Ein herzerwärmender Moment an einem Prachtstück von Stiege

Cristian Seiler unternimmt einen Spaziergang vom Neuen Markt bis zur Fillgradergasse.

Manchmal bekommt man die Momente höchster Lebenslust einfach zugesteckt. Die Stadt macht sich sauber, putzt sich heraus, setzt ein kleines Lächeln auf und schaut uns für einen langen Augenblick tief in die Augen.

Mir widerfuhr das zuletzt, als ich an einem merkwürdigen Tag, der Himmel kam mit den Wolken und der Feuchtigkeit nicht ganz klar, durch die Innenstadt ging. Auf dem Neuen Markt saßen plötzlich so viele Leute wie noch nie auf den neuen Stadtmöbeln und den Stufen rund um den Donnerbrunnen herum, weil sie ein paar fragile Sonnenstrahlen einfangen wollten, und ich kombinierte wie Nick Knatterton, dass dieser Platz im Sommer nicht nur die vielen Autos in seinem Gedärm zu verdauen haben wird, sondern auch eine entsprechende Zahl an Bewohnern der Erdoberfläche, die hier gemeinsam Jägermeister trinken wollen oder noch Schlimmeres.

Ich ging an der Albertina vorbei in den Burggarten. Obwohl ein böiger Wind wehte, gab es an der Fassade des Palmenhauses warme und windgeschützte Stellen, wo ich mich an die spektakuläre Stahl-Glas-Konstruktion lehnen konnte und schon ein paar Sekunden später vergessen hatte, wie man Winter buchstabiert. Ich ging dann einfach der Sonne nach, bis ich irgendwo war, wo ich nie hingewollt hatte, aber zum Glück ist der Burggarten nicht der Amazonas, also gelangte ich schließlich über die Babenbergerstraße und die Rahlstiege zur Gumpendorfer Straße, die ich immer mit besonderer Freude durchwandere – Sie wissen schon: das Top Kino Center, das Sperl, das Phil, lauter potenzielle Tränken, wo Stadtwanderer geatzt und gepflegt werden.

©Klobouk Alexandra

Aber heute wollte ich noch weit, ich hielt mich also nirgends länger auf, sondern ging gemessenen Schritts stadtauswärts, als – und ja, das war dieser Moment, wie ihn nur wir Fußgänger geschenkt bekommen, weil wir in der Lage sind, stehen zu bleiben und zu staunen, wenn die Zeit dafür gekommen ist – ich in der Fillgradergasse die gleichnamige Stiege erblickte, dieses im Jugendstil erbaute Prachtstück, das den Niveauunterschied zwischen der Mariahilfer Straße und dem Wienflussufer zu überwinden half, als es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Entwürfen von Max Hegele errichtet wurde.

Während die Fassaden der Wohnhäuser in ihren gedeckten Farben ganz im Schatten lagen und auch die Prachthäuser in der oben gelegenen Theobaldgasse nur ein paar versprengte Sonnenstrahlen abbekamen, lag die Fillgraderstiege – sie heißt übrigens nach der Glockengießerwitwe Marie Anna Fillgrader, die sich auf dem Windmühlgrund wohltätig gezeigt hatte – in der vollen Sonne.

Als hätte ein unbekannter Beleuchter seinen Bühnenspot direkt auf die Stiege gelenkt, damit ich sie mit klopfendem Herzen betrachten, ihre Schönheit genießen und von ihr erzählen kann. Prosaische Geister mögen sagen, die schon wieder höher stehende Sonne habe halt die Lücke in der Stadtbebauung genutzt – kann schon sein. Mir aber erzählt niemand, dass dieser Augenblick nicht ganz besonders ist: Weil was mein Herz mir wärmt, entscheide immer noch ich.

Die Route

Neuer Markt – Albertinaplatz – Burggarten – Babenbergerstrasse – Rahlstiege - Gumpendorferstrasse – Fillgradergasse: 2400 Schritte
 

Christian Seiler

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