Seilers Gehen: Die Kunst des Schildermalens
Ein Rundgang vorbei an schönen Typografien und verschwundenen Schildern.
Ich biege von der Dresdner Straße in die Innstraße ein und suche das Häuschen mit dem „Kartoffel, Zwiebel u Knoblauch en gros“-Schild. Nein, ich habe keinen gehobenen Bedarf an Erdäpfeln, aber ich erfreue mich, wann immer ich kann, an schönen Typografien, die irgendwo im Stadtbild hängen geblieben sind und von einer Zeit berichten, die wir hinter uns gelassen haben.
Sie wissen ja nicht nur von Geschäften, die sich zwischenzeitlich in etwas Neues verwandeln mussten, sondern auch von der Kunst, Menschen anzulocken, Bedürfnisse zu formulieren und sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Dafür griff man auf die Kunst des Schildermalers zurück, der jedem Auftraggeber etwas Eigenes, Passendes gestalten konnte (wenn er konnte). „Kartoffel, Zwiebel u. Knoblauch en gros“ ist zum Beispiel in etwas kräftigeren, aber nicht uneleganten Versalien, also Großbuchstaben, gehalten, beiges Schild, dunkle Schrift, das Schild schließt links mit der Geschäftstür und rechts mit der Auslage ab, ich würde sagen: harmonisches Bild.
Auf Nummer 16a finde ich dann das Häuschen, aber das Schild hat irgendwer abmontiert. Vielleicht ist es ins Bezirksmuseum gewandert, das würde mich freuen, aber vermutlich schmückt es längst einen Raum, der von seiner nostalgischen Aura profitieren möchte (wenn es nicht überhaupt zu Kleinholz verarbeitet wurde). Wenn ihr das Schild sehen möchten, müsst ihr in meinem Instagram-Feed (@csbarolo) ziemlich weit hinunterscrollen, da ist es konserviert. Falls jemand weiß, wo das echte Schild hingekommen ist, freue ich mich über eine kurze Nachricht, ich würde es gern besuchen gehen. Ich folge jetzt dem Wegweiser zur Nordbahnhalle, die sich seit meinem letzten Besuch auch, äh, verändert hat, querfeldein über ein paar übrig gebliebene Schienenstränge des ehemaligen Nordbahnhofgeländes. Die Nordbahnhalle, ein adrettes Stück Industriearchitektur, war für kurze Zeit als Kulturzentrum genutzt worden, aber just zu einem Zeitpunkt, als sich Stimmen für eine Verlängerung dieser Nutzung mehrten, in Flammen aufgegangen. Es gibt für das Phänomen den schönen Wiener Ausdruck „warm abtragen“, auch wenn die vermutete Brandstiftung ein Vandalenakt gewesen sein soll, keine Abkürzung eines möglichen Bürgerbeteiligungsprozesses.
Ich gehe am ehemaligen Wasserturm vorbei, rund um den Kräne und Container aus dem Boden wachsen, hier entsteht Zukunft, die Stadt wächst, sie braucht Wohnungen, Schulen, Spielplätze, Transformation, aber ich bin froh, dass auch der Brache eine Rolle zugedacht ist, durch die ich jetzt stolpere, die sogenannte „Freie Mitte“, vielleicht geht sich sogar ein bisschen Stadtgstettn aus.
Ich klettere über eine gatschige Böschung zur Schleife, die der O-Wagen hier zieht und sehe mich um im ehrgeizigen Siedlungsgebiet, das hier bereits entstanden ist, Wohnprojekte, Bildungscampus, Stadtwildnis, neue Formen, Farben, Zeit. Eine Stadt ist stets die Summe von allem, denke ich mir, und hole mir bei Habibi und Hawara etwas Wienerisches zu essen: beste Falafel und wunderbares Pita-Brot.
Die Route
Dresdner Strasse – Innstrasse – Freie Mitte – Taborstrasse – Bruno-Marek-Allee: 1.600 Schritte
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