Wenn es wirklich weh tut

Über Bestien, die in Spielzeugkisten lauern, und ein Remedium gegen richtig schlimmen Schmerz.

Fast ein Jahr lang schafften wir es, unserem Sohn die Erfahrung vorzuenthalten, dass manche Dinge schlichtwegs Schmerz verursachen – ohne irgendeinen Mehrwert zu bringen. Und dann kam ein sonniger Morgen, kurz vor seinem ersten Geburtstag.

Frohen Mutes wühlte der Weltentdecker in seiner Spielzeugkiste, als er plötzlich einen Schrei tat, der mir durch Mark und Bein ging. Es folgte bitterliches Weinen, das Gesicht voller Pein: Eine Wespe hatte sich zwischen den Spielsachen versteckt und ihn in den Finger gestochen. Egal, was ich versuchte, er war untröstlich.

Der Dottore Amore eilte aus der Dusche, im Haar-Shampoo und mit dem Badezimmervorleger als Handtuch. Mit animalischer Bestimmtheit rollte er die Zeitung ein, um die Bestie zu erlegen. Wir Eltern waren erfüllt von wilder, irrationaler Wut auf die Natur, doch das half weder dem Junior noch uns. Natürlich war dieser Wespenstich nicht der erste Anlass für Tränen. Fußbekleidung, Nägelschneiden, Kinderarztbesuche und der Fliesenboden verursachten schon einigen Kummer, aber zuvor hatten wir es stets geschafft, einen schnellen Stimmungswandel durch Ablenkung herbeizuführen.

Nicht so an jenem Morgen. Er weinte, jammerte und verstand nicht, warum dieser Schmerz? Als Erwachsene kennt man dieses Gefühl allzu gut, auch ohne Wespen in der Nähe. Wie oft fragt man sich dieser Tage, in denen Krieg, Krankheit, Armut, Zukunftssorgen vor der Haustür hocken: Warum dieser Schmerz?
Lange trugen wir Junior singend durch die Gegend, bemüht, nicht über den Hund zu stolpern, der Bambino nicht von der Seite wich. Wir alle konnten nichts anderes tun, als da zu sein.
Und nach einiger Zeit lachte der Kleine schließlich und ich verstand: Die Frage nach dem Warum eines Schmerzes führt nicht weit. Nur was man dagegen tun kann, lässt sich beantworten: Füreinander da sein.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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