Thomas Gorisek schaut auf seine Ausdrucke. Auch der Dürerhase ist auf einem der Papierbögen zu sehen

Wo Dürers Feldhase aus dem Drucker kommt

Pläne des Parlaments, Originalpartituren oder ikonische Werke, wie Dürers Feldhase: Thomas Gorisek druckt sie alle nach.

Die Bilder stapeln sich auf den Tischen, wild durcheinander gewürfelt: Albrecht Dürers "Feldhase" liegt auf dem "Segelboot auf dem Tegernsee" von August Macke, daneben leuchtet das "Blaue Pferd" von Franz Marc. An der Wand ein Jan Vermeer, auf dem großen Tisch in der Mitte ein Toulouse-Lautrec. Wer vorsichtig gräbt, findet einen Rudolf von Alt.

Es wirkt wie eine Wunderkammer. Hier, auf Stiege 2 eines typischen Gründerzeithauses in der Währinger Straße im neunten Wiener Bezirk, schaltet und waltet Thomas Gorisek Kunstdrucker, Tüftler, Perfektionist.

Draußen rumpeln die Straßenbahnen über die Schienen. Nur einen Hof weiter, in Goriseks "Farbpraxis", ist es beinahe still. Leises Surren erfüllt den Raum – der Drucker arbeitet. Zeile für Zeile wirft er Dürers legendären Feldhasen aus. Punkt für Punkt zeichnet sich das Aquarell auf dem Papier ab.

Ein Hase nach dem anderen entsteht

In der Wiener Albertina liegen sie im Museumsshop auf: die Dürer-Hasen aus Goriseks Werkstatt. Auch der berühmte "Blaurackenflügel" rutscht in mehrfacher Ausführung aus dem Großformatdrucker.

Der Dürerhase, ein Anziehungspunkt in der Albertina (auch hier ist ein Faksimile zu sehen) und als Nachdruck ein beliebtes Mitbringsel.

©Kurier/Deutsch Gerhard

Gorisek ist Qualität wichtig. Daher pilgern Künstler zu ihm, genauso wie Galeristen oder Eigentümer großer Kunstwerke, um sie nachdrucken zu lassen. "Das Teuerste, das ich je da hatte, war ein Schiele-Original um 970.000 Euro", sagt Gorisek, der die Gemälde erst einmal fotografieren muss, um ein Faksimile machen zu können. Schläft man da nicht schlecht? "Ich hab gar nicht geschlafen."

Das Bild kam vor 9 Uhr in der Früh und spätestens um 17 Uhr wurde es wieder abgeholt. Mittagessen gibt es an so einem Tag nicht. "Ich verlasse das Büro in dieser Zeit nicht." Andere Aufträge sind da entspannter: "Kurz danach war ein Klimt hier, der war aber nur die Hälfte wert."

Gedruckte Musik

Der Wiener streift seine weißen Handschuhe über und greift zu einer Partitur. Vorsichtig blättert er um. Er hält die Original-Dirigierpartitur von Erich Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" in den Händen. Der Komponist hat viel gestrichen, angemerkt – mit Bleistift. Genau das will das Humboldt Institut Berlin erhalten wissen. 

Es gab Gorisek den Auftrag für die Digitalisierung – ohne Ausdruck, dafür mit Präzision. Mit einer hochauflösenden Mittelformat-Kamera hat er die 450 Seiten fotografiert und dann digital bearbeitet.

Bei Thomas Gorisek wird Präsizionsarbeit großgeschrieben 

©kurier/Martin Winkler

Die Kamera ist extrem bewegungsempfindlich. Gut, dass die Farbpraxis auf Stiege 2 ist und nicht direkt über der Währinger Straße.

Mit Musik ist der Kunsthandwerker viel befasst. Die Wiener Staatsoper ließ die Originalpartitur von Richard Strauss’ "Die Frau ohne Schatten" für das Jubiläum im Jahr 2019 reproduzieren. Christian Thielemann hatte sie dann auch am Dirigentenpult liegen. Gorisek liegt übrigens viel an seinen Werken. "Die Drucke sind genauso heikel wie das Original", sagt er. Wer sie gut behandelt, wird sie lange haben.

