Sexuelle Tabus brechen: Alles ist möglich, nix ist fix
Die Sexpositiv-Community in Österreich wächst, immer mehr Menschen wollen Offenheit und sexuelle Selbstermächtigung leben. Eine neue Plattform setzt sich für mehr Vielfalt ein.
Wertfrei mit Sexualität umgehen, Menschen ermutigen, ihren eigenen und authentischen Weg in die Lust zu finden, Vielfalt und Diversität leben: Das ist die Haltung der Sexpositiv-Bewegung, deren Community in Österreich zunehmend größer wird. "Ja, ich habe das Gefühl, es kommt viel häufiger zu Offenheit und Selbstermächtigung im Bereich der Sexualität", weiß die Sexualberaterin Nicole Siller aus der Praxis.
Vor allem bei der Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2012), deren Sex- und Gefühlskaleidoskop vom Blümchen-Sex zur BDSM-Party reicht, lautet das Motto: Alles ist möglich, nix ist fix, wir sind offen für vieles. Der zentrale Punkt: Unterschiedliche Wünsche in Bezug auf Sex werden nicht abgewertet oder schlecht gemacht.
Neue Plattform
"Die sexpositive Haltung ist hedonistisch. Sie sieht Sexualität als wesentliche Quelle für ein gesundes und erfülltes Leben", schreiben die beiden Autorinnen Beatrix Roidinger und Barbara Zuschnig im Buch „Sexpositiv“, mittlerweile das Standardwerk zum Thema. Damit im sicheren Rahmen zusammenkommen kann, was zusammengehört, haben drei junge Männer aus Österreich eine neue Plattform gegründet und nun vorgestellt: das Online-Portal "Maloum" (maloum.com).
Ihr erklärtes Ziel ist es, diverse sexuelle Vorlieben zu enttabuisieren und mehr Akzeptanz, beziehungsweise Toleranz für Fetische, sexuelle Fantasien oder Kinks zu schaffen. Menschen sollen ihre sexuellen Vorlieben anonym ausleben können, ohne mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. All das unter der Prämisse von Konsens und des gesetzlichen Rahmens.
Wissenswert
Begriffsbestimmung
Der Begriff "sexpositiv" kam bereits in den 1970er-Jahren auf – und zwar im Rahmen der Frauenbewegung. Es ging um die Frage, wie im Rahmen einer restriktiv-patriarchalen Gesellschaft und damit verbundenen Haltungen Sexualität verändert werden könnte. Im Jahr 1981 prägte die Journalistin Ellen Willis durch einen Essay schließlich den Begriff "sexpositiver Feminismus".
Merkmale
Der sexpositiven Bewegung geht es um sexuelle Freiheit für alle. Das bedeutet etwa Zugang zu Informationen oder Einvernehmlichkeit. Sowie Offenheit gegenüber diversen Sexualpraktiken – und Toleranz dafür.
"Sexualität ist Vielfalt, speziell unsere Generation ist besonders neugierig und experimentierfreudig. Umso mehr war es uns ein Anliegen, eine Art ‚Safe Space‘ zu schaffen, damit Menschen sich so zeigen können, wie sie möchten", erzählt Mit-Gründer Tobias Mittendorfer. Und das möglichst frei von Vorurteilen – was in unserer Gesellschaft nach wie vor nicht einfach und möglich ist, wie die attraktive Mittvierzigerin Natalie aka "Latex-Mama" schildert.
Vor 25 Jahren hat die Mutter einer Tochter ihre Leidenschaft für Latex entdeckt, für sie ist es wie eine zweite Haut. In Jogginghose und Sneakers würde sie niemals einkaufen gehen, selbst im Alltag oder beim Kochen trägt sie meist High Heels und hautenge Kleidung: "Es ist meine Fashion."
Das sorgt mitunter für Irritationen: "Ich wurde schon als pervers bezeichnet und merke oft Ablehnung beziehungsweise Verärgerung, wenn ich mich in der Öffentlichkeit so zeige. Und trotzdem stehe ich dazu“, sagt sie. Ihren Fetisch lebt sie nicht nur privat, sondern auch in diversen Kanälen im Internet aus. Einerseits als Geschäftsmodell, andererseits, um damit anderen Menschen Mut zu machen, zu ihren Vorlieben zu stehen. "Durch eigenes Vorleben motiviere ich zu jeglicher Diversität im sexuellen Kontext."
Selbstermächtigung
Tatsächlich sind es oft Frauen, die, im Sinne der Selbstermächtigung, ermutigen, zu sich zu stehen, weiß Siller: "Sie tun das nicht, um zu gefallen, sondern weil sie es wollen. Männer profitieren davon, weil es ihnen dann leichter fällt, über ihre eigenen Kinks und Fetische offen zu sprechen." Zumal sich sexuelle Bedürfnisse im Laufe eines Lebens verändern können: Nur, weil man die letzten Jahre eine bestimmte Art von Sexualität gelebt hat, bedeutet es nicht, dass das für immer so sein muss.
Fetisch und Kink – was ist das überhaupt?
Allzu oft werden diese beiden Begriffe vermischt und verwechselt – doch es gibt einen Unterschied, so die Wiener Sexualberaterin Nicole Siller. Ein Fetisch kann sich auf Objekte, Gerüche oder Materialien beziehen, aber auch auf Körperteile. Man braucht ihn, um in Erregung zu geraten.
Das macht den Unterschied zu "Kinks" – als Spielvarianten, die Lust machen können, aber zur sexuellen Erregung nicht zwingend nötig sind. Siller ergänzt: "Sehr viele Menschen haben Vorlieben, Kinks oder Fetische. Es ist meist sehr erleichternd, zu wissen, dass das normal ist. Wie schön, einander zeigen zu können, was den persönlichen Zauber ausmachen kann. So lange alle Beteiligten erwachsen sind und freiwillig mitmachen, ist alles gut."
Wie es zu einem Fetisch kommen kann, ist wissenschaftlich noch nicht ganz geklärt. "Wir nehmen an, dass es mit frühkindlichen Erfahrungen zu tun hat, aber auch mit genetischer Veranlagung."
"Man sollte daher immer offen für Neues sein. Dafür ist jetzt eine besonders gute Zeit, weil sich diesbezüglich gerade sehr viel tut und niemand an dem Bild von Beziehung und Sexualität festhalten muss, das er für lange Zeit hatte", sagt auch Nina Braith, die unter dem Namen "Ohvulvina" einen Instagram-Kanal zum Thema „weibliche Sexualität“ betreibt. Dort will sie "Frauen mit Vulva zu einer selbstbestimmten und lustvollen Sexualität" verhelfen.
Und wie legt man seinem Partner die alternativen Gelüste ans Herz? "Das ist nicht ganz einfach, vor allem, wenn man mit jemandem bereits länger in einer Beziehung ist", sagt Nina. Sie rät daher, es langsam und spielerisch anzugehen und behutsam zu signalisieren, dass man Lust auf Neues hätte. Ein erster, kleiner Schritt.
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