Ziggy Marley: "Mein Vater war zu mächtig geworden“

Der Spielfilm "Bob Marley: One Love“ erzählt das Leben der Reggae-Legende. Hier spricht Ziggy Marley über das Vermächtnis des Vaters und warum er glaubt, dass die CIA hinter dem Attentat auf ihn steckt.

Ziggy Marley sitzt in seinem Musikstudio, als er auf unserem Bildschirm zum Interview auftaucht, hinter ihm lehnen Gitarren, die Kinderzeichnung einer Familie ist zu sehen, er trägt eine Haube und ein Bob-Marley-Shirt. Er lacht, aus Stolz: Endlich kommt ein Film über das Leben seines berühmten Vaters ins Kino, "Bob Marley: One Love“

Ziggy ist sein zweites Kind und selbst Musiker, gewann acht Grammys, schreibt Bücher, setzt sich mit seiner Organisation für wohltätige Zwecke ein. Und ist die beste Quelle für das Lebenswerk seines Vaters. Dessen Hits wie "Is This Love“ gehören zu den berühmtesten Liedern der Welt. Der aktuell im Kino laufende Film entstand im Team mit der Marley-Familie und erzählt, wie der Sänger es aus der Armut Jamaikas zur Legende brachte und den Reggae berühmt machte.

Ziggy, Millionen lieben Bob Marley für seine Musik. Wie war er als Vater? 

Es ging immer sehr lustig zu mit meinem Vater. Etwa wenn wir gemeinsam Fußball spielten, aufs Land rausfuhren oder mit seinen Freunden spielten. Wir hatten stets Spaß.

Was war ihm wichtig in Sachen Erziehung? 

Disziplin und Manieren. Und Bescheidenheit. Wir haben nie vergessen, wo wir herkommen. Er hat uns stets an unsere Wurzeln erinnert, hat uns immer wieder in das Armenviertel Trenchtown mitgenommen, wo ich geboren wurde. Diese Verbindung zu unserer Geschichte war ihm wichtig.

Gibt es ein gemeinsames Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? 

Eine Reise nach Simbabwe zur Feier der Unabhängigkeit von der britischen Krone. Die Reise, die wir damals mit ihm unternommen haben, war sehr aufschlussreich für mich und hatte großen Einfluss auf meine Persönlichkeit. Ich war ungefähr elf Jahre alt, mein Bruder Stephen war auch dabei. Es war ein Vater-Sohn-Ding, nur dass wir nicht zusammen zelten oder ins Kino gingen, sondern Zeuge von etwas wirklich Wichtigem wurden. Wir gingen uns gemeinsam die neu gewonnene Freiheit einer Nation ansehen. Besser geht’s nicht.

Bob Marley, Reggae-Legende: „Wenn es nötig war zu kämpfen, konnte er kämpfen“

©imago images/Ronald Grant/Ronald Grant Archive/Mary EvansMary Evans Picture Library/imago images

Haben Sie auch zusammen Musik gemacht?

Den ersten Song, den ich 1979 mit den Melody Makers herausbrachte, hatte er geschrieben. Das war „Children Playing in the Street“ und da haben wir zum ersten Mal bewusst miteinander Musik gemacht. Er hat auf dem Track die Gitarre eingespielt. Ich erinnere mich auch, wie ich ihn komponieren sah. Wir waren stets mit im Studio, er forderte uns dann auf, mitzusingen. Es ging immer darum, zusammen zu spielen und zu singen.

Welche Eigenschaften hatte er? 

Mein Vater war sehr diszipliniert und besaß ein hohes Arbeitsethos. Und er war jemand, der gut konnte mit den Menschen, sich um sie gekümmert und gesorgt hat. Er war sehr fürsorglich. Es gab aber auch eine andere Seite an ihm. Eine raue Seite. Denn gleichzeitig war er eine sehr starke Person. Wenn es nötig war zu kämpfen, konnte er kämpfen. Das ist durchaus auch körperlich zu verstehen. Er konnte sich selbst verteidigen und andere beschützen.

Welcher seiner Songs ist Ihr Favorit?

Da gibt es einige, aber "Redemption Song“ ist wahrscheinlich mein Lieblingslied von ihm. Es ruft sehr viele Emotionen in mir wach und macht mich melancholisch.

