Ein Paar sitzt im Bett und schaut auf einen Laptop.

Sexualtherapeutin: "Paaren würde es guttun, gemeinsam Pornos zu schauen"

Vor allem Frauen beunruhigt es, wenn der Mann Pornografie konsumiert. Warum das nicht schlimm ist, erklärt die Schweizer Paar- und Sexualtherapeutin Ursina Donatsch im Interview.

Rund 90 Prozent der Männer und etwa 50 Prozent der Frauen schauen zumindest gelegentlich Pornos. Oft geschieht das im Geheimen, ohne das Wissen des Partners oder der Partnerin und mit schlechtem Gewissen. 

Noch immer ist Pornografie ein Tabuthema, obwohl sie so leicht verfügbar ist, wie nie zuvor. In Beziehungen führt das häufig zu Problemen, wie die Schweizer Paar- und Sexualtherapeutin Ursina Donatsch in Studien und in ihrer Praxis feststellte. Wie Paare dem Teufelskreis des heimlichen Pornokonsums entkommen können und warum es vielen guttäte, nicht nur über Pornos zu reden, sondern sie auch gemeinsam zu schauen, erklärt sie im Interview.

Warum ist Pornografie noch immer ein Tabuthema? 

Ursina Donatsch: Das Thema Sexualität generell ist tabuisiert, auch wenn es in den vergangenen Jahren mittlerweile salonfähiger geworden ist. Bei Pornografie scheint das Tabu ein bisschen hartnäckiger zu sein, weil sie zur Solosexualität und den sexuellen Fantasien gehört und die sind für die meisten noch intimer, noch persönlicher. Dennoch ist es sehr wichtig, dass mehr über Pornografie geredet wird, und zwar nicht nur oberflächlich. Also nicht nur, dass man Pornos schaut, sondern was sie mit einem machen, was die Motive sind, welche Ideen sie geben können, vor allem innerhalb einer Partnerschaft. Es wäre wichtig, dass dieses Thema enttabuisiert wird und dass insbesondere auch Paare den Mut haben, miteinander über Pornografie zu reden. 

Sie schreiben, dass Pornografie in der Partnerschaft häufig etwas Geheimes ist und Frauen sich vom Partner oft betrogen fühlen, wenn sie merken, dass er Pornos konsumiert. Warum ist das so und wie sehen das Männer? 

Es gibt tatsächlich einen großen Gender Gap. Frauen haben deutlich mehr Probleme mit dem Konsum des Mannes, mit ihrem eigenen hingegen nicht. Männer haben weniger Probleme damit, wenn ihre Partnerin Pornos schaut. Das stört sie nicht, aber was sie viel mehr machen, ist der eigene Vergleich mit einem Mann im Porno. Frauen machen diesen Vergleich mit dem Körper der Frauen auch. Aber sie projizieren es auf den Mann. Sie stellen sich vor, dass er die Frauen im Porno begehrt und mich vielleicht weniger. Grund dafür ist etwas, das wir alle in Partnerschaften kennen: Eifersuchtsgefühle. 

Mit dem Porno sind sie expliziter, im Sinne von "Ich genüge nicht". Je weniger sexuelle Selbstsicherheit, je weniger ein Mann oder eine Frau in sich gut verankert ist und selbst ein Gefühl hat von “Ich fühle mich attraktiv und begehrenswert”, desto mehr ist es eine Bedrohung, dass der Partner vielleicht andere Menschen auch begehrenswert findet. Das heimliche Pornoschauen, oft mit schlechtem Gewissen, kann noch mehr Ängste bei der Partnerin auslösen.

Ursina Donatsch ist Paar- und Sexualtherapeutin in der Schweiz.

Schweizer Paar- und Sexualtherapeutin Ursina Donatsch

©Privat

Ist der Pornokonsum des Partners ein häufiges Thema in der Paartherapie?

