Will Smith versetzt Chris Rock und der Oscar-Gala einen Tiefschlag
Als Sieger der 94. Oscar-Preisverleihung geht das Gehörlosendrama "Coda" hervor. Der große Verlierer aber ist die Gala selbst.
Wenn man sich an etwas von der "post"-pandemischen, 94. Oscar-Preisverleihung erinnern wird, dann daran, dass der für einen Oscar nominierte Will Smith dem Präsentator Chris Rock live ins Gesicht schlug. Viel mehr wird nicht übrigbleiben. Rock hatte einen wenig geschmackvollen Witz über Smith’s Frau Jada Pinkett Smith gemacht, die an Haarausfall leidet und mit Glatze im Publikum saß. Zur Verblüffung aller, war Will Smith daraufhin von seinem Platz aufgesprungen und hatte seine Fäuste sprechen lassen.
Nur kurze Zeit später bekam er den Oscar für den besten Hauptdarsteller als "Tennisvater" in "King Richard" zugesprochen – und hielt eine tränenreiche, überlange Dankesrede darüber, wie man Menschen lieben und beschützen müsse: "Ich möchte ein Gefäß der Liebe sein", so Will Smith mit unterdrücktem Schluchzen. Dann entschuldigte er sich bei der Academy (nicht bei Chris Rock) und hoffte abschließend, dass er trotz allem wieder zu einer Preisverleihung eingeladen werden würde.
Alles fühlte sich falsch an. Der Witz, der Faustschlag, die Rechtfertigung. Sie markierten den Tiefpunkt einer seelenlosen Oscar-Gala, in der die amerikanische Unterhaltungsindustrie ausschließlich sentimental um sich selbst kreiste, die Dankesreden zu großen Teilen stereotyp dahinplätscherten und jegliche Form von politischem Statement fehlte – sieht man davon ab, dass mittels eines Inserts zu einer Schweigeminute für die Ukraine aufgerufen wurde.
Drei Moderatorinnen
Umgekehrt mangelte es der Show an Witz, Originalität und Lebendigkeit, obwohl die drei Moderatorinnen Amy Schumer, Regina Hall und Wanda Sykes zu Beginn einen dynamischen Start vorlegten. Es sei immer noch billiger, drei Frauen als einen Mann für die Moderation zu engagieren, scherzte Schumer. Sykes wiederum beteuerte, sie hätte den Favoritenfilm "The Power of the Dog" dreimal angefangen, wäre aber immer noch nicht damit fertig. Und nein, es sei nicht die Schuld von Nicole Kidman, dass ein Film wie "Being the Ricardos", der von einer großen Comedienne wie Lucille Ball erzählt, keine Sekunde lustig ist. Die üblichen kleinen Seitenhiebe auf die anwesende Kollegenschaft perlten zu Beginn der Gala noch recht frisch und vielversprechend über das Publikum herein. Im Lichte der darauffolgenden Ereignisse kann man den zukünftigen Moderatoren und Moderatorinnen aber nur raten, mit ihren Scherzen vorsichtiger umzugehen – zu ihrer eigenen Sicherheit.
Gewinner des Abends: "Coda"
Der große Gewinner des Abends hieß "Coda", ein sympathisches Gehörlosendrama, das Apple für unglaubliche 25 Millionen Dollar gekauft hatte; eine Investition, die sich auszahlte. Für drei Oscars nominiert – darunter bester Film und bester Nebendarsteller –, gewann "Coda" alle Preise. Troy Kotsur, der den Familienvater verkörpert, erhielt als erster gehörloser Schauspieler einen Oscar für die beste Nebenrolle und gebärdete eine der wenigen wirklich berührenden, sehr persönlichen Reden.
Mit "Coda" hat zudem erstmals ein Streaminganbieter den höchsten Preis der angeschlagenen Filmindustrie ergattert und auch noch Netflix aus dem Feld geschlagen. Mit 12 Nominierungen war Netflix‘ queerer Western "The Power of the Dog" von Jane Campion als Favorit ins Rennen gegangen, hatte aber schließlich "nur" den Oscar für beste Regie bekommen. Nach Chloe Zhao ("Nomadland") im letzten Jahr, gewann damit erneut eine Frau den Regie-Oscar.
Stark reüssieren konnte auch Denis Villeneuves Sci-Fi-Wüstenepos "Dune", das zehn Nominierungen erhalten hatte und immerhin sechs "technische" Oscars für sich gewinnen konnte.
Gospelchor auf der Bühne
Zu einer der emotionalsten Momente der Oscar-Galas zählte bislang immer das "In Memoriam", die Rückschau auf die im letzten Jahr verstorbenen Kreativen der Filmindustrie. Zu gefühlvoller Musik flammen die Fotos von mehr oder weniger bekannten Menschen auf, die zur Geschichte des Kinos beigetragen haben. Heuer hatte man sich dazu entschlossen, einen unruhigen Gospelchor auf die Bühne zu holen und Hektik zu verbreiten. Und nicht nur das: Zu ausgewählten Toten (Sidney Poitier, Ivan Reitman und Betty White) absolvierten Promis wie Bill Murray oder Jamie Lee Curtis (mit Schoßhund) einen Kurzauftritt und sprachen warme Worte über die Verstorbenen. Dadurch aber entstand der etwas seltsame Eindruck, dass diese drei Toten "mehr Gewicht" hatten als alle anderen.
Länger, nicht kürzer
Übrigens: Nachdem die Oscar-Gala in den letzten Jahren stark an Einschaltquoten verlor, hatte man sich dazu entschlossen, acht der "technischen" Kategorien – wie Ton, Schnitt oder Ausstattung – vorab aufzuzeichnen und dann die Clips mit den Gewinnern während der Live-Gala einzuspielen. Diese Entscheidung hatte im Vorfeld für viel Ärger gesorgt und erwies sich als wenig zielführend. Durch die Einspielungen wirkte die Gala chaotisch und verwirrend, wurde aber nicht kürzer und kompakter, im Gegenteil: Mit drei Stunden, vierzig Minuten war sie um 21 Minuten länger als die Show im letzten Jahr.
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