Seilers Gehen: Die Privilegieren des Flanierens

Christian Seiler geht heute der Frage nach, was es mit dem Begriff "Türkenschanze" auf sich hat.

Als ich durch den Türkenschanzpark spaziere, denke ich über dieses merkwürdige Wort nach: Türkenschanze. Muss mit den Türkenbelagerungen zu tun haben. Aber wie? Es gehört zu den Privilegien des Flanierens, dass man solchen Fragen in aller Ruhe nachgehen kann. Die Stadt ist ein Blätterteig aus Erlebtem und Lebendigem, und wir kosten meistens nur von der obersten Schicht.

©Klobouk Alexandra

Erste Erkenntnis: Eigentlich handelt es sich bei der Türkenschanze um ein Plateau in Währing, das sich zwischen die Stadtteile Gersthof und Weinhaus einsortiert. Zweite Erkenntnis: Dieser östliche Ausläufer des Michaelerbergs gehört tektonisch zum Wienerwald und besteht aus Sand und Sandstein, die hier während langer Zeit gewerbsmäßig abgebaut wurden. Dritte Erkenntnis: Die Türkenschanze hieß ursprünglich Hohe Warte, und es wird gemutmaßt, dass hier bereits während der ersten Türkenbelagerung 1529 Pulver- und Lebensmittelmagazine gebunkert wurden. Mit Sicherheit aber befand sich hier während der zweiten Türkenbelagerung 1683 eine Befestigungsanlage der Belagerer, das Karl von Lothringen am 12. September 1683 einnahm. Wie blutig es dabei herging, offenbarte sich erst Ende des 19. Jahrhunderts, als bei Bauarbeiten Massengräber türkischer Soldaten ausgehoben wurden.

Spuren der Türkenschanze blieben bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sichtbar. Die Anlagen wurden vom Militär als Munitionsdepots genutzt. Der große Pulverturm wich erst im Jahr 1896 dem Neubau der Hochschule für Bodenkultur. Ich gehe am „Waldteich“ und am „Bergsee“ vorbei, trinke in der Meierei einen kleinen Braunen, besichtige das Denkmal für Arthur Schnitzler und entschuldige mich beim Meister dafür, dass in Gürtelnähe der wohl hässlichste Gemeindebau Wiens nach ihm benannt wurde, ausgerechnet. 

Der Park verströmt Frieden und Ruhe. Nichts von dem, was hier einmal passiert ist, teilt sich zwischen dem wogenden Schilf am Ufer der Teiche und den majestätischen Baumgruppen mit, die hier während fast 150 Jahren angewachsen sind. Dass hier keine Häuser entstanden, obwohl das Land bereits parzelliert gewesen war, beruht auf einer Initiative der damals noch selbstständigen Stadtgemeinde Währing und den Zuwendungen einer Reihe von Gönnern. 1885 wurde der Bau eines Landschaftsgarten im englischen Stil begonnen, der die Spuren früherer Gewalt unter sich begrub. An die höchste Stelle des Parks setzte man, gesponsert von Pauline von Metternich, einen Aussichtsturm: die Paulinenwarte. 

Am 30. September 1888 eröffnete Kaiser Franz Joseph persönlich den Türkenschanzpark. Er äußerte dabei den Wunsch, dass die Vororte bald „keine physische Grenze von der alten Mutterstadt scheiden soll“. Dieser Wunsch erfüllte sich schon 1890, als die Vororte per Gesetz der Stadt Wien einverleibt wurden. Die Paulinenwarte ist ein hübsches Ausflugsziel geblieben, das freilich ein Manko hat: Die Warte ist nur an wenigen Tagen im Jahr für den Publikumsverkehr geöffnet. Es lohnt sich nachzuschauen, ob es wieder einmal soweit ist.

Die Route

Hasenauerstrasse – Türkenschanzpark kreuz und 
quer – Paulinenwarte: 3.200 Schritte

Christian Seiler

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