Seilers Gehen: Der Kampf durch die Kleingartenlandschaft Wiens

Von heilenden Erholungsgebieten, Straßen auf Stelzen und einer Kirche, die die Landeshauptstadt mit der Welt verbindet.

Dem Liesingbach entlang gehe ich von Alt Erlaa Richtung Wienerberg.  Neben den Gleisanlagen der U6, die hier hoch über dem Boden geführt wird, sind dörflich anmutende Wohnsiedlungen entstanden, und weil der Frühling sich zeigt, herrscht in den Gärten und auf den Spielplätzen ein ziemliches Gewusel, als müsste der Spaß, der im Winter versäumt wurde, an einem Nachmittag aufgeholt werden.

©Klobouk Alexandra

Die Teiche links und rechts der Liesing tragen erwachsene Namen wie „Figurenteich“ oder „Steinsee“. Sie sind umgeben von Kleingärten und den darauf befindlichen Häusern, die noch immer eine Aura von Wirtschaftswunder und ästhetischer Freiheit – oder sollte ich sagen: Unreguliertheit – verströmen. Die Grundstücke mit direktem Zugang zum Wasser sind bestimmt eine begehrte Ware. Ich überquere die Gutheil-Schoder-Gasse und nähere mich, weiterhin dem Liesingbach folgend, den Schattenspendern an, die hier die Grünflächen überspannen, namentlich die Betonkreisel von Südosttangente, Triester Straße und Knoten Inzersdorf, deren Logik man eindeutig besser begreift, wenn man am Steuer eines Kraftfahrzeugs sitzt. 

 

Als Fußgänger, der den Draschepark durchquert, betrachtet man die Straßen auf Stelzen eher wie ein Tourist in Ägypten die Pyramiden, erstaunt, beeindruckt und ein bisschen ratlos, warum alles so groß sein muss. Ich entscheide, nach Norden abzubiegen, in das fantastische Erholungsgebiet Wienerberg, das die Wunden seiner industriellen Historie vorbildlich heilt. Verabschiede mich vom Liesingbach, der zum Schwarzen Meer unterwegs ist und kämpfe mich durch die nächste Kleingartenlandschaft, was ich niemandem zur Nachahmung empfehlen kann, weil ich zwar ein offenes Tor in die Siedlung Wienerberg finde, aber auf der anderen Seite vor versperrten Toren stehe. Erst ein ausfahrendes Automobil schafft per Fernbedienung die Lücke, durch die ich schlüpfen kann.
Gehe weiter durch eine nächste Siedlung, am Kastanienteich vorbei, bis ich beim Wienerbergweiher angekommen bin, dem Mittelpunkt dieser großartigen Stadtlandschaft, Blick auf die Twin Towers und die Flugzeuge, die demnächst in Schwechat landen werden. 

Steige durch die Hundezone hinauf zu den Aussichtspunkten, von denen aus ich tief in Wiens Süden und ins Wiener Becken blicken kann, frühlingshaft eingerahmt von den Zweigen blühender Bäume. Bewundere das skulpturale Haus in der Lindkogelgasse 2 und stoße schließlich auf den erstaunlichen Komplex der „Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien St. Ephrem“ am Stefan-Fadinger-Platz. Die Kirche stammt aus den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts, beherbergte einen Karmeliterkonvent und die katholische Pfarrkirche Maria vom Berge Karmel, bevor sie 2014 an die Syrisch-Orthodoxe Gemeinde verkauft wurde. Das erklärt das beeindruckende Volumen der Kirche und die mahnenden Worte des Bischofs Mor Dionysios, mit denen er die aktuelle Lage in Syrien und im Irak bespricht – und mich einmal mehr daran erinnert, an wie vielen Scharnieren die Stadt Wien an der Welt befestigt ist. 

Die Route

Alt Erlaa – Liesingsteg – Tuschlgasse – Schlossseeweg – Terramaregasse – Draschepark – Anton-Balzer-Weg – Siedlung Wienerberg – Hintschigasse – Erholungsgebiet Wienerberg – Lindkogelgasse – Stefan-Fadinger-Platz: 7.000 Schritte

Christian Seiler

Über Christian Seiler

Kommentare