Es ist nicht der Grund, weshalb Paare kommen, aber auf Nachfrage kommt es oft als Thema auf, da es dazu viele Ängste und Unsicherheiten gibt. Wichtig ist, den Pornokonsum zu normalisieren. Jeder Mann, jede Frau schaut Pornos. Das gehört zur Sexualität, auch in einer Partnerschaft. Jeder hat seine eigene Sexualität, die in der Solosexualität auch einfach geübt werden muss. Und da kann der Porno eine Quelle sein. Wenn ich in der Paartherapie frage, warum ein Mann Pornos schaut, kommt meistens: "Weil es schneller geht, aber es bedeutet mir eigentlich nicht viel". Das ist dann oft enorm entlastend für die Partnerin. 

Frauen stellen sich oft viel mehr vor, dass es z. B. auch um diese Frau im Porno geht und was es für Dinge sind, die dem Mann in der gemeinsamen Sexualität vermeintlich fehlen. Oftmals ist das tatsächlich gar nicht der Fall, sondern der Porno ist ganz simpel eine Quelle der Erregungssteigerung. Es gibt auch einen Unterschied zwischen Fantasie und sexuellen Bedürfnissen. Nicht alles, was ich im Porno schaue, will ich in der Realität umsetzen. Ich lade oft auch die Frauen noch alleine ein, um herauszufinden, was es brauchen würde, dass sie den Pornokonsum des Mannes besser verstehen. Sie könnte zum Beispiel auch selbst anfangen, einen Porno zu schauen. Nicht, dass sie das müssen, aber vielleicht hilft es, ihn besser zu verstehen. 

Würde es Beziehungen guttun, wenn Paare gemeinsam Pornos schauen? 

Auf jeden Fall. Und zum Glück ist das auch wissenschaftlich belegt. Ich gebe das manchmal als Hausaufgabe, dass Paare gemeinsam einen Porno schauen. Und wenn Sie sich das vorstellen – da sitzen dann beide vor dem Computer und dann geht es schon los, weil dann heißt es: Wer sucht aus? Was schauen wir? Es beginnt ein Austausch über sexuelle Bedürfnisse, sexuelle Grenzen, darüber, was mich anturnt und was nicht. Etwas, das sonst oft nicht stattfindet. Und dann kommt das Paar mit diesen vielen Eindrücken zurück in die Praxis und das entlastet enorm. 

Verändert regelmäßiger Pornokonsum die Sexualität?

Es kann zu Gewöhnungseffekten und zu einer Abstumpfung kommen bis zu dem Punkt, wo man den Porno zwar schaut, aber nichts mehr dabei spürt, auch den eigenen Körper nicht mehr spürt. Man kann dem entgegenwirken, indem man dem Porno die Kraft ein wenig entzieht, aber nicht im Sinne von "Das darf ich jetzt nicht mehr", weil das wird das Gegenteil bewirken, dann wird es spannender und anziehender. Sondern eben andere Quellen zu nutzen oder auch den Körper anders einzusetzen dabei. Das kann man mit ganz einfachen Dingen tun, etwa den Computer ein wenig weiter wegstellen oder zwischendurch mal die Augen schließen, um zu spüren, wie sich das im Körper anfühlt. Mit ganz einfachen Achtsamkeitsübungen geht es relativ schnell, dass diese Gewöhnungseffekte weniger werden.

Der Zugang zu Pornografie ist in den letzten Jahren viel einfacher geworden. 

Ja, sehr. Genau deshalb ist es so wichtig, nicht zu dramatisieren oder zu pathologisieren, sondern zu schauen, wie man einen gesunden Umgang finden kann, als Paar, aber auch als Einzelperson. Ein gesunder Umgang heißt, den Bezug zum eigenen Körper nicht zu verlieren, und gleichzeitig dieser Scham und den Schuldgefühlen, die viele beim Pornokonsum empfinden, entgegenzuwirken. Der problematische Konsum, die sogenannte "Pornosucht", nimmt massiv zu. 