Bob Marleys Leben und Laufbahn ist eingebettet in politisch turbulente Zeiten. Es ging ihm um Liebe und Frieden, er wollte die Welt verbessern, oder?

Zusammengefasst stimmt das. Aber seine Musik bestand aus vielen Elementen. Seine Message war auch Gerechtigkeit, Recht und Freiheit. Wir Afrikaner lieben den Frieden, aber wir kämpfen auch dafür, wenn es notwendig ist. Wir bringen eine gewisse Militanz in die Musik. Dennoch bleibt die Kernbotschaft und Grundlage für unseren Kampf immer der Friede. Wir kämpfen für die Liebe.

Ziggy Marley über seinen Vater: „Es ist keine Bürde, Bob Marleys Sohn zu sein. Ich verstehe mich als Sohn des Allmächtigen. Könnte ich mehr Druck bekommen?“

©2024 Paramount Pictures

Könnte man sagen, Bob Marley war auf seine Art ein Prediger – gegen Unterdrückung und für die Freiheit?

Nein, Prediger war er keiner. Gegen die Prediger ging er an. Wie singt er doch in "Get Up, Stand Up“: "Preacher Man Don’t Tell Me / Heaven Is Under The Earth / I Know You Don't Know / What Life Is Really Worth“. Oder das Lied "Talkin’ Blues“, wo er singt: "So Who’s Gonna Stay At Home, When The Freedom Fighters Are Fighting“ und "I Feel Like Bombing A Church / Now That You Know That The Preacher Is Lying“. Mit einem Prediger hatte er nichts am Hut. Er sagte selbst, was er war: ein Revolutionär. Seine Musik war Rebelmusic – Rebellenmusik.

Und damit Musik für die Menschen, wie Marley es im Film sagen darf. 

Ja, Musik vereint die Menschen. Zu viel unnötige Gewalt beherrscht diese Welt. Was ist falsch daran, sich zu lieben? Was ist falsch an Menschlichkeit? Warum kämpfen wir so viel? Wozu? Was ist der Zweck von all dem? Würden wir alle friedlich zusammenleben, wäre das Leben so viel besser. Ohne all diese Gewalt und Spaltung, als ob das nötig wäre! Und die Politiker geben nicht die richtigen Antworten auf die aktuellen Krisen. Die Welt ist in einer schlimmen Lage. Unser Film kann inspirieren, den Leuten die richtige Botschaft zu vermitteln. Wie es jetzt ist, macht es keinen Sinn. Es nützt uns nichts, wenn wir uns gegenseitig umbringen.

Es handelte sich um einen Stellvertreterkrieg. Mein Vater versuchte, Frieden zu schließen. Und im Gegenzug versuchten sie, ihn dafür zu töten.

Auch zu Zeiten Ihres Vaters herrschte politische Gewalt, auf Jamaika kam es zu brutalen Zusammenstößen zwischen den beiden rivalisierenden Parteien. 1976 wurde ein Attentat auf Bob Marley verübt, bei dem er in Brust und Arm geschossen wurde. Wie ist Ihr Blick zurück?

Nun, es ging nicht nur um Innenpolitik auf Jamaika. Es ging um weit mehr, um Geopolitik, um die gesamte Region. Russland und Kuba waren auf dem Vormarsch und die US-Regierung wollte sicherstellen, dass Jamaika nicht zunehmend unter den Einfluss von Sozialismus und Kommunismus gerät. Also mischten sie sich in die politische Situation ein und beabsichtigten, einer Seite einen Vorteil zu verschaffen. Es ging um mehr als bloß um den Kampf zweier kleiner Parteien auf einer Insel.

Was ging Ihrer Meinung nach vor sich?

Es handelte sich um einen globalen Stellvertreterkrieg. Kräfte von außen benutzten die Menschen, um diesen Politkrieg zu führen. Doch irgendwann machten die Menschen da nicht mehr mit. Sie wollten diesen Krieg nicht, sie wählten Liebe statt Krieg und wollten Frieden schließen. Mein Vater versuchte, Frieden zu schließen. Und im Gegenzug versuchten sie, ihn dafür zu töten.

Wie ging es nach dem Attentat weiter?