"Das Teuerste, das ich je da hatte, war ein Schiele-Original um 970.000 Euro. Kurz danach war ein Klimt hier, der war nur die Hälfte wert"
 

Thomas Gorisek, Kunsthandwerker

Inzwischen haben eine ganze Reihe Hasen und auch Rasenstücke von Dürer den Drucker verlassen. Bei ihnen hat Gorisek die richtige Abstimmung längst gefunden. 

Bei Neuem muss er sich erst spielen 

Das Schwierigste, das er jemals gemacht hat, waren Aquarelle von Jakob und Rudolf von Alt. Bis zu sieben Testdrucke waren notwendig, normalerweise sind es maximal drei. Da weniger Rot, dort mehr, die Blautöne passten nicht. Dieser Himmel, eine Herausforderung. "Ich war schon immer ein Tüftler, ein Perfektionist, sonst würde das nicht funktionieren."

Er habe sich die Fertigkeiten für seinen Job selbst beigebracht. Es sind drei Berufe, die er ausübt: Fotograf, Lithograf, Drucker. So kommt alles aus einer Hand. Das Rüstzeug bekam er an der Graphischen in Wien mit. "Ich wusste schon immer, ich will etwas mit Kunst machen". Bei einem Interrail-Stopp in Paris kaufte er sich einen Druck von "Die Kirche von Auvers" von Vincent van Gogh. Ihn gibt es heute noch. Trotzdem dauerte es Jahre, bis Gorisek seinen Traum beruflich ausführen konnte.

Seine Eintrittskarte war die Arbeit für das Parlament. 2008 schrieb es ein ambitioniertes Projekt aus: Die Originalpläne des Gebäudes von Theophil Hansen sollten digitalisiert werden. Gorisek gewann den Auftrag – über 900 Pläne hat er drei Jahre lang fotografiert und digitalisiert. Doch danach blieb alles im Verborgenen, im Archiv.

Die Parlamentspläne von Theophil Hansen - sie zu digitalisieren hat für Thomas Gorisek den Weg geebnet

©kurier/Martin Winkler

"Das ist urschade, dass das kein Mensch sieht", dachte er. Seine Lösung: Ausdrucken. "Ich hab’ erst einmal begonnen." Die ersten zwei Jahre war das eher ein Hobby, 
"das hat nur Geld gekostet". Aber dann nahm alles seinen Lauf. Den Prachtplan hat er zu einigen Anlässen wieder gedruckt. Auch das Niederländische Königspaar hält seit seinem Besuch in Wien eine kleine Version in seinen Händen. Jeder, der will, kann sie nun bestellen. 

Wer will, kann im Webshop bestellen

©Parlamentsdirektion

Denn Gorisek hat einen Webshop ins Leben gerufen. Über 400 Bilder sind schon drinnen.

Der Dürer-Hasen-Druckvorgang ist abgeschlossen. Die Albertina ist bisher das einzige Museum, das die Kunstdrucke aus der Farbpraxis bestellt. Sind sie zu teuer? "20 Prozent der Museumsbesucher legen Wert auf Qualität." Sie würden hochwertige Drucke kaufen. Und eines weiß er bestimmt. "Der Hase geht immer."

Historisches auf gutem Papier

Eine wichtige Rolle bei der Arbeit der "Farbpraxis" spielt das Papier. Gedruckt wird auf Hahnemühle-Papier. Die Papiermühle gibt es seit dem Jahr 1584. Sie ist im deutschen Relliehausen an der Soling beheimatet und übernahm für den diesjährigen Opernball die Rolle des Papiersponsors für das Plakat. Die "Farbpraxis" ist ein Hahnemühle-zertifizierter Betrieb. Das Naturpapier muss übrigens innerhalb eines halben Jahres verbraucht werden, bevor es austrocknet.

In der "Farbpraxis" werden auch historische Dokumente faksimiliert, wie etwa das Lehrbefähigungszeugnis von Ludwig Wittgenstein. Bevor er Philosoph wurde, war er Volksschullehrer. Für Ausstellungskataloge erledigt die "Farbpraxis" die Bildbearbeitung, für Ausstellungen die Wandtexte.

Webshop: farbpraxis.at

 

Katharina Salzer

Über Katharina Salzer

Katharina Salzer begann 1999 im KURIER und war viele Jahre für die Chronik in Niederösterreich unterwegs. Sie war stellvertretende Chronik-Ressortleiterin, bis sie 2019 in das Sonntags-Ressort wechselte.

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