Seilers Gehen: Die Route vom Mexikoplatz zur Friedenspagode

Ein Spaziergang durch den 2. Wiener Bezirk eröffnet einem hier und da wahre Wunder.

Ich gehe vom Mexikoplatz nach Südosten, das heißt, ich gehe schnurgerade der Donau entlang stadtauswärts. Es ist ein spannendes Schauspiel, der Skyline drüben in Transdanubien beim Wachsen und Gedeihen zuzuschauen. Der Turm der neuen Danubeflats ist jenem des Harry-Seidler-Turms mit seinem Charaktersegel schon über den Kopf gewachsen. Ob mir das hohe, schlanke Haus mit seiner Terrassenstruktur gefallen wird, weiß ich noch nicht. Mein Wiener Lieblingswolkenkratzer wird jedenfalls bis auf Weiteres der DC-Tower bleiben, diese schwarze, gekonnt strukturierte Konstruktion, der leider nicht das ursprünglich geplante Geschwisterhaus zur Seite gestellt werden wird, sondern eine besser verkäufliche Alibiarchitektur. 

Schade. Ich gehe vorbei an dem Beton- und Spiegelpalast des „Donauraum Wien“, blicke in Picassos Pixelauge, das der Künstler Robert Adrian X an die Außenwand des Umspannwerkes am Handelskai appliziert hat, finde meinen Rhythmus auf dem Damm, der die Donau vom Handelskai trennt, gehe an traurigen Spielplätzen und leeren Hundezonen vorbei und visiere die nächsten höheren Bauten an, die meinem Spaziergang Struktur geben: zuerst das erstaunliche Hotel „Danube Waterfront“ aus der Hilton Familie, ein funktionslos gewordener Getreidespeicher, der in den Achtzigerjahren zum Hotel umgebaut worden war und mit wechselndem Erfolg von verschiedenen Betreibern geführt wurde, dann der Turm des Donaumarina-Komplexes, an dessen Verwirklichung ich nach den vielen Jahren, in denen der Platz eine Brache war, nicht mehr geglaubt habe. 

Ich gehe am Hochhaus und dem Komplex des Gewerkschaftsbundes vorbei, lasse das Rauschen der Südosttangente hinter mir und gehe auf einem schmalen Asphaltweg weiter, am Ufer liegen ein paar Lastschiffe, rechts tuckert ein Zug mit Containern vorbei, die Wolken hängen jetzt tief, vor mir die Stadlauer Ostbahnbrücke, eine Schnellbahngarnitur überquert den Strom, und ich gehe weiter auf dem Treppelweg, bis ich zu einer Ansammlung kleiner und größerer Schiffe komme, die zum „Wiener Schiffmuseum“ gehören, die „Frédéric Mistral“ aus dem Jahr 1914, der „einzige schwimmende Zollponton auf der Donau“, das „Blumenschiff“, und angeblich setzt hier in der warmen Jahreszeit auch ein Fährmann zur Donauinsel über. 

Noch ein paar Schritte weiter, und ich stehe vor der Friedenspagode, einem buddhistischen Stupa, der die Lehre Buddhas symbolisiert. Auf der östlichen Seite befindet sich das goldene Abbild Buddha Shakyamunis, auf sieben Reliefs sind Szenen aus dem Leben des Religionsgründers Siddhartha Gautama dargestellt. 
Ich umrunde das 26 Meter hohe Gebäude völlig allein, dann setze ich mich auf die Stiegen, die zum Buddha hinaufführen, schaue in die Wolken und verliere mich in den Fragen, die uns alle beschäftigen: Wird es Wege geben, die uns zusammenführen und nicht trennen? Ideen, die uns verbinden, Zeiten, die uns einen? Ich schaue ins Wasser, sehe es zugleich kommen und gehen und denke mir: Ja. So wird es werden, weil anders ist es ja schon. 

Christian Seiler

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