Wieso Freundschaften im Alter lebenswichtig sind

Eine neue Studie hat erkannt, dass uns Freunde im Alter gesund halten. Eine Psychotherapeutin gibt Auskunft, warum das so ist.

Stundenlanges Plaudern bei einer Tasse Tee, Telefongespräche, bis das Handy glüht und Spaziergänge, von denen man mit rosigen Wangen nach Hause kommt. Treffen mit Freundinnen und Freunden sind immer schön, die Stimmung ist danach heller und das Lächeln ein bisschen breiter. 

Doch Freundschaften im Alter sind nicht nur angenehm – sie können lebenswichtig sein. 

Eine neue Umfrage der University of Michigan zeigte eine entscheidende Wechselwirkung zwischen Freundschaften und unserem Wohlbefinden. Konkret wurden 3.486 Erwachsenen zwischen 50 und 94 Jahren befragt. Fast drei Viertel von ihnen gaben an, ausreichend gute Freundschaften zu haben. Neun von zehn berichteten, mindestens eine enge Bezugsperson zu haben, und jede zweite Person hatte bis zu drei enge Freunde. 

Die erstaunliche Erkenntnis: Der Anteil der älteren Erwachsenen, die keine engen Freunde haben, war bei denjenigen höher, die eine eher schlechte psychische (20 Prozent) oder körperliche Gesundheit (18 Prozent) aufwiesen.

Freunde machen uns belastbarer

Halten uns Freundschaften also gesund? Psychotherapeutin Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, ist überzeugt: "Unbedingt. Wir Menschen sind im Allgemeinen soziale Wesen und es ist etwas extrem Wichtiges, auch außerhalb unserer Familie mit Menschen verbunden zu sein."

Psychotherapeutin Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie

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Im Alter sind Freunde besonders wichtig

Das beginne bereits in der Kindheit und ziehe sich über die gesamte Lebensspanne. "Aber im Alter, wenn wir anfälliger für Krankheiten sind, wird es umso bedeutender."

Ein Beispiel: In Stress- oder Angstsituationen schüttet der Körper Cortisol aus – ein Hormon, das den Blutzucker erhöht und langfristig zu Diabetes, Bluthochdruck oder Knochenschwund führen kann. Doch erhalten wir in solchen Momenten emotionale Unterstützung, beruhigt uns das und reduziert die Cortisolausschüttung. Dieselbe Situation wird als weniger belastend erlebt.

Freunde halten uns geistig fit

Freundschaften tragen auch zu geistiger Fitness bei. "Wer regelmäßig in Kontakt mit anderen Menschen ist, muss aufmerksamer sein, zuhören und mitdenken", sagt die Psychotherapeutin. "Das kann das Risiko für Demenz senken." 

Wer Freunde trifft, muss mitdenken

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Hilfe bei Krankheit

Zudem berichtet die Hälfte der Befragten, dass ihre Freunde sie zu einem gesunderen Lebenswandel animierten. Ein Drittel wurde von Freunden angeregt, zum Arzt zu gehen, um Symptome abklären zu lassen. Und ebensoviele erhielten Besuch von Freunden, wenn sie krank waren.

Haid bestätigt: "Wenn es einem schlecht geht, fehlt die Energie, um sich mit der Außenwelt zu verbinden. Dann braucht es manchmal ein Gegenüber, das aktiv nachfragt."

Männer tun sich schwerer

Interessanterweise gaben Männer in Durchschnitt häufiger an, Schwierigkeiten beim Knüpfen neuer Freundschaften zu haben. 

Woran könnte das liegen? "Es ist schwierig, das zu verallgemeinern", sagt Haid. "Aber tradierte Rollenbilder dürften eine Rolle spielen." Frauen übernehmen immer noch vermehrt die Fürsorgearbeit; das prägt ihre soziale Kompetenz

Eine großangelegte Studie aus Pennsylvania zeigte bereits auf, dass bei Frauen die rational-logische linke und die emotional-kreative rechte Gehirnhälfte enger miteinander verknüpft sind. Das könnte erklären, warum sie sensibler auf emotionale Signale reagieren und empathischer sind – beides zentrale Faktoren beim Aufbau von Freundschaften.

Linke und rechte Gehirnhälfte

Linke und rechte Gehirnhälfte

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Männer haben eher Kollegen als Freunde

Hinzu kommt die Sozialisation älterer Generationen: "Viele Männer, die heute 70 oder 80 Jahre alt sind, sind mit traditionellen Rollenbildern aufgewachsen. Sie identifizierten sich stark mit ihrer beruflichen Tätigkeit und hatten mehr Kollegen als Freunde." Der Pensionsantritt könne daher eine Herausforderung sein.

Der Pensionsschock

Barbara Haid berichtet von ihrem eigenen Vater: "Für ihn war die Pension ein Schock. Er hatte sein Leben lang intensiv gearbeitet, und plötzlich fehlte ihm der regelmäßige Kontakt mit den Kollegen. Das war für ihn sehr schwer."

"Das tue ich mir nicht mehr an"

Mit zunehmendem Alter fällt es oft schwerer, neue Freundschaften zu schließen. Man wird eigensinniger, langsamer, ermüdet schneller. "In jungen Jahren nimmt man es eher hin, wenn eine Freundin oder ein Freund anstrengend ist", erklärt Haid. "Im Alter denkt man sich öfter: Das tue ich mir nicht mehr an." 

Doch nicht jede Freundschaft ist bereichernd. Menschen, die einem Energie rauben oder erschöpft zurücklassen, sollte man loslassen. "Wer zwei oder drei gute Freunde hat, ist bereits sehr reich", sagt Haid.

Junge Freunde halten jünger

Der vielleicht wichtigster Tipp der Psychotherapeutin: Intergenerative Freundschaften "Meine Mutter ist Mitte 80 und hat auch Freundinnen aus jüngeren Generationen. Sie ist eng mit meinen Töchtern verbunden, die Mitte 20 sind." Das halte sie geistig aktiv. So sei ihre Mutter mittlerweile auf Facebook und Instagram unterwegs, informiert sich über aktuelle Entwicklungen und bleibt in Kontakt – selbst wenn sie das Haus einmal nicht verlassen kann.

Freundschaften über Generationen hinweg sind gesund

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Doch so hilfreich moderne Technologien auch sind, sollte das Persönliche nicht verloren gehen. "Nichts kann eine echte Umarmung ersetzen", sagt Haid. Ein bisschen sei sie ja auch Medizin.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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