien mit dem Nachtzug nach Florenz. Weiter mit der Frecciarossa nach Bari. 19 Std. oebb.at
Und plötzlich kommt von irgendwo Musik. Beinahe unbemerkt hat der DJ, der mit seinen chilligen House-Melodien am späten Nachmittag, wenn die Sonne sinkt, die letzten Badegäste am Strand der Traumbucht müde vor sich hin dösen und er sie von der glühenden, unbeschirmten Hitze in einen müden Abend überführt, ein Päuschen eingelegt. Wie auf Zehenspitzen schummeln sich einem neue Klänge in den Gehörgang. Was ist das?
Man liegt da, auf seinem Handtuch, blickt über die Schulter und sieht das: ein vierköpfiges Gesangsquartett, allesamt in schwarzer Anzughose, weißem Hemd und Gilet, einer mit Banjo, ein anderer mit Trommel. Mit kleinen Schritten hält ein frisch verheiratetes Brautpaar, er in feinstem Zwirn, sie im schulterfreien weißen Kleid mit weiter Schleppe, Einzug in dieses paradiesische Plätzchen. Die Combo eskortiert sie elegant, spielt „When The Saints Go Marching In“, später gibt der Hauptsänger mit Megafon „Buona sera“. Umringt von den Hochzeitsgästen küsst der Bräutigam am steinernen Strand seine Braut, die biegt ihren Rücken, ekstatisch wirft sie den Kopf nach hinten: Amore all’italiana.
Cala Porto heißt die pittoreske Bucht, in der diese Szenerie eingebettet ist. Und in dieser unerwartet auftretenden, filmreifen Inszenierung könnte sie genauso gut in der Traumsequenz eines Fellini-Epos stattfinden. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie real passiert.
Prunkstück von Puglia
Die Badebucht ist beinahe zu schön, um wahr zu sein. Wie eine ins Land geschlagene Schneise präsentiert sie sich. Umragt von steil in die Höhe schießenden Felswänden, von denen mutige Buben Salti ins Meer schlagen. Von oben blickt man aus weiß gekalkten Häusern und verwinkelten Gassen auf diesen magischen Ort. Umspült wird er von türkisfarbenem Wasser, ist durchzogen mit glitschigen Grotten.
Polignano a Mare heißt das faszinierende Städtchen, zu dem die Cala Porto gehört. Es ist das Prunkstück von Puglia, wie Apulien im Italienischen genannt wird. Von Bari, der Hauptstadt, die jeder anfliegt, der diese Region erkunden will, liegt sie bloß 35 Kilometer entfernt und ist mit dem Zug einfach zu erreichen. Der Strand ist belebt, auf den spitzen Steinen liegt man wild nebeneinander. Wer sein Haupt lieber auf Liegen bettet, ist hier falsch. Dafür bekommt man Italien pur serviert, und wer es lieber exklusiver mag, kann immer noch in eines der berühmtesten Restaurants der Welt einkehren: Die Grotta Palazzese ist Romantik hoch Hundert, quartiert das Lokal doch in der größten Tropfsteinhöhle unterhalb der Stadt und 25 Meter über dem Meer.
Seit dem Jahre 1700 wird es bereits für Festivitäten und Bankette genutzt. Nach vorne hin offen blickt der für diesen Genuss tief ins Portemonnaie greifende Besucher zum Sonnenuntergang auf die See, während kleine Lampen das Innere des Felsens in stimmungsvolles Licht tauchen und für ein einzigartiges Ambiente sorgen. Zaubert der Angebeteten oder dem Auserwählten garantiert Herzerln in die Augen, vertrauen Sie da ruhig den Italienern, die wissen, wovon sie reden.
Wobei hier kein Missverständnis auftreten soll: Apulien, das hat mit extravagant vorexerzierten Luxus-Superlativen sonst nichts am Hut. Dort, ganz tief unten im Süden, am Absatz des italienischen Stiefels, wo Adria und Ionisches Meer aufeinander treffen, ist das Leben einfach gehalten, und die Menschen sind offenherzig und freundlich. Millionen jahrhundertealter Olivenbäume bestimmen das Bild, sie liefern das flüssige Gold Apuliens; seit mehr als tausend Jahren ist die Landwirtschaft die vorherrschende Einnahmequelle, Apulien gilt als Kornkammer Italiens und ist damit für jenen Hartweizen verantwortlich, nach dem die ganze Welt in Form von Nudeln so verrückt ist. Auch für hervorragenden Wein ist die Region bekannt, der Rote gedeiht hier besonders gut, etwa der Negroamaro von der Halbinsel Salento.
„Terrone nennen die im Norden Italiens uns aus dem Süden“, verriet mir einmal Pasquale Natuzzi jr., Kreativdirektor, der von seinem Vater 1959 in Apulien gegründeten, renommierten Interior-Marke bei einem Abendessen, „für die sind wir Bauern: Erdfresser“. Der Wortstamm terra bedeutet „Erde“; eingebettet ist es in eine abschätzige Formulierung, mit denen Turiner oder Mailänder einst schon in den Sechzigerjahren jene Bauern beleidigten, die auf der Suche nach Arbeit in den industriell fortgeschrittenen Norden kamen. Dennoch wendete Natuzzi, ein muskelbepackter, tätowierter Anzugträger mit weit aufgeknöpftem Hemd, die kränkende Titulierung betont in ein auszeichnendes Adelsprädikat: Aus dem Süden zu sein, so der Geschäftsmann, das bedeute stolz auf seine Wurzeln zu sein, die Tradition, und Liebe zu Gott und Familie.
Während der Norden Italiens einem eher milde-kühl entgegentritt, ist der Sommer im Süden mit bis zu 40 Grad eine brennheiße Angelegenheit. Derzeit aber sind die Temperaturen noch angenehm mild. Und geeignet, um neben Bari etwa Monopoli zu besuchen. Die „weiße Stadt“ hat mit dem Gesellschaftsspiel mit y am Wortende rein gar nichts zu tun, es gibt sie bereits seit der Bronzezeit.
Von den Griechen über die Normannen bis zu den Habsburgern wurde die Stadt vereinnahmt, heute kann man gemütlich am Hafen entlangschlendern und etwa das Kastell von Kaiser Karl V. besichtigen, ein echtes Bollwerk gegen feindliche Angreifer, mit vier Türmen, Kanonen und einem schönen Rundum-Ausblick. Am schmalen Stadtstrand empfiehlt es sich, sich anschließend im Meer abzukühlen und mitten unter italienischen famiglias, die auf Klappsesseln im seichten Wasser sitzen und Ravioli oder Tagliatelle essen oder mit ihren bambini spielen, zu verweilen. Und einfach nur faul das bunte Treiben zu genießen.
Burgen und Bauernhütten
Mehr als eine Stunde von Bari entfernt, aber in westlicher Richtung, liegt dann das imposante Castel del Monte. Von weitem sichtbar und dennoch ein Geheimnis. „Die steinerne Krone Apuliens“ wird es genannt, ehrfurchtsvoll thront es auf einem Hügel.
Kaiser Friedrich II., der „Puer Apuliae“ – der Knabe aus Apulien, ließ es nach seinen Vorstellungen errichten. Ob er es je betreten hat, ist nicht bekannt. Beeindruckend, diese perfekte Symmetrie und die achteckige Bauweise mit den acht Türmen. Die Burg war schon für vieles gut: Prinzen-Kerker für Erzfeinde des Staufer-Bezwingers Karl von Anjou, Fluchtstelle vor der Pest oder einfach nur Stallung. Friedrich ließ sie nach den Gesetzen der Zahlenmystik bauen. Ein geheimnisvoller, sakraler Ort. Wer sich bei seinem Anblick irgendwie an „Der Name der Rose“ mit Sean Connery erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Für die Burg im Film diente das magische Castel als Vorbild.
Weit weniger herrschaftlich, und doch weltberühmt, sind die wundersamen Trulli. Sie gehören zu Apulien wie der Stephansdom zu Wien: kleine, weiße Rundhäuser aus Stein, die aussehen, als könnten Hobbits darin wohnen. Sie stammen noch aus dem 17. Jahrhundert und stehen wie Ankerpunkte in den Olivenhainen und Dörfern.
Die meisten der Hirtenhütten nachempfundenen Behausungen aus dickem Naturstein und mit winzigen Fenstern stehen in Alberobello. Versehen sind sie mit einem Dach, das aussieht, als hätte man dem Haus, das im Sommer vor der Hitze schützt und im Winter die Wärme speichert, eine Zipfelmütze aufgesetzt. Früher dienten sie armen Leuten als Unterkunft, gebaut sind sie ohne Mörtel; heute sind sie ein beliebtes Reiseziel und werden restauriert oft als Ferienpension geführt. Eine runde Sache. Als Gegensatz zu den Trulli könnte man die Masserien bezeichnen: Die apulischen Gutshöfe ähneln kleinen Festungen, die früher reichen Großgrundbesitzern vorbehalten waren und ebenso typisch für die Gegend sind.
Manche sind verfallene Ruinen, in anderen kann man sich gut einmieten für Ferien am Land, es gibt wahrlich malerische Masserien, idyllisch, abgeschieden, aber auch gern einmal luxuriös mit fünf Sternen und Swimmingpool. Ob im Norden in prächtigen Bauten oder im Süden auf kleinen Bauernhöfen, zwischen Zypressen und Pinien lässt sich’s hier prächtig leben. Auf manchen Höfen fühlt man sich gar wie ein Schlossherr.
Florenz des Südens
So viel Wunderbares gibt es in Apulien zu entdecken! Gargano etwa, die Halbinsel an der Adria, am Fersensporn des italienischen Stiefels. Ein Paradies für Naturfreunde. Gebirge, weiße Felsen und Wälder einerseits, und andererseits ein langer, weißer Sandstrand im nördlichen Teil. Im Nationalpark lässt es sich auf vielen Routen herrlich wandern. Und im Örtchen Monte Sant’Angelo wartet die Kirche San Michele, eine Grottenkirche, im Inneren des Berges. Hier soll einst der Erzengel Michael den Menschen erschienen sein. „Dort, wo sich der Fels öffnet, werden die Sünden der Menschen vergeben“, soll er dabei verkündet haben. Amen.
In Lecce trinken wir, wenn es zu heiß wird, einen Kaffee: der wird hier im Süden nämlich mit Eis serviert. Der Caffè leccese ist ein frisch gebrühter Espresso, den man in ein Glas mit Eiswürfeln und 2 cl süßem Mandelmilchsirup gießt. Ein heiliges Ritual. Dazu schmeckt ein Pasticciotto, also ein Mürbteigschiffchen gefüllt mit Vanillecreme und Kirschen. Es kommt ebenfalls von hier.
Lecce, die Hauptstadt des Salento, der Halbinsel im Südosten, gilt als „Florenz des Südens“, und das kann man gelten lassen: Man spaziert durch ein romantisches Städtchen, mit seinem Amphitheater, den Kirchen und den Bauten im Lecce-Barock aus weißem Tuffstein, der typisch für diese Gegend ist.
Vom Elend zum Glanz
Einen weiteren Ausflug ist aber vor allem Matera wert, die Höhlenstadt in der Region Basilikata. Seit der Jungsteinzeit bestehend gilt sie als eine der ältesten Städte der Welt. Ein magischer, geheimnisvoller Ort. Hier gilt es, die Sassi zu besichtigen, die Höhlenwohnungen, die in die Felsen in der Schlucht eingearbeitet sind. Bis in die Fünfzigerjahre hausten hier Menschen, zusammen mit ihren Schafen, Ziegen und Schweinen, ohne Strom, ohne fließendes Wasser und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen.
Niemand wollte hinsehen, und erst Carlo Levi machte mit seinem Roman „Christus kam nur bis Eboli“ auf die erschreckende Armut aufmerksam. Matera, das galt als „Schande Italiens“. Das hat sich zum Glück geändert. Die Bewohner wurden umgesiedelt.
Und heute? Matera, durchzogen von einem labyrinthischen Netz holpriger Gassen, das man treppauf, treppab erkundet und seine Felskirchen bestaunt, prosperiert. Mel Gibson drehte hier „Die Passion Christi“, James Bond fand „Keine Zeit zu sterben“. Seit den Neunzigern ist die Stadt Weltkulturerbe, war 2019 Kulturhauptstadt Europas, es gibt Restaurants und Hotels. Und wer sich besonders belohnen will, bleibt bis zum Abend: Wenn es dunkel wird, taucht sich die Stadt in eine faszinierende Stimmung und wird zum Lichtermeer im Fels.
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