
Meno-Momente: Weibliche Lust jenseits von Erwartungen
Dass über die weiblichen Wechseljahre nachgedacht und geredet wird, ist super – doch nicht jedes Befreiungs-Mantra führt ins Paradies.
"Sexzeiten“ miteinander vereinbaren – das wird Paaren oft geraten, deren Libido in die Jahre gekommen zu sein scheint. Nicht nur, weil das intime Miteinander an Kolorit und Kick verloren hat, sondern auch der Hormone wegen. Das betrifft, in aller Wucht, zunächst die Frauen.
Da ging mal was – scheint aber nicht mehr wiederzukommen.
Ein radikaler Wandel, der auf dem Umschlag des Buches "Auf allen vieren" von Miranda July sehr beeindruckend dargestellt wird: Da sieht man einen steil abfallenden Felsen in der Abenddämmerung als Symbol für das dramatische Sinken des Östrogenspiegels der Frau in den Wechseljahren. Womit nicht nur verminderte Sexyness und allzu bescheidenes Wohlbefinden gemeint sind, sondern auch der patriarchal-vermeidende Blick auf ein Thema, mit dem die meisten Herren hoffnungslos überfordert sind.
Aber ja: Auch männliche Sexualhormone werden weniger, doch das Testosteron verringert sich eher sanft, während für Frauen gilt: Ab Mitte 40 geht’s rasch bergab. Was July im Buch so beschreibt: "Wir stürzen jeden Moment von einer Klippe. In ein paar Jahren sind wir völlig andere Menschen."
Gut ist, dass darüber mehr denn je geredet, geschrieben und nachgedacht wird – raus aus dem stillen Dulden, rein in eine deutlich-laute Selbstermächtigung.
Und trotzdem kann man mit jeder Facette davon nicht immer zufrieden sein, weil der omnipräsente Appell, "sich neu zu erfinden" und "sexuell zu reanimieren" erst wieder Druck erzeugt – und viel zu hohe Erwartungshaltungen an sich selbst.
Denn was, wenn es akut an frischen Dates mangelt, man die eigenen Eltern oder gar den Partner pflegen muss oder grundsätzlich im Strudel des Alltags verloren geht? Nicht jeder kann es sich leisten, sich seiner Neuerfindung zu widmen.
Die Glorifizierung des großen "Turnarounds" samt dopamingetriebenem "Vögel dich frei"-Frischekick hat also auch Schattenseiten. Die Realität schaut nämlich oft so aus: Alles zu vereinen, geht auf Dauer nicht.
Die Glorifizierung des großen "Turnarounds" samt dopamingetriebenem "Vögel dich frei"-Frischekick hat also auch Schattenseiten. Die Realität schaut nämlich oft so aus: Alles zu vereinen, geht auf Dauer nicht.
Alles geht nicht, schon gar nicht "easy"
Abhängig davon, wann die Wechseljahre beginnen (meist ab 45), stecken Frauen in dieser Lebensphase immer noch im drängenden Gefüge von Familie, Kindern, Job, Haushalt und Ehemann/Partner – heißt: Sie sollten idealerweise die perfekte Balance zwischen der Organisation von eh allem und glanzvollen Auftritten als Vamp im sich selbst transformierenden Geilheitsmodus schaffen. All das zu vereinen, kann auf Dauer nicht funktionieren, schon gar nicht "easy", wie es immer wieder gerne kommuniziert wird.
In Wirklichkeit ist es ja so: Untertags powern sich Frauen völlig aus – ab 21 Uhr würden sie daher gerne im Bett liegen und schlafen. Und das, in den meisten Fällen: allein.
Keine Lust? Auch ok!
Am Ende gilt: Die Wechseljahre sind eine Phase großer Veränderungen, die jede Frau individuell erlebt. Wer gerade keine Lust hat, sich in dieser Phase neu zu erfinden, auch okay. Viel wichtiger ist es am Ende doch, sich endlich, endlich von Erwartungen abzugrenzen und zu lösen, um herauszufinden, was für einen selbst gut ist.
Weniger müssen, mehr fühlen und authentisch wollen, das ist das Mantra des Meno-Moments. Sollte sich die Lust verändern, bedeutet das nicht automatisch den Weltuntergang, sondern die Chance, einen veränderten Blick auf die eigene Sexualität zu werfen.
Sich dabei nicht im Selbstoptimierungsmodus zu verlieren, kann unglaublich entlastend sein – vor allem aber zielführend. Denn wo nix mehr muss, kann viel wachsen, auch die Lust. Auf das Leben, auf sich selbst, auf das wundersame Spektrum an Begegnungen – von lüstern bis leise, von wild bis weise.
Buchtipp
Das queere Leben nimmt zu: Je nach Alter geben 5 bis 15 Prozent der deutschen Bevölkerung an, nicht (nur) auf das eigene Geschlecht zu stehen. So geschah es auch bei Louise Morel: Nach mehreren mittelguten Beziehungen mit Männern wurde sie mit fast 30 Jahren lesbisch. In ihrem Buch "Lesbisch werden in zehn Schritten" (Ullstein) ermutigt sie Frauen, ihr Begehren zu erforschen und Sexualität neu zu denken.
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