Seilers Gehen: Nostalgischer Spaziergang durch Wien-Neubau

Die KURIER-freizeit wird 33

Ich spaziere durch Neubau, wo sich vor 33 Jahren der KURIER befand (er befand sich viel länger dort, aber ich verfolge mit dieser Einleitung ein dramaturgisches Ziel). Gehe durch die Lindengasse, nehme (wie schon vor zwei Wochen) die Abzweigung durch die Wohnsiedlung, wo einmal der zugebaute Redaktionsturm stand, in dem Jahre später zuerst das profil untergebracht war – dessen Redaktion ich damals angehörte – und anschließend die freizeit Redaktion. Ich betrachte die glatten Fassaden mit ihren bronzefarbenen, mit wolkigen Lochungen versehenen Paneelen und frage mich, ob die Menschen, die hier leben, manchmal nachts Stimmen hören, die aus den Redaktionskonferenzen von damals übrig geblieben sind (wenn ich mich richtig erinnere, waren manche dieser Stimmen ziemlich laut und selbstbewusst). 

Ich gehe jetzt die Seidengasse entlang und biege in die Zieglergasse ein, wo ich bis zur „Stadt Krems“ komme und wieder stehen bleibe. Nicht nur, dass die „Stadt Krems“ sowieso ein schönes Wirtshaus ist, von denen es nie genug geben kann, sie war auch sowas wie eine Nebenredaktion, jedenfalls zwischen zwölf und vierzehn Uhr, manchmal auch länger. Ich war dort nur Zaungast, habe aber viele Heldengeschichten aus dieser Zeit vor 33 Jahren gehört, in der auch die  gegründet wurde, als ein kluges, lebensfrohes Wochenend-Supplement zur Tageszeitung, die sich um die wichtigen und entsprechend spröden Seiten des Lebens kümmern musste (dass es nicht zu spröd wurde, dafür sorgten die Giganten dieser Zeit, Hans Rauscher im „Ohrwaschl“ auf der Seite 1 oder Herbert Hufnagl in seiner täglichen Kolumne, die auf unnachahmliche Weise Sprach- und Systemkritik miteinander verheiratete; manchmal klingen die Sprachschöpfungen Hufnagls – „Land der Koffer“ – noch in meinen Ohren nach). 

©Klobouk Alexandra

Natürlich war es dann der unvergleichliche Michael Horowitz, Gründer der freizeit und viele Jahre lang ihr Chefredakteur, der mich endlich in die „Stadt Krems“ mitnahm, wo er zum Mittagessen eine „dunkle Kalbsstelze“ bestellt hatte. Die freizeit war vielleicht ein Jahr alt, als ich meine erste Kolumne zu schreiben begann, und mit einer Pause von fünf oder sechs Jahren schreibe ich sie bis heute. 

Die Pause folgte auf den Tod meines Hundes „Barolo“, den manche von Ihnen noch kennengelernt haben, vielleicht sogar persönlich – ist der Mantel wieder sauber? Wenn ich durch Neubau gehe, schaue ich manchmal, ob hinter gewissen Ecken noch immer die Flocken schwarzer Fellhaare liegen, die ich dem Hund damals ausgekämmt habe. Aber Wiens Straßenreinigung ist gnadenlos effektiv. Kaum fünfzehn Jahre später ist kein Rest mehr übrig. Ich lasse jetzt die Neubaujahre hinter mir und gehe zurück in die Gegenwart, die Westbahnstraße und die Siebensterngasse stadteinwärts, quer durchs Museumsquartier, und weil ich keinen Hund dabei habe, mit dem mir der Eintritt verwehrt würde, mache ich einen Abstecher ins Kunsthistorische Museum, um mir die neue Sonderausstellung „Idole & Rivalen“ anzuschauen, an meinem Lieblingsort, wo die Vergangenheit stets zeitlos wird.

Die Route

Lindengasse - Seidengasse - Zieglergasse - Westbahnstraße - Siebensterngasse - Museumsquartier - Kunsthistorisches Museum: 3.000 Schritte

Christian Seiler

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