Ein Friedensvertrag wurde geschlossen, allerdings nicht zwischen den politischen Parteien, sondern innerhalb der Communitys, die sich gegenseitig bekämpften. Das gipfelte in einem Friedenskonzert, bei dem die beiden Polit-Anführer zusammenkamen, um den Menschen in Jamaika zu zeigen, dass Frieden möglich ist. Aber das hielt nicht lange. Ein paar Jahre später fingen sie wieder mit denselben alten Tricks an. Es ist alles ein politisches Spiel.

Welche Rolle spielte Bob Marley darin?

Mein Vater stand für etwas, das der Politik nicht gefiel. Bob Marley war zu mächtig geworden. Er war imstande, die Leute aufzurufen und zusammenzubringen. So viel Macht durfte keiner haben. Er hätte damit alles machen können, so sehr haben die Menschen Bob Marley geliebt. Mit dieser Macht hätte er das ganze Land übernehmen können. Aber er wollte nur Frieden.

Hauptdarsteller: Kingsley Ben-Adir als Bob Marley in "Bob Marley: One Love"

©Paramount Pictures

Sie sind der Meinung, die CIA steckt hinter dem Attentat auf Bob Marley?

Ich glaube das nicht nur, es ist ein historischer Fakt. Solche Vorgänge gab es in vielen verschiedenen Ländern, nicht nur auf Jamaika, sondern überall auf der Welt, von Afrika bis Südamerika. Das ist nichts Neues, selbst wenn es immer noch unglaublich klingt.

Der Film zeigt, wie Erfolg und Ruhm Ihrem Vater geschadet haben. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Nach einer gewissen Zeit hatte der Ruhm seinen Glanz verloren. Er singt ja auch über die Ängste und Qualen, die er ihm bereitet hat, etwa im Song „I Know A Place“: "When The Whole World Lets You Down / And There's Nowhere For You To Turn / 'Cause All Of Your Best Friends Have Let You Down.“ Ich weiß, die meisten kennen meinen Vater für Lieder wie "One Love“ oder "Get Up, Stand Up“. Aber es gibt auch andere, die mehr auf seinen emotionalen Zustand eingehen. Wir haben einige dieser nicht so populären Lieder, in denen er darüber singt, durchzudrehen, für den Film verwendet.

Ziggy Marley

Ziggy Marley

Ziggy Marley wurde 1968 in Kingston, Jamaika geboren und ist der Sohn von Bob und Rita Marley. Mit drei seiner Geschwister gründete er die Melody Makers, seit 2003 ist er Solokünstler. Er gewann acht Grammys, schrieb Kinder- sowie Kochbücher. Er ist verheiratet und Vater von insgesamt sieben Kindern.

Warum war er unglücklich?

Als es Zeit für ihn gewesen wäre, eine Pause vom Erfolg einzulegen, drängte ihn die Maschinerie des Musikbusiness’ zum Weitermachen. Immer weiter! Er ist da hinein- und unter die Räder geraten. Diese Maschinerie hat die Kontrolle über sein Leben übernommen. Es war nicht alles gut, er hat gelitten.

Ist es manchmal eine Bürde, der Sohn von Bob Marley zu sein? Vor allem wenn man wie Sie selbst Musiker ist und mit dem Vater verglichen wird.

Nein, es ist keine Bürde. Ich verstehe mich als Sohn des Allmächtigen. Könnte ich mehr Druck bekommen, als ein Sohn der Sonne zu sein und des allmächtigen Gottes, der das Universum erschaffen hat? Dem gerecht zu werden ist erheblich schwieriger. Mein Vater ist mein Vater, aber er ist auch mein Bruder. Ich kann mich nicht daran orientieren, wie die Welt meinen Vater und mich betrachtet. Ich denke anders. Es geht nicht darum, möglichst viele Platten zu verkaufen oder berühmt zu sein. Ich möchte ein guter Mensch sein – das ist für mich das Vermächtnis meines Vaters. Und das ist eine willkommene Verantwortung.

Denken Sie manchmal daran, was er noch hätte erreichen können, wenn er nicht mit 36 Jahren an Krebs gestorben wäre?

Ich bin mir nicht sicher, ob er ein politischer Anführer geworden und ob es richtig für ihn gewesen wäre, diesen Weg einzuschlagen. Auf jeden Fall hätte er heute einen großen Einfluss auf die Menschen auf Jamaika und sogar in Afrika. Sein Einfluss wäre heute wohl noch größer, als er jetzt schon ist.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare