Warum vom Weg abkommen manchmal inspirierend sein kann

Christian Seiler geht heute der Frage nach, was es mit dem Begriff "Türkenschanze" auf sich hat.

Vom Bahnhof Ottakring gehe ich der Vorortelinie entlang Richtung Hernals, vorbei an der Weinschenke „Steirer Alm“, wo ich noch den großen Volkssänger Kurt Girk (1932–2019) in Aktion gesehen habe, Friede seiner Asche. Durch die luftige Heigerleinstraße, Gründerzeithäuser, Dachbodenausbauten, hie und da Fernblick auf den Wilhelminenberg, gehe ich bis zur S-Bahnstation Hernals und weiter zum Holy-Hof, einem der markanten Zwanzigerjahre-Gemeindebauten, der hier stolz wie ein Ausrufezeichen steht, die Antennen achtsam ausgefahren. Dann verirre ich mich. Stehe plötzlich vor dem Hernalser Friedhof, den ich, wenn ich schon da bin, gleich besichtige. Zwischen den Zeilen mit den mitteilsamen Grabsteinen gehe ich bergauf und besteige in gemäßigtem Tempo die südliche Flanke des Schafbergs, bleibe öfter stehen, weil mich die abgeschlossenen Lebensgeschichten, die hier erzählt werden, so faszinieren, bis ich mich einmal umdrehe und erst dann wahrnehme, wie schön die Aussicht über die Stadt von hier aus ist. 

©Klobouk Alexandra

Ich finde ein Türl, durch das ich auf den Grünbeckweg schlüpfe, schaue auf den Sportklubplatz hinunter und gehe bis zur Czartoryskigasse, auf der ich jetzt nach links hinauf zum Schutzhaus am Schafberg spazieren könnte. Das ist auch so ein unvergesslicher Ort, der Ostbahn-Kurti hat dort ein paarmal wild und gefährlich aufgespielt. Aber ich entscheide mich für die andere Richtung und gehe – ein Friedhof grenzt hier an den anderen – über den Jeitnerweg nach Gersthof hinunter, der Gersthofer Friedhofsmauer entlang. Gersthof hat sich hübsch herausgeputzt, tendiert zum Vornehmen, ich steige die Dürwaringbrücke hinauf, die elegant die Scheibenbergstraße überspannt und spaziere auf der Bastiengasse stadteinwärts, an der ehemaligen Semmelweisklinik vorbei, zwischen eleganten Häusern und an der Gersthofer Pfarrkirche vorbei zur Gersthofer Straße, wo ich einmal mehr den „Johanneshof“ bewundern muss, das schlossartige Haus auf Nummer 65 mit seinen barockisierend-secessionistischen Fenstern. Ein Restaurant war hier einmal untergebracht, jetzt  residiert in den schönen Räumlichkeiten ein Fitnessstudio. 

Auf der Gentzgasse gehe ich stadteinwärts und durchquere dabei „Weinhaus“, dessen Schutzheilige Josua und Kaleb ihren Ortsteil im Bezirkswappen Währings repräsentieren. Dann stehe ich wieder vor dem Haus Gentzgasse 119, wo vor 110 Jahren das „Währinger Filmtheater“ eröffnet wurde, ein Stummfilmkino, das viele Nutzungen durchlebte, bevor es endgültig geschlossen wurde – ich hatte in einer früheren Kolumne darüber berichtet, und es hatte sich aus unerfindlichen Gründen eine falsche Illustration dazu ins Blatt geschwindelt. Wir nützen also die Gelegenheit, um den Blick auf das geschlossene Stummfilmtheater nachzureichen. Von den Säulen blättert der Putz ab, und ein paar gesprayte Botschaften machen die Fassade auch nicht schöner.

Weitergehen bis zum Kutschkermarkt, ein Leo in der Stadtlandschaft. Ein Imbiss im Café Himmelblau ist ein guter Abschluss jeder Wanderung.
 

Die Route

Bahnhof Ottakring – Heigerleinstrasse – Bahnhof Hernals – Friedhof Hernals – Czartoryskigasse – Jeitnerweg – Scheibenbergstrasse – Bastiengasse – Gersthofer Strasse – Gentzgasse – Kutschkermarkt: 7.000 Schritte

Christian Seiler

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