Warum ein Spaziergang neue Perspektiven eröffnen kann

Ich ging durch York, eine Stadt, ungefähr so groß wie Graz, die am River Ouse im Norden Englands liegt, bereits in der Römerzeit eine bedeutende Ansiedlung war und später den Grafen von Yorkshire als Residenzstadt diente.

Enge Gässchen und mittelalterliche Häuser, bei denen jede Wasserwaage sofort außer sich gerät, Straßen, in denen ein Wirtshaus am nächsten steht, darunter wirklich großartige Tränken und Ausspeisungen wie das „Cochon Aveugle“ oder „The Rattle Owl“, wo ich mich außerordentlich gut verköstigen ließ. 

©Klobouk Alexandra

Natürlich war mein wichtigstes Ziel der Besuch des York Minster, offiziell: „Cathedral and Metropolitical Church of Saint Peter in York“. Gegen die Bauzeit des 1472 fertiggestellten Minsters – sie betrug nicht weniger als 250 Jahre – scheint die Baugeschichte der Sagrada familia in Barcelona ein Express-Unternehmen zu sein. Ich empfand die Dimension des Prunkbaus mit den beiden kurzen Türmen an der Westfassade und dem quadratischen Vierungsturm in der Mitte bereits als atemberaubend, als ich noch hunderte Meter von ihm entfernt war.

 Damit komme ich zu dem wirklich besonderen Spaziergang dieser Woche: denn das Zentrum von York wird von einer fast durchgängigen Stadtmauer umgeben, die ihre Aufgabe seit der Römerzeit erfüllt, dabei immer wieder überarbeitet, erhöht, neu aufgebaut wurde. Jetzt offenbaren sich die Mauern als vier bis fünfzehn Meter hohe Stadtumfriedungen, nach außen gegliedert durch mächtige Zinnen, innen mit einem Rundgang versehen, der mit Blicken nach außen und innen ausgestattet ist und großartige Perspektiven auf die Außenviertel der Stadt und die Innenhöfe der Stadthäuser gewährt.

Ich stieg am Walmgate-Tor, gegenüber von „Jenny’s Fish & Chips“, ein und ging nach Westen, an der Burg und den Tower Gardens vorbei, überquerte den Fluss Ouse auf der Skeldergate Bridge, bestieg am Baile Hill wieder den City Wall und folgte ihm, am Bahnhof vorbei,  auf einem spektakulären Abschnitt mit Blick auf Yorks bestes Hotel „The Grand“, die „Memorial Gardens“ und das Yorkshire Museum auf der anderen Seite des Flusses. 

Stets im Blick: der Minster, wobei der Mauerabschnitt hinter dem Bootham Tower die erstaunlichsten und bewegendsten Blicke bot. Hinter den Gärten der um den Minster gescharten Herrenhäuser liegt die Kathedrale mit ihren breiten Schultern prachtvoll und ungestört über den Dächern. Es gibt keinen anderen Stadtmittelpunkt als sie.

Am Goodramgate unterbrach ich den Mauergang und spazierte durch die Gassen zurück zum Minster, um ihn endlich auch von innen zu sehen. Selten habe ich ein eindrucksvolleres Gebäude gesehen: hoch und elegant, ruhig und tröstlich, prachtvoll in den zahllosen Details, kühn in der Konzeption, die das Empfinden von Weite und Höhe immer wieder neu kalibriert, bis man vor dem Chorgestühl im Mittelpunkt der Kirche steht und nach Fassung ringt. 

Viel später setzte ich den Spaziergang über die Mauern fort, bis ich wieder bei „Jenny’s“ ankam. Diese fette Belohnung hatte ich mir verdient.

Die Route

York: Walmgate Tower – City Walls – Bootham Tower – Goodramgate – Minster – City Walls – „Jenny’s Fish & Chips“: 7.500 Schritte

Christian Seiler

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