Vom Residenzen und Hanswurst: Durch die Gassen von Neubau und Mariahilf
Vom Museumsquartier bis zur Mollardgasse: Christian Seiler erkundet Wien zu Fuß.
Ich gehe zuerst durch die Gasseln von Neubau, bleibe vor der schönen, alten Post Ecke Mondscheingasse/Zollergasse stehen, die gerade renovierungshalber eingerüstet ist und einmal mehr etwas verspricht, wovon es in Wien inzwischen eh schon eine ganze Menge gibt, nämlich „Monumentales Wohngefühl“ in „28 modernen Stadtresidenzen“. Ich freue mich ja, wenn schöne Gebäude nicht dem Verfall preisgegeben werden. Gleichzeitig hielte ich es aber für ausreichend, wenn sie „bewohnt“ würden und nicht in „Residenzen“ verwandelt. Was ist eigentlich genau der Unterschied? Beschränkt sich der auf den Quadratmeterpreis? Oder gibt es ein qualifiziertes Lebensgefühl, eine Kunst, die sich erlernen lässt, um aus der Pflicht des Bewohnens die Kür des Residierens zu machen? Falls es dafür irgendwo einen Crashkurs gibt, ich bin dabei.
Ich streune durch die Neubaugasse und die Westbahnstraße, schlängle mich durch die Wohnanlage, wo früher einmal der KURIER zu Hause war, gehe durch die Andreasgasse zur Mariahilfer Straße, dränge mich durch den Fußgängerverkehr des Samstagnachmittags und spaziere die Esterházygasse bergab, bis ich zur Mollardgasse komme und dort stadtauswärts gehe. An der Ecke Mollardgasse/Grabnergasse fällt mir ein Schild auf. Es erinnert an ein Haus, das hier einmal stand: das Hanswursthaus. Zwar ist auch die gegenwärtige Bebauung, der „Einsteinhof“ aus den Jahren 1952 mehr als ansehnlich, zeichnet als Architekt doch Adolf Hoch verantwortlich, der u. a. auch die Opernpassage oder die „Internationale Kulturstätte im Hörndlwald“ geplant hat. Und doch trägt mich das simple Schild fast 300 Jahre in die Stadtgeschichte zurück, als hier der stadtbekannte Schauspieler und Prinzipal Josef Anton Stranitzky der Hausherr war.
Stranitzky, ein zugewanderter Knittelfelder, war ein Mann vieler Talente. Er war nicht nur ein improvisationsgewaltiger Wanderschauspieler, sondern auch „examinirter Zahn- und Mundarczt“. Zuerst in einem Pawlatschentheater auf der Freyung, später in einer hölzernen Hütte auf dem Neuen Markt gewann Stranitzky mit seiner Darstellung des Hanswurst die Herzen der Wiener. Er verballhornte mit besonderer Inbrunst die zu dieser Zeit bei Hof beliebten, italienischen Zauberopern und wurde zu einem der ersten Volkskünstler – nicht ohne gleichzeitig noch als Zahnarzt, aber auch Weinhändler zu praktizieren.
Im Jahr 1721 erschien sein Buch „Hanns Wursts vermischte Gedanken über die vier Jahreszeiten“. Von den sprudelnden Einkünften kaufte sich Stranitzky neben dem „Hanswursthaus“ auf dem Salzgries auch das Haus „Zum Heiligen Leopold“ in der Mollardgasse, das darauf in „Großes Hanswursthaus“ umbenannt wurde. 1856, lange nach Stranitzkys Tod, zog eine Chinasilberfabrik ein. 1952 wurde das Gebäude demoliert und durch den Einsteinhof ersetzt. Seit 1958 hängt die Tafel am ehemaligen Gassenlokal des Gemeindebaus. Ich gönne dem Entertainer Stranitzky posthum seinen großen Erfolg, denn kaum etwas ist wertvoller, als Menschen zum Lachen zu bringen. Ich gehe weiter Richtung Gürtel, lächelnd.
Die Route
Museumsquartier – Siebensterngasse – Zollergasse – Mondscheingasse – Seidengasse – Andreasgasse – Esterházygasse – Mollardgasse: 4.000 Schritte
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