Vea Kaiser

Vea Kaisers Kolumne: Vorlage für Muttertagsgrüße

Warum es zuweilen furchtbar ist, die eigenen Charaktereigenschaften im Nachwuchs zu entdecken

Unser Jüngster hat ein neues Lieblingswort: „BELBA!“ Einer Zauberformel gleich stellt er es allen Unternehmungen voran, die er ohne Hilfe auszuüben wünscht. Die meisten Fast-Zweijährigen durchlaufen diese „Autonomiephase“ und meist ist sie sehr erfreulich, wie wenn sich ein Kind plötzlich eigenständig die Jacke anzieht oder das Wasserglas hält.

Mein Sohn allerdings möchte auch steile Stiegen „belba gehen“, mit sehr scharfen Messern „belba schneiden“ und alles, was den Hauch von Gefahr versprüht, „belba machen“. Mehrmals täglich treibt mir das den Puls in bedenkliche Höhen. Manchmal macht es mich sentimental: Denn Selbstständigkeit bedeutet Abnabelung.

Als ich diesen Zwiespalt meiner Mutter klagte, lachte sie, ich sei ähnlich gewesen – noch vor der Einschulung bereit für den Auszug. Ich dachte an die am Dachboden ruhende Sammlung meiner Haus-Skizzen aus Volksschultagen und erinnerte mich: Nein, ich wollte nicht Architektin werden, sondern unabhängig. Manchmal ist es das Schlimmste, sich selbst im eigenen Kind wiederzuerkennen.

Doch dann besann ich mich auf ein Ereignis vor 14 Jahren, das mich wortwörtlich auf den Boden geholt hatte. Ich war Anfang zwanzig, stand kurz vor Drucklegung meines ersten Romans und war überzeugt, niemanden zu brauchen. Dann erwischte mich die echte Grippe und ich verbrachte 24 Stunden am Fußboden, weil ich die Leiter in mein Hochbett nicht erklimmen konnte. Ich hätte viele Leute um Hilfe rufen können, doch es gab nur einen Menschen, den ich bei mir haben wollte: meine Mutter.

Tage lang kümmerte sie sich um mich und ich verstand zweierlei: 1. Influenza-Impfungen sind super. 2. Egal wie selbstständig man ist, es gibt Momente, in denen man eine Mama braucht. Wenn Sie also das Glück haben, (noch) eine zu haben, dann sollten sie ihr das gelegentlich „belba sagen“. Nicht nur morgen.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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