Ein Monument des Recyclings: Drei Standorte für eine Wiener Säule

Ein Spaziergang durch die Geschichte der Stadt Wien erzählt von einer Säule, die zu ihren Lebzeiten bereits viel herumkam.

Ich möchte, weil ich neugierig bin, auf dem neuen Erdberger Steg den Donaukanal überqueren. Der alte ist bekanntlich demontiert und einer unbekannten Bestimmung zugeführt worden, weil er zu schmal, zu filigran und viel zu schnell aus der Zeit gefallen war. Als ich in Erdberg ankomme, ist der neue Steg aber noch nicht betriebsbereit, und ich habe plötzlich Zeit, um mich nicht nur an seinen Vorgänger (2002 – 2022) zu erinnern, sondern auch an die Rollfähre, auf der man an dieser Stelle nicht weniger als hundert Jahre lang den Donaukanal überquerte. Es existiert ein berühmtes Foto, mutmaßlich aus den Fünfzigerjahren, wo lange Schlangen von Herren in Anzügen, die entweder mit Kappe oder mit Hut ausgestattet sind, darauf warten, von Erdberg in die Leopoldstadt übergesetzt zu werden, um im Praterstadion einem Wiener Derby beizuwohnen. Die anachronistische Tradition der Rollfähre setzte ein nostalgischer Fährmann namens Josef Kerschbaumer bis ins 21. Jahrhundert mit seiner bunten Fähre fort, bis ihm der Steg seine Arbeit abnahm. 

Ich gehe also statt in den Prater am Erdberger Ufer den Donaukanalweg stadteinwärts, unterquere die Rotundenbrücke, betrachte Hundezonen, Winterpicknicker, Pfeifenraucher und Jogger auf Adventtherapie, sehe Schnellbahnen über das Wasser schweben und frage mich, wann die renovierte Franzensbrücke endgültig ihr Arbeitsgwandl abgelegt haben wird. Ich gehe an der Strandbar Herrmann vorbei, träume ein bisschen vom Sommer, wenn hier wieder Boule gespielt wird, und folge dem ansteigenden Weg Richtung Urania, bewundere die schönen Graffitis an der Mauer und entscheide mich dann spontan, die Dampfschiffstraße zu überqueren, um mir in dem Zwickel zwischen Straße und Straßenbahntrasse die Säule anzuschauen, die schlank und hoch vor dem historistischen Hauptquartier der Berufsrettung steht. 

Es ist eine Dreifaltigkeitssäule aus dem Jahr 1683, die weit ausholt, um aus der Geschichte der Stadt zu erzählen. Auf einem beschrifteten Volutensockel stehen Säule und Engelskopfkapitell, darauf wiederum die Dreifaltigkeitsgruppe. Zuerst einmal erinnerte das Monument an die von den Türken zerstörte Margarethenkirche – die heutige Weißgerberkirche, die während der Zweiten Türkenbelagerung dem Erdboden gleich gemacht wurde. Dann wurde sie 1713 renoviert und instand gesetzt, um der Dankbarkeit über das Ende der Pestepidemie Ausdruck zu verleihen.

Dreifaltigkeitssäule bei der Radetzkystraße

©Klobouk Alexandra

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Radetzkybrücke über den Wienfluss gebaut wurde, wanderte die Dreifaltigkeitssäule in eine nahe Grünfläche, von wo sie 1897 noch einmal an den heutigen Standort verbracht wurde, als die „Zentralstation der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft“ erbaut wurde, die heutige Berufsrettungszentrale. Jetzt stehe ich vor dieser hohen Säule, deren Doppelkreuz in der Sonne glänzt und sehe, wie im Hintergrund ein Wagen mit Blaulicht zu einem Einsatz ausrückt. Gebangt und gehofft wird heute so wie damals, denke ich mir, und die Engel auf der Säule nicken mir wie zur Bestätigung freundschaftlich zu.

Die Route

Erdberger Steg – Donaukanal – Dampfschiffstrasse – Radetzkystrasse: 4.000 Schritte

Christian Seiler

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