Kolumne von Gabriele Kuhn bei "Sex in der Freizeit"

Dr. Ruth hat uns gewarnt: "Ohne Konversation gibt's keinen guten Sex"

Die kürzlich verstorbene Ruth Westheimer machte Begriffe wie "Vagina" und "Penis" medial salonfähig, zuletzt engagierte sie sich für einsame Menschen. Ihr Vermächtnis ist wichtiger denn je.

Dr. Ruth ist nicht mehr. Die bekannteste Sextherapeutin der Welt, Ruth Westheimer, verstarb am 13. Juli im Alter von 96 Jahren. Eine kleine, großartige Frau, eine Pionierin im offenen Umgang mit delikaten Themen. Ihr Anliegen war es, Sexualität humorvoll und mit augenzwinkerndem Tiefgang zu entmystifizieren. 

So behauptete sie, dass männliche Skifahrer besonders gute Liebhaber seien, weil sie nicht den ganzen Tag vor dem Fernsehgerät herumkugeln, sondern etwas riskieren – und: "Sie verstehen es, mit dem Hintern zu wackeln." 

Im September dieses Jahres erscheint ihr Buch zum Thema Einsamkeit, mit dem Titel "The Joy of Connections. 100 Ways to Beat Loneliness and Live a Happier and More Meaningful Life". Zuletzt engagierte sich Westheimer als Botschafterin der Einsamen. Nach Sex ein weiteres großes Thema.

Was auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheint, ist aber verflochtener, als man vermuten würde. Laut einer Studie der Caritas fühlen sich fast 600.000 Menschen in Österreich mehr als die Hälfte der Zeit einsam. Betroffen sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch viele junge. Fehlende soziale Kontakte und Isolation führen zum Gefühl des Getrenntseins. Es mangelt an echter Verbindung. Und das hat auch damit zu tun, wie Beziehungen heutzutage angebahnt werden: vorwiegend mit Hilfe von Dating Apps.

Sie rangieren auf Platz eins der "Kennenlern"-Optionen, und das ist nicht nur herzerwärmend. Dabei scheint diese Welt auf den ersten Blick vielfältig und bunt: Man ist mal da, man ist mal dort, idealerweise überall gleichzeitig – auf Tinder, Bumble, Hinge. Super. Doch immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sich Online-Dating auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann. In seiner kalten Logistik, mit dieser Unverbindlichkeit, Schnelligkeit und Oberflächlichkeit gehen persönliche Kontakte, tiefgehende Nähe und das Einlassen auf echte Begegnungen verloren. 

Ruth Westheimer missfiel das, sie plädierte für echte Kontakte: "Sei engagiert. Gehe zu Konzerten, Aufführungen, Vorträgen – Veranstaltungen, die dich interessieren."

"Erleichterung, aber nicht genug"

Das erste Beschnuppern, der Flirt, die Anbahnung, all das fehlt. Stattdessen werden Menschen in der "Isolation" kennengelernt: Mit dem Handy in der Hand, weit weg vom Leben da draußen, blickt man auf Fotos und Profildaten, abseits von Partys, Barhockern, Drinks, dem Lachen und Duft der anderen. Man scheint mittendrin, ist aber nie dabei. Ruth Westheimer missfiel das, sie plädierte für echte Kontakte: "Sei engagiert. Gehe zu Konzerten, Aufführungen, Vorträgen – Veranstaltungen, die dich interessieren." 

Dabei wäre es auch wichtig, Risiken einzugehen, um Beziehung mutig zu initiieren. In einem Interview mit der "New York Times" meinte sie: "Um sich nicht einsam zu fühlen, muss man physisch mit einer anderen Person zusammen sein. Online mit jemandem in Kontakt zu sein, bietet zwar etwas Erleichterung, aber nicht genug."

Da verwundert es kaum, dass es dazu einen neuen Begriff gibt: Dating-Burnout. In einer aktuellen Studie untersucht Wera Aretz, Psychologin an der Hochschule Fresenius, Köln, dieses Phänomen einer gewissen Überforderung. Die Hauptgründe dafür seien eine zu große Auswahl an möglichen Partnern und die Schwierigkeit, sich zu entscheiden – bei gleichzeitigem Erfolgsdruck

Im richtigen Leben jemanden kennenzulernen wird immer komplizierter, ebenso wie die Möglichkeit, sich behutsam anzunähern. Stattdessen werden Bedürfnisse ruckzuck befriedigt – als würde man sexuellen Smalltalk führen. Dr. Ruth bedauerte den digital bedingten Verlust an Kontakt in einem KURIER-Interview: "Ohne Konversation gibt’s keinen guten Sex." Alsdann Handys weg – und auf ins echte Leben.

Forschung

Wie sehr die sexuelle Vorgeschichte einer Person beeinflusst, was andere von ihr denken, beleuchtete eine Studie, die im Magazin "Sexuality & Culture" veröffentlicht wurde. Personen mit einer höheren Anzahl von Sexualpartnern oder solche, die sich auf zwanglose  Beziehungen eingelassen hatten, wurden weniger positiv bewertet. Erstaunlich: Männer wurden für dasselbe sexuelle Verhalten negativer beurteilt als Frauen.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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