Damit ist nicht die Häufigkeit des Pornokonsums gemeint, sondern das eigene Gefühl, den Konsum kontrollieren zu können. Kann ich den Beginn, die Dauer und das Ende des Pornoschauens steuern? Das andere Kriterium sind die Konsequenzen. Gibt es einen Leidensdruck? Gibt es Rückzug? Gibt es Hobbys, die vernachlässigt werden? Probleme in der Partnerschaft, die dadurch entstehen? Ist Solosexualität zusammen mit dem Porno die einzige Stressbewältigung oder Entspannungsmöglichkeit, hat es eine Funktion, die gefährlich werden kann. 

Warum sind Männer eher gefährdet als Frauen? Gibt es Pornosucht bei Frauen überhaupt? 

Nein, das ist mir noch nie begegnet. Die Solosexualität von Männern und Frauen unterscheidet sich stark. Männer nutzen zu 90 Prozent die visuelle Quelle. Sie möchten über das Auge erregt werden. Frauen nutzen hingegen alle fünf Sinne – das Visuelle ist nur einer davon. Frauen nutzen auch ganz andere Entspannungsquellen als die Solosexualität. 

Neben Erwachsenen haben heute auch Kinder und Jugendlichen einen viel leichteren Zugang zu Pornografie. 

Das ist ein sehr problematisches Thema. Erwachsene können durchaus unterscheiden, was Realität und was Porno ist. Das ist bei den Jugendlichen ganz anders und deshalb braucht es Prävention und Aufklärung. Früher Pornokonsum kann wirklich schädlich für die natürliche sexuelle Entwicklung sein, da Jugendliche noch keine eigenen Erfahrungen gemacht haben. Sie können keinen Vergleich ziehen. Heute ist der Porno für viele Jugendliche neben dem, was sie vielleicht in der Schule hören, die sexuelle Aufklärung. Das ist dann schon sehr gefährlich, auch z. B. hinsichtlich der Rollenbilder, die oft in Pornos vermittelt werden. 

Verbote helfen aber nicht, weil Jugendliche immer Wege im Internet finden. Was wir stattdessen tun können und wofür ich plädiere ist, dass die Jugendlichen und bereits Kinder sensibilisiert werden. Auch Eltern sind gefordert, hinsichtlich Pornografie zu sensibilisieren, dahingehend, dass das, was man in Pornos sieht, nicht die Realität sein muss und dass es wichtig ist, eigene Erfahrungen selber zuerst am eigenen Körper zu machen. Damit Jugendliche einen gesunden Umgang mit Pornografie finden, braucht es viel mehr Hilfe von den Erwachsenen und vom Bildungssystem.

Buchinfo

Ursina Donatsch weiß aus ihrem Praxisalltag, dass Paare, die gemeinsam Pornos schauen, eine intensivere sexuelle Kommunikation pflegen und sich eher über sexuelle Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen austauschen als jene, die das nicht tun. In vielen Partnerschaften werden Pornos heimlich geschaut, was zu Vertrauensproblemen und Unsicherheiten führen kann. Darüber hinaus kann der Pornokonsum zu einem zwanghaften oder süchtigen Verhalten ausarten – einem Problem, mit dem sich Betroffene oft alleingelassen fühlen, da das Thema schambehaftet ist.

Der Ratgeber "Pornos und Partnerschaft. Lust oder Last?" bietet Orientierung für Paare und hilft ihnen zu ermitteln, in welchem Maße Pornokonsum unbedenklich für die Beziehung ist, wann es Zeit ist, die Notbremse zu ziehen, und welche Schritte dann zu unternehmen sind. Zugleich bietet er Paar- und Psychotherapeuten sowie Suchttherapeuten eine wertvolle Ressource, die sie ihren Klienten empfehlen können.

Hogrefe Verlag, 192 Seiten, 25 Euro. Erhältlich ab 7.10.2024

Elisabeth Gerstendorfer

Über Elisabeth Gerstendorfer

Redakteurin Gesundheit, Wissen Studierte Psychologie und Soziologie in Wien. Journalistenkolleg des Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg. Seit 2013 bei KURIER im Ressort Lebensart. Zuvor u.a. tätig für Presse, Schaufenster und Österreichische Ärztezeitung.

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