Seilers Gehen: Ein wundervoller Spaziergang am Donaukanal

Im Frühling ist es besonders schön: Christian Seiler spaziert diesmal von der Franzensbrücke bis zur Friedensbrücke.

Es sind die Tage, an denen wir uns die Bilder, die wir wahrnehmen, aus dem Raum-Zeit-Kontinuum ausschneiden und für schlechtere Zeiten aufheben sollten. Bei mir geht das so: Ich gehe zum Beispiel zum Hauptquartier der Wiener Stadtgärtnern in der Johannesgasse (eigentlich im linken, unteren Eck des Stadtparks, auf der Karte betrachtet).

Dort steht nicht nur die elegante Villa der Stadtgartendirektion, sondern vor ihr auch der prächtigste Magnolienbaum Wiens, den ich kenne: der schlägt gerade unglaubliche Pfauenräder, sodass ich fast jeden Tag einen Abstecher dorthin mache, um ihn zu bewundern. Er kennt mich schon, er winkt mir zu, freundschaftlich, aber auch ein bisschen hochmütig, vielleicht, weil ich ihm nicht so einen schönen Anblick biete wie er mir.

Nicht nur die Orte, die mit Ansage prachtvoll sind, besitzen diese Qualität. Sie kennen bestimmt die drei japanischen Kirschen am Stadtpark-Eingang von der Weiskirchnerstraße, nicht wahr und feiern dort eh Ihr persönliches Kirschblütenfest – Hanami, den japanischen Ausdruck dafür, kann man auf Wienerisch so schön hatschert aussprechen, und auch sonst ist der Stadtpark gerade eine Macht der Schönheit.

Ich aber gehe am Donaukanal spazieren, heute von der Franzensbrücke bis zur Friedensbrücke. Das ist ein wundervoller Nachmittagsspaziergang, zumal die Sonne ja schon wieder eine Stunde länger scheint als noch vor ein paar Wochen, uns wärmt und die Blicke auf die Innere Stadt in köstliche Feierabendfarben taucht: die Urania, die Scharte der Griechengasse, die Jahresringe des Schwedenplatzes, die Häuserfronten des Textilviertels, den Ringturm schließlich, über dessen elegante Proportionen ich mich gar nicht genug freuen kann.

An den Mauern arbeiten sich die Sprayer ab, immer wieder bleibe ich stehen und schaue zu, wie sie zu Hip-Hop-Musik aus dem tragbaren Lautsprecher kunstvoll ihre persönlichen Farbenformen auftragen – und immer wieder stelle ich mir die Frage, wie dick die Lackschichten am Stein wohl schon sind.

Am Ufer, das zum Wasser führt, blühen allerhand Sträucher und Stauden, ich sehe Forsythien, die eine oder andere Kornelkirsche, aber ziemlich genau vor der Rossauer Kaserne auf der anderen Seite des Flusses springt mir diese unglaubliche, weiße Wolke ins Auge, die sich wie eine Explosion der Schönheit benimmt und dazu noch eine der weniger bekannten Sehenswürdigkeiten Wiens auf eine Weise inszeniert, dass ich den Augenblick sofort aus dem Raum-Zeit-Kontinuum ausschneide und für bessere Zeiten aufhebe: der romantische Historismus des burgähnlichen Gebäudes harmoniert für ein paar Tage so gut mit der romantischen Gegenwart der vorhandenen Botanik, dass ich lange stehen bleibe, mir einbilde, interessanten Blütenduft wahrzunehmen, aber vielleicht sind das auch nur die fernen Reste des Lacksprays oder der süßen Tschik, die ihre Benutzer bei der Arbeit rauchen.

Bis zur Friedensbrücke gehe ich weiter, sammle kleinere und größere Zeugnisse des Frühlings – und belohne ich mich dann beim Pferdefleischer Gumprecht mit dem angemessenen Imbiss.

Christian Seiler

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