Polly Adler: Tatsächlich Liebe

Warum Gewohnheiten wie ein Blumenstrauß Valium wirken.

Und wenn die Stimme aus dem Off dann die Sätze sagt: "Ehe die Flugzeuge in die Twin Towers rasten, waren die letzten Botschaften, die die Menschen ihren Liebsten  sandten, bar von Hass und Rache, sondern nur voller Liebe”, werden wir bereits in emotionaler Auflösung auf dem Sofa drapiert sein, le Fortpflanz und ich. 

Jedes Jahr am 24. Dezember um den frühen Nachmittag die selbe Prozedur: beim Vorglühen präventive Baldriantröpfchen für die abendliche Familienaufstellung im Großeltern-und Elternhafen, danach Champagner in Begleitung des Klassikers „Tatsächlich Liebe”. Ich winsle, dass das Kind bitte alle meine Geschenke einpacken soll, denn von mir sehen die immer aus wie von einem Waldorf-Vorschulkind, das unter großem Stress gestanden ist. 

Meine Mutter wird wie immer ächzen, dass sie alles alleine machen muss und mein Vater keinen Finger rührt; mein Vater wird den ganzen Tag unter dem Vorwand von Frischluftdefiziten in den Wald geflüchtet sein, das Puppenhaus für meine Nichte (ich habe Papas handwerkliche Begabung) muss ein grundgütiger Nachbar zusammen bauen.  Mein Ex-Lebensinhalt zückt jetzt unter Wehklagen Tixo und Schere, um mich dann auch darauf vorzubereiten, dass mein Geschenk irgendwo im bösen Amazonien hängen geblieben ist, heuzutage könne man sich ja wirklich auf gar nichts mehr verlassen. 

Ich glaube ihr keine halbe Silbe,  handle aber Dienstleistungen als Tauschgeschäft aus: Alphabetisches Ordnen meiner Bücher, ein Gewürzregal, das wie eine nordkoreanische Militärparade aussehen soll,  und andere dieser Das-mach-ich-wenn-ich-einmal-Zeit-habe- (also-nie)-Dinge. Und während der Dichter Ambros Bierce der fixen Überzeugung war, dass „Gewohnheiten die Fesseln des freien Menschen sind”, finde ich sie nach diesem in jeder Hinsicht hartem Jahr wie einen Blumenstraß Valium gegen aufgebrachte Gemüter. Bleiben Sie mir stabil und frohe Weihnachten!  

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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