Frau und Mann beim Geschlechtsverkehr

Serie "Dying for Sex": Die finale Suche nach der Lust

Die Serie „Dying for Sex“ rüttelt auf, weil sie mit vielen Tabus zum Thema „Krankheit, Tod und Sexualität“ bricht.

"Bucket-Lists“ mit so dramatischen Überschriften wie „101 Dinge, die ich machen möchte, bevor ich sterbe“ boomen. Ebenso gibt es eine Vielzahl an Büchern zum Thema – mal mehr, mal weniger inspirierend, sowie Tausende damit verbundene Nachdenkprozesse im Sinne von „Was wäre, wenn ...“ Und manchmal, spätnachts, sitzt man, leicht trunken, mit ein paar Freunden beim Lagerfeuer und Gitarrengeklimper, um darüber zu sinnieren, was denn passieren würde, hätte man nur mehr ein paar Wochen zu leben. Was ist’s, das noch sein soll, sein muss? Was ist noch möglich? Wohin führt meine Sehnsucht? Und da wird deutlich: So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind deren Vorstellungen.

Eine letzte Selbsterforschung – mit BDSM, Masturbation, Rollenspielen, Kinks, Sexpartys und verrückten Dates. „Meine sexuelle Erkundung war eine Art zu sagen: Ich bin noch nicht bereit zu sterben“, sagte Kochan in einem Podcast, den sie mit ihrer besten Freundin Nikki gestaltete.

Dass es dabei auch um eine finale sexuelle Abenteuerreise gehen kann, zeigt die neue Serie „Dying for Sex“ (zu sehen auf Disney+). Im weitesten Sinn basiert sie auf der wahren Geschichte von Molly Kochan, bei der im Alter von 45 metastasierter Brustkrebs diagnostiziert wurde, 2019 starb sie daran. Seit Jahren in einer erotisch verflachten Ehe, nie einen Orgasmus erlebend, beschließt sie am Ende ihres Lebens, sich auf den Weg zu sich selbst zu machen. Worum es ihr geht? Sie will sich endlich spüren. Um doch noch einen Höhepunkt zu erleben – und sich mit Hilfe von Eros gegen Thanatos, den Tod, aufzubäumen. Eine letzte Selbsterforschung – mit BDSM, Masturbation, Rollenspielen, Kinks, Sexpartys und verrückten Dates. „Meine sexuelle Erkundung war eine Art zu sagen: Ich bin noch nicht bereit zu sterben“, sagte Kochan in einem Podcast, den sie mit ihrer besten Freundin Nikki gestaltete. Und ja: Die Serie irritiert viele Zuschauer, weil sie auf ungewöhnliche Weise Themen wie Sexualität, Krankheit und Tod miteinander verknüpft.

 

Bedürfnis nach Nähe

In vielen Köpfen geht sich das einfach nicht aus – da wird an einem Tabu gekratzt. Das gängige Narrativ: Wenn jemand schwer krank ist oder dem Tod nahe, verliert Sexualität automatisch an Bedeutung. Auch: Der kranke Körper ist zu schwach oder zu „unerotisch“, um noch sexuell aktiv zu sein. Außerdem sollte der Fokus gefälligst auf „wichtigeren“ Dingen liegen – Abschied, Spiritualität, Familie. Sexualität? „Unnötiger Luxus“! Ein Missverständnis, basierend auf Erwartungshaltungen einer Gesellschaft, die sich mit Tod und Sterben kaum auseinandersetzt. Aber besonders in dieser letzten Phase sollte folgendes Credo gelten: Jeder darf tun, was und wie er mag. Genau das, was für ihn gut ist.

Fakt ist – und das zeigen auch Befragungen und Studien zum Thema: Viele Menschen – etwa mit Krebs im Endstadium – haben weiterhin ein großes Bedürfnis nach Nähe, Intimität, Lust oder Körperkontakt. Das mag sich in Form, Häufigkeit oder Bedeutung zwar verändern, aber verschwindet nicht zwangsläufig. Und es gilt: Auch veränderte Körper können Träger sexueller Lust sein – dabei ergeben sich vielerlei Wege, Sexualität auszuleben. Jenseits des „koitalen Imperativs“ warten möglicherweise neue und völlig andere Erfahrungen und Experimente. Das Schöne daran: Sexualität wird auf diese Weise als selbstermächtigend erlebt. So wie Molly, die sich damit ein Stück Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben zurückholt, das ihr durch die Krankheit zu entgleiten scheint. Nicht nur: Mit Hilfe von Sex und Entgrenzung taucht sie in ihre Ängste ein, probiert sich und lehnt sich so gegen Konventionen auf. Und letztendlich kann Sex auch als leidenschaftliches Auflehnen gegen den Tod verstanden werden. Dann wird die Lust zum Statement und Akt des Lebendigseins: Ich bin noch hier.

Nachhören

Der Podcast „Dying for Sex“ mit Molly Kochan  und ihrer Freundin Nikki Boyer ist nach wie vor „on air“. Er besteht aus sechs Episoden, die zwischen Februar und März 2020 veröffentlicht wurden.   Er beleuchtet Themen wie Freundschaft, Krankheit, Lust und Selbstbestimmung und gewann 2021 den Preis „Podcast of the Year“  bei den Ambie Awards. Zu hören auf gängigen Plattformen wie Spotify oder Apple.  

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

Kommentare