Vea Kaiser

Das Canneloni-Missverständnis

Warum Großfamilien zwischen Neapel und Niederösterreich immer Recht haben – vor allem beim Essen

Meiner persönlichen Langzeitstudie zufolge existiert der Satz Du weißt am besten, was du tust, in niederösterreichischen wie neapolitanischen Großfamilien genau so wenig wie der Glaube daran, dass sich alle Familienmitglieder selbst gut ernähren können. Familie weiß alles besser und kocht alles besser. Mir, die von ihrer großen lauten Herde umgeben aufwuchs, ist das klar. Mein Dottore Amore jedoch sah seine Famiglia nur in den Sommerferien. So wie heuer, als wir nach Neapel reisten, um unseren Sohn zu präsentieren.

Zum Mittagessen waren wir bei seiner Zia eingeladen, doch Bambino kränkelte und wir mussten absagen. Lange telefonierten die beiden, schnelles hektisches Napuletan drang aus dem Hörer. Da mir mit meinem Schulitalienisch dieser Dialekt in etwa so verständlich ist, wie Norddeutschen eine Unterhaltung weinrauschiger Ureinwohner beim Apetloner Heurigen, dachte ich, sie erkläre ihm, wie er das Kind zu behandeln habe. Irrtum! Die Zia hatte Canneloni zubereitet und wollte, dass mein Mann sie abhole. Ohne mit mir Rücksprache zu halten, verweigerte er. „Ich fahr doch nicht bei dieser Hitze durch Neapels mittäglichen Verkehrsinfarkt wegen Canneloni!“ „Bist du krank? Das sind nicht irgendwelche Canneloni, das sind die Canneloni deiner Tante!“
 

Wortreich dozierte ich, dass man niemals nein sagt zum Take-away der Großfamilie und erinnerte ihn an unsere Sammlung aus Töpfen und Tupperschüsseln, deren einziger Existenzzweck es ist, Essen zwischen Wien und Niederösterreich zu transportieren. „Mein unbezahlter Zweitjob als Essenslieferant nervt mich zuhause genug. Kann ich nicht einmal im Urlaub meine Ruhe haben?“
Entgeistert sah ich ihn an. „Wer will Ruhe, wenn er Zias Canneloni haben kann?“, fragte ich und fügte hinzu: „Deine Zia und ich, wir wissen besser, was du willst. Und vor allem, was du brauchst.“
 

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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