Wieso der "echte" Robinson Crusoe eine Katzen-Armee hatte

Wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel leben? Das Buch basiert auf dem Leben von Alexander Selkirk. Und der erlebte wahrlich Wildes.

Ungemütlich, grau, Schneeregen – der Wecker klingelt. Draußen wartet die immer gleiche Tretmühle: U-Bahnfahrten mit laut telefonierenden Mitreisenden, To-do-Listen, fehlendes Vitamin D. Wer hat da nicht schon mal von einer einsamen Insel geträumt? Ein bisschen Sonne, ein bisschen Ruhe, kein Wlan.

Einfach mal das Smartphone gegen eine Kokosnuss tauschen und die Seele ein bisschen wie Robinson Crusoe baumeln lassen – Unwägbarkeiten wie feindselige Nachbarn von einer nahen Insel einmal ausgenommen. Doch Robinson Crusoe, der Mann, der es vorgemacht hat, ist ja nur eine Romanfigur. Aber es gibt einen wahren Abenteurer hinter der Geschichte, Alexander Selkirk. Und dieser verwegene Bursche inspirierte wohl Schriftsteller Daniel Defoe zu seinem Roman.

Schon in jungen Jahren fiel der Schotte Selkirk durch ein Talent für Unruhe auf. Ob es um unanständiges Verhalten in der Kirche ging oder um handfeste Auseinandersetzungen mit seinen Brüdern – Hitzkopf Selkirk schaffte es zuverlässig, sich ins Visier der Obrigkeit zu manövrieren. 

Alexander Selkirk floh aufs Schiff

Seine Lösung für die drohenden Verfahren: Die Flucht nach vorne und die Fahrt zur See. 1703, im Alter von 27 Jahren, schloss sich Selkirk als Navigator einer Crew englischer Freibeuter an, die für die britische Krone feindliche Handelsschiffe erleichtern sollten.

Um Frischwasser und Verpflegung aufzunehmen, ankerten die Kaperfahrer vor der einsamen Insel Más a Tierra im Pazifik vor Chile. Sie war ursprünglich ein schöner Fleck Erde mit viel Grün. Doch wie National Geographic schrieb, hatten die ersten spanischen Siedler 1591 ein paar Ziegen mitgebracht. Die hatten sich explosionsartig vermehrt. Innerhalb kürzester Zeit war ein Teil der Insel kahl gefressen.

So kahl sieht die Insel Robinson Crusoe vor Chile heute aus. 

©Chichester, Page / Lookphotos / picturedesk.com

Als sie wieder fahren wollten, wurde Selkirk ungemütlich. Das Schiff sei ein schwimmender Albtraum. Der Rumpf von Würmern zerfressen und eine Reparatur dringend notwendig, teilt er dem Kapitän mit. Wohl nicht sehr charmant und sachlich. Was dann folgte, war ein Streit, wie ihn die sieben Weltmeere selten gesehen haben. Sturkopf und Streithansl Selkirk weigerte sich, weiterzusegeln. 

Der Kapitän, offenbar nicht minder stur, zog einen Schlussstrich: Im Oktober 1704 ließ er Selkirk zurück. Die Hinterlassenschaften: Ein Messer, ein Beil, ein Gewehr. Dazu einen Kochtopf, etwas Käse und Marmelade und Navigationstechnik. Tabak gab es auch. Und natürlich eine Flasche Rum, denn was wäre ein echter Seemann ohne seinen Rum? Da kann er noch so unehrenhaft ausgesetzt werden. Zur geistigen Erbauung blieb ihm schließlich noch eine Bibel.

Und auch wenn das nicht sonderlich erbaulich klingt: Immer noch besser als das Schicksal der ablegenden Seefahrer. Noch bevor die Mannschaft die Küste aus den Augen verlor, ging das marode Schiff tatsächlich unter.

Noch einsamer als Robinson Crusoe

Selkirk hatte weder einen Papagei, noch einen Freitag wie im Roman, mit denen er sprechen konnte. Er verfiel in eine Depression und Ratten bissen ihn in der Nacht. Doch er rappelte sich auf, erkundete die Insel. Er fing Krebse und fand Pflanzen, die er essen konnte, sowie Katzen und die Ziegen, die die spanischen Seefahrer zurückgelassen hatten. Selkirk arrangierte sich zusehends mit seiner Situation. 

Aber ein Problem blieb hartnäckig: die Ratten, die nachts an seinen Füßen nagten. Die Lösung: eine Katzen-Armee. Mit Ziegenfleisch als Köder lockte er die wilden Katzen an.

Rund 100 von ihnen soll er gezähmt haben. Viele schliefen in seiner Hütte und gingen gegen die unerwünschten, nagenden Untermieter vor. Einige der Katzen schienen Selkirk so sehr ins Herz geschlossen zu haben, dass sie ihm wie Hunde auf seinen Jagdausflügen folgten, wie der entfernte Verwandte Bruce Selcraig einmal im Smithsonian Magazin schrieb.

Unsere Pinasse kehrte vom Ufer zurück, beladen mit Langusten und einem Mann in Ziegenfellen, der wilder aussah als die ursprünglichen Eigentümerinnen derselben.

Woodes Rogers Ein Schiffskapitän schreibt über die Rettung Selkirks

Manche Quellen berichten davon, dass er, der Probleme mit der Kirche hatte, begann, Kirchenlieder zu singen, um den Verstand nicht zu verlieren.

Seefahrer erschossen Selkirk beinahe

Mehr als vier Jahre später entdeckten ihn englische Freibeuter am 1. Februar 1709 am Strand. Er stand dort wie ein rabiat wirkendes Wesen. Mit verfilztem Haar, in Ziegenhäute gekleidet und wild gestikulierend, erinnerte der Mann die Matrosen mehr an ein affenähnliches Ungeheuer als an einen gestrandeten Seemann. Sie wollten Waffen ziehen und den vermeintlichen Schrecken der Insel erschießen. Aber etwas Menschliches müssen sie dann doch erkannt in ihm haben.

Woodes Rogers, der Kapitän des Schiffs, hielt das skurrile Aufeinandertreffen in seinem Tagebuch fest: "Unsere Pinasse kehrte vom Ufer zurück, beladen mit Langusten und einem Mann in Ziegenfellen, der wilder aussah als die ursprünglichen Eigentümerinnen derselben."

©Grenville Collins P / Mary Evans / picturedesk.com/Grenville Collins P/Picturedesk.com

Ganz dürfte das Kirchenliedersingen aber nicht geholfen haben: Er "hat seine Sprache aus Mangel an Gebrauch so sehr vergessen, dass wir ihn kaum verstehen konnten, denn er schien seine Worte nur halbherzig auszusprechen", notierte Rogers außerdem. Mehr als zwei Jahre arbeitete Selkirk auf dem Schiff seiner Retter als Navigator. 

Und er zeichnete sich bei Landgängen als Jäger aus. "Wir hatten einen Bulldog, den wir mit mehreren unserer flinksten Läufer schickten, um ihm beim Ziegenfangen zu helfen; aber er trieb sowohl den Hund als auch die Männer in die Flucht und machte sie müde", schrieb der Kapitän. Gelernt ist gelernt.

Der "echte" Robinson hatte zwei Frauen gleichzeitig

Am 14. Oktober 1711 lief das Freibeuterschiff in London ein. An der Themse wurde Selkirk zur Berühmtheit. Weggefährten schrieben Berichte, er selbst erzählte seine Geschichte für Speis und Trank in England. Dazu dürfte er zwei Frauen geheiratet haben – gleichzeitig. Ob er Daniel Defoe getroffen hat, dessen Roman Robinson Crusoe 1719 erschien, ist aber nicht belegt.

Ein Jahr später heuerte Selkirk als Erster Maat auf dem Kriegsschiff HMS Weymout an, um Piraten vor Afrika zu suchen. Er erkrankte dabei an Gelbfieber oder Typhus und starb. Seine Leiche wurde über Bord geworfen.

Nach seinem Tod suchten Abenteurer den Ort, wo der echte Robinson Crusoe gelebt haben könnte. Die Isla Más a Tierra wurde 1966 in Isla Robinson Crusoe umbenannt.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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