Der Status quo der Villa Beer? Bröckelnd
Ein Spaziergang durch Hietzing mit architektonischen Highlights. Fast.
Ich durchquerte das Hietzinger Villenviertel, namentlich spazierte ich die Wenzgasse von der Lainzer Straße Richtung Neue-Welt-Gasse. Es hatte sich an diesem Abend die Möglichkeit aufgetan, ein Haus zu besuchen, das sonst nur im Ausnahmefall zu besichtigen ist: die Villa Beer. Es handelt sich dabei um ein vierstöckiges Einfamilienhaus, das zwischen 1929 und 1931 nach den Plänen der Designer und Architekten Josef Frank und Oskar Wlach für die – Achtung, tolles Wort – Gummischuhsohlenfabrikantenfamilie Beer errichtet worden war. Die Villa gilt als architektonisches Hauptwerk des 1933 vor den Nazis nach Schweden geflohenen Frank, der dort mit seinen Entwürfen für die Firma Svenskt Tenn weltberühmt wurde und nach Ende des Kriegs in Schweden blieb.
Die Villa Beer ist ein atemberaubendes Haus. Schlechte Nachricht: Das Gebäude befindet sich in mitgenommenem Zustand. Gute Nachricht: Nach langen Erbstreitigkeiten ist das Gebäude ins Eigentum einer Stiftung übergegangen, deren Zweck es ist, das Gebäude originalgetreu wiederherzustellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass es Menschen und Institutionen gibt, die sich der Allgemeinheit verpflichtet fühlen und nicht etwa auf die Idee kommen, eines der ikonischen Bauwerke dieser Stadt als Dritt- oder Viertwohnsitz ihrem Portfolio einzuverleiben.
Ich durfte im Gefolge des Hauseigentümers durch die Stockwerke gehen und bekam nachher sogar noch etwas Speck und Rotwein – der Tiroler Möbelfabrikant Hussl hatte seinen schönen neuen Stuhl ST8 in der Villa Beer präsentiert, letztes Event vor der Umbaupause. Anschließend, es war schon dunkel, spazierte ich beeindruckt weiter. Drehte mich noch einmal um, sah das große, kreisrunde Fenster, das die Fassade der Villa Beer prägt, und verglich deren Eleganz mit jener der Nachbarhäuser. Ohne jetzt Geschmacksfragen zu erörtern: Die Villa Beer wirkt moderner als jedes andere Haus im Quartier.
Auf der Hietzinger Hauptstraße wanderte ich weiter Richtung Hietzing, nahm den Umweg durch die Altgasse, ging weiter zur Maxingstraße und sah die Lichter des Maxingstüberls brennen, eines Etablissements, wo schon mein Vater Stammgast gewesen war.
Kurz entschlossen trat ich ein – und fand mich sofort im Wirtshausparadies wieder. Der Wirt duzte mich, weil das im Wirtshaus so ist. Er zeigte mir die Nische, wo Kaiser Franz Joseph die Schratt zu treffen pflegte, erzählte Anekdoten aus der Geschichte des 1805 eröffneten Lokals und lobte die Kochkünste seiner Küchenchefin Wesna, deren Rindsrouladen nach dem Rezept seiner – des Wirten – Großmutter zubereitet werden. Prädikat: empfehlenswert.
Ich konnte mich an den holzgetäfelten Stuben mit den Butzenfenstern nicht sattsehen. Trank ein kleines Bier, sah die Bilder der Stammgäste an der Wand – wo war Helmut Qualtinger eigentlich nicht Stammgast? – und hörte den Geschichten zu, die mich für einen langen Augenblick glücklich machten. Mit ein bisschen gutem Willen kann man sogar in Hietzing verloren gehen.
Die Route
Gloriettegasse - Wenzgasse - Hietzinger Hauptstraße - Altgasse - Maxingstraße: 1.800 Schritte
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