Lerchenfeld: Früher ein "Tummelplatz des Pöbels"

Ein Spaziergang von der Praterstraße über den Donaupark bis zur Alten Donau.

Ich gehe über das Lerchenfeld und wälze semantische Gedanken. Heißt das Lerchenfeld Lerchenfeld, weil hier die Lerchen schlagen? Ich höre keine, nur eine Vespa, die an mir vorbeitschundert. Warum sind es übrigens ausgerechnet die friedfertigen Lerchen, die angeblich schlagen, wenn doch alle anderen Vögel juchzen und singen? Oder hat jeder Gedanke über das spezifische Tun dieser gattungsreichen Sperlingsvögel wenig Gewicht, sprich Lercherlschas?

Ich nähere mich dem Altlerchenfeld über die Zieglergasse, die Westbahnstraße und die Schottenfeldgasse, wo ich stets vor denselben Geschäften stehen bleiben und träumen muss: vor dem Schallter, diesem herrlich unkonventionellen Schallplattengeschäft (was eigentlich ein Pleonasmus ist, zumal die Idee an ein Schallplattengeschäft in Spotify-Zeiten sowieso unkonventionell ist), vor der Casa Caria mit ihren Zitrusspezialitäten, vor dem Laden mit tschechischem Wohndesign, der so außergewöhnliche Möbel und Accessoires verkauft, dass selbst die schönsten nordischen Designs daneben ein bisschen gewöhnlich aussehen.

©Klobouk Alexandra

Wie also war das jetzt mit den Lerchen? Ihr Name kursiert seit dem 14. Jahrhundert, als hier dichter Wald stand, der vom kaiserlichen Hof bejagt wurde. Im Wappen von Neulerchenfeld war jedenfalls ein Baum und drei Vögel zu sehen, während in jenem von Altlerchenfeld vier Vögel auf rotem Grund hinter einem weißen Kreuz flattern. Allerdings, so die Mutmaßung, könnte die Ortsbezeichnung auch auf eine ältere slawische oder keltische Flurbezeichnung zurückgehen.

Sicher ist, dass das Lerchenfeld im 19. Jahrhundert einen sehr zweifelhaften Ruf hatte. In einem Wanderführer aus dem Biedermeier wurde es „als Tummelplatz des Pöbels“ bezeichnet, wobei der Autor Adolf Schmidl nicht anzumerken vergaß, dass „ein Hauch von Poesie dem Österreicher selbst in seiner tiefsten Gemeinheit noch immer eigen ist“.
Ich bleibe vor der Altlerchenfelder Pfarrkirche „Zu den sieben Zufluchten“ stehen, die mir nach dem Weg durch die schmalen Gassen geradezu monumental scheint. Ihre uneindeutige Architektur beschreibt den Übergang zwischen Klassizismus und Historismus, erzählt auf ihre Weise die Geschichte des Aufbruchs nach dem Revolutionsjahr 1848, in dem der Kaiser den Bau der Kirche genehmigt hatte. 

Als ich die Kirche betrete, wird mir ihr kunsthistorischer Stellenwert sofort bewusst. Ihre prachtvolle, malerische Ausstattung macht sie zu einem der raren Gesamtkunstwerke unter Wiens Kirchen. Auf der glänzenden Goldgrundierung und unter tiefblauem Sternenhimmel sind Bilder aus der Lebensgeschichte Jesu zu sehen, von der Verkündigung bis zur Auferstehung. Auf einem der Seitenaltäre ist die „Wiener Madonna“ zu sehen, im Hintergrund unverkennbar der Kahlenberg. Während draußen die Vespas tschundern, finde ich hier einen poetischen Moment der Ruhe.

Aber dann bekomme ich Lust auf Rock ’n’ Roll. Spaziere die Lerchenfelder Straße stadteinwärts und die Lange Gasse hinauf, um bei Jumi zu lautem Hip Hop ein Stück gereiften Emmentaler zu holen, Lercherlschas hin oder her.

Die Route

Zieglergasse – Westbahnstraße – Schottenfeldgasse – Lerchenfelder Straße – Lange Gasse: 3.000 Schritte

Christian Seiler

Über Christian Seiler

Kommentare