Symbolbild: Kind mit Smartphone

Wie ein Psychologe Teenager vor dem Smartphone retten möchte

Der amerikanische Professor Jonathan Haidt sieht in den Smartphones die Ursache für die steigenden Depressionsraten der Jugendlichen.

Jonathan Haidt kommt derzeit nicht zur Ruhe. 

Während bei den meisten Pressegesprächen in der Londoner Royal Overseas League die Interviewpartner am erhöhten Tisch Platz nehmen, springt der amerikanische Psychologe nach wenigen Minuten wieder auf und beginnt, Mikrofon in der Hand, über das Podium zu pilgern. Jonathan Haidt möchte etwas bewegen und dazu muss wohl er in Bewegung bleiben. 

Der Uni-Professor will die Jugendlichen dieser Welt von den Smartphones befreien. Er möchte die „Große Neuverdrahtung der Kindheit“ durch die sozialen Medien aufhalten und stattdessen eine "handy-freien Kindheit“ schaffen. Am besten noch heuer. 

Nicht zu ignorieren

Eigentlich wollte der Sozialpsychologe ein Buch darüber schreiben, wie das Smartphone die Demokratie gefährdet. Dem Handygebrauch von Teenager wollte er sich nur im ersten Kapitel widmen. "Aber dann wurde mir klar, dass dieses Thema so viel größer ist. Und so ist aus dem ersten Kapitel ein Buch geworden."

Jonathan Haidt bei einer Konferenz

©Anna-Maria Bauer

The Anxious Generation erschien im Frühling und wurde sofort zum New York Bestseller. Auf der dazugehörigen Webseite stellt Haidt Ressourcen für Lehrer und Eltern zur Verfügung, ruft zu Challenges wie einem handy-freien Freitag auf und bittet Unterstützer, seine Argumente in die Welt zu tragen. 

The Anxious Generation von Jonathan Haidt

©Bauer Anna-Maria

Und tatsächlich beginnