Fritz Karl als Bulle auf Abwegen: "Eine Ratte unter Ratten"
Der ROMY-Preisträger über "Alles auf Rot" (Freitag, 20.15, Arte), den kommenden „Meiberger“-Film auf ServusTV und seine Zukunft als Schauspieler
Seine Hände zittern nicht mehr, kein Schweiß auf der Stirn, der Blick ist klar: Als der einst korrupte Kommissar und Ex-Junkie Erich Kessel (Fritz Karl) vom Ex-Kollegen und vormals besten Freund Mario Diller (Nicholas Ofczarek) vor der Justizanstalt in Empfang genommen wird, könnte das der Start in ein neues Leben sein. Doch kurz davor starb die Tochter des Mithäftlings Walid Schukri bei einem Schusswechsel in einem Brautmodengeschäft, ihr Mörder ist dem Vater viel Geld wert…
„Alles auf Rot“ (Freitag, 20.15, Arte) ist Lars Beckers vierter Film über die Hamburger Polizisten Kessel und Diller in knapp zehn Jahren. Der Titel klingt nach Glücksspiel – doch Glück gibt es hier nicht.
Fritz Karl: Es ist ein Film noir. Die Reihe war von Regisseur und Drehbuchautor Lars Becker immer schon so konzipiert. Das findet in „Alles auf Rot“ konsequent seine Fortsetzung. Das heißt, in all dem gibt es nur ganz wenige Anzeichen der Hoffnung, wobei das nicht heißt, dass es nicht komische Momente gäbe.
Das Besondere an Kessel ist, es gab und gibt immer wieder Gründe, die sein Tun nachvollziehbar machen, weshalb man ihn als Zuschauer sympathisch finden kann. Sonst würde diese Geschichte nicht funktionieren. Er kämpft gegen seine Drogensucht, er kämpft um seine Familie, man sieht sein Bemühen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Kessel ist eine Ratte, ja, aber nicht nur, und er ist eine Ratte unter Ratten, das ist sein Spielfeld. Trotzdem schafft er die Läuterung, da gibt es einen wunderschönen Moment, wo alles gut zu werden scheint.
Es ist schwer zu erklären. Wir haben auch viel darüber debattiert, wie diese Freundschaft glaubwürdig bleibt, die da ganz tief unten drin existiert. Das ist nicht bloß Corpsgeist, denn Kessel ist nicht mehr bei der Polizei. Es gibt da etwas, das darüber hinaus geht und schwer zu fassen ist. Eigenartig.
Es ist nicht so, dass Niki und ich ständig miteinander telefonieren würden. Trotzdem finden wir bei diesen Filmen von Lars Becker immer wieder zusammen. Da gibt es dann diese Verbundenheit und das nun schon seit einem Jahrzehnt, in dem die Filme entstanden sind...
… ich weiß noch, als wir im Flugzeug saßen auf dem Weg zu einer Leseprobe, jeder das Drehbuch von „Unter Feinden“ in der Hand und mit einer gewissen Ratlosigkeit, wie wir zwei das spielen sollen. Dann steht man aber vor der Kamera und es passiert. Das liegt auch an Lars Becker, der genau weiß, was er als Regisseur von uns will. Da gibt es keine Sentimentalitäten, sondern klare Ansagen. Wenn wir ganz verzweifelt sind, sagen wir uns, der Lars wird es schon wissen. Ernsthaft, es gibt Figurenkonstellationen, die funktionieren, was es aber ausmacht, lässt sich nicht wirklich in Worte fassen.
Als „Unter Feinden“ beim Filmfest München lief, hieß es in der Moderation, man sei erstaunt, dass so etwas im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich ist. Einen Polizisten so zu zeigen, einen, der sich die Spritze setzt und noch anderes mehr treibt, das ging eigentlich gar nicht. Kessel war immer eine Herausforderung. Ich freue mich, dass ich als Schauspieler da dabei sein durfte.
Eine Vertrauensfrage
Das hat etwas mit Vertrauen zwischen Redaktion und Regisseur zu tun. Ich bin in einer Zeit groß geworden, da gab es das noch. Da hat ein Redakteur eines Senders den Regisseur vielleicht dramaturgisch betreut, aber es war und blieb der Film des Regisseurs. Weil man seine Handschrift sehen wollte – und nicht, wie heute oft, die Handschrift des Redakteurs XY. Das killt nämlich Kreative in ihrer originären Film- und Fernsehsprache, das sieht man. Es ist deshalb auch ein Glücksfall, wenn man, so wie ich jüngst, mit einem Götz Spielmann einen Landkrimi drehen darf. Das ist auch einer, der sich nicht in ein System zwingen lässt und ich will dann auch als Schauspieler, dass er seine Geschichte so erzählen kann, wie er es wollte.
Ich wüsste nicht, wie sich zwei alternde Österreicher noch länger durch Hamburg schleppen könnten, außer um zu zeigen, dass sie in Rente sind. Und selbst das wäre eine unglaubliche Überraschung – fast wie „Wetten, dass?!“ mit Thomas Gottschalk nach zehn Jahren.
Ein 90-Minüter funktioniert nach völlig anderen Gesetzmäßigkeiten als eine Serie. Daran haben wir uns ziemlich abgekämpft. Es ist aber auch eine Chance. Eine Fortsetzung ist ja eine Sender-Entscheidung, aber wenn, dann wäre ich weiterhin für dieses neue Format, weil man anders erzählen kann. Das war jedenfalls ein Kraftakt auch mit Corona, worauf auch die Autoren reagieren mussten usw. Also, da ist noch Luft nach oben. Wirklich wunderbar war die Arbeit mit den Kollegen. Das war tatsächlich fast wie die Situation bei einem Klassentreffen.
Mit der Morzé hab‘ ich ja, als ich an der Josefstadt begonnen habe, viele Stücke gespielt. Mit Harald Windisch hab ich u.a. „Ein Dorf wehrt sich“ gemacht, auch Gerhard Liebmann war da ja mit dabei. Mit Marion Mitterhammer habe ich damals begonnen, fernsehen zu machen – „Der Weissenthaler“, das war in den 1990er Jahren der tollkühne Versuch des ORF, in das Sitcom-Geschäft einzusteigen (lacht). Mit Marion war ich ja auch an der Josefstadt. Also, es war wirklich klasse, all diese Kollegen bei „Meiberger“ um sich zu haben.
Alter Sack
Mein Gott, schau ich alt aus (lacht). Ich hab mir dann aber gesagt, sei nicht so eitel, es passt ganz genau auf die Situation des Meiberger, der gerade nicht die optimale Lebensphase hat – der Führerschein ist weg, weil er zu viel sauft, der Sohn muss ihn fahren, die früheren Schulkollegen ätzen über ihn, dass er einen Bauch hat. Nach meinem Geschmack hätte man darauf durchaus noch ein wenig herumreiten können, dass er energetisch ein alter Sack ist, aber natürlich fordert auch die Krimi-Geschichte mit ihren Wendungen ihren Tribut. .
Wir haben davor noch nie zusammen gespielt und es war wunderbar. Ihre Rolle, diese leicht verhuschte Kommissarin, so zu spielen, dass es nicht kippt, ist nicht einfach. Sie ist völlig uneitel und wirklich toll.
Ja, stimmt (lacht).
Das Problem daran ist, dass ich ein permanenter Schulabbrecher war, also ich war noch nie bei einem dabei. Das einzige Anschreiben zu einem Treffen war jüngst, und das war vom Landwehrstammregiment Wiener Neustadt, weil dort jemand eines organisieren wollte und ich der einzige Name war, der ihm noch bekannt war. Mein Zugang zum Thema geht über den wunderbaren Film „Klassentreffen“ von 2019 mit der Uhlig, Charlie Hübner, Nina Kunzendorf. Jeanette Hain, Oliver Wnuk … 18 tolle Schauspieler haben dafür fünf Stunden lang ein Klassentreffen improvisiert. Jeder hatte dazu eine Vita bekommen, genial. Nicht nur angesichts der äußeren Umstände, also Corona, fand ich die Idee des Klassentreffens für „Meiberger“ einen gelungenen Kniff. Wenn man die Serie jetzt als 90-Minüter weitermacht, dann braucht es immer eine Thematik oder Symptomatik und es müssen sich die Charaktere wieder mehr um die Psychologie kümmern. Das ist ein weites Feld.
Jung im Geist
Ich bin in der Serie nicht für den Humor zuständig (lacht). Das hab ich auch Martina Ebm gesagt, die trotzdem immer wieder meinte, ich sei lustig. Seit Anfang des „Meiberger“ wird immer wieder viel geredet, gestritten, erfunden und verworfen hinsichtlich der Frage, wohin sich die Figur entwickeln soll. Also, da ist ständig Bewegung drin in diesem Format und bei dieser Figur
Interessanterweise werde ich nicht mehr als junger Liebhaber besetzt, was nur ein Irrtum der Caster sein kann (lacht). Ich merke natürlich, dass sich aufgrund meines Alters die Angebote verändern. Es werden mehr Eltern- und Vater-Rollen. Gleichzeitig sind durch die Streaming-Dienste grundlegende Umwälzungen im Gang; da muss alles jung, dynamisch und divers sein. Das hat auch seine Berechtigung, außer vielleicht bei „Wetten, dass?!“, was diesbezüglich eine Zeitreise in die 1980er war. Also, da gibt es nachhaltige Veränderungen, und es geht darum, wach zu sein und jung im Geist. Rollen wie „Unterm Birnbaum“ oder „Ein Dorf wehrt sich“, die kommen nicht jeden Tag um die Ecke gebogen. Im Gegenteil, sie werden noch seltener werden, aber wenn es sie gibt, dann will sie jeder Schauspieler machen. Da ist es auch mal angebracht, einen Schritt zurückzutreten für eine interessante Rolle und nicht den Protagonisten zu geben. Denn mich einfach in eine Serie hineinzusetzen für ein gutes Auskommen, ist mir zu wenig – dann spekuliere ich lieber mit Krypto-Währungen.
Ich habe viele Ideen, und ich gebe die dann weiter zu weiteren Verwertung. Drehbuch ist eine unglaublich anstrengende Arbeit. Wenn man als Schauspieler immer wieder unter einem schlechten Drehbuch leidet, dann weiß man, wieviel ein gutes Drehbuch braucht. Bevor also Kollegen unter einem weiteren schlechten Drehbuch leiden, bleibe ich lieber Ideengeber.
Es führt mich wieder zu Lars Becker. Anfang Februar starten die Dreharbeiten zu einem weiteren Film von „Wahrheit oder Lüge“. Es geht darin um die Misshandlung von Frauen. Das wird wieder gemeinsam mit Natalia Wörner sein. Das wird eine ziemlich harte Geschichte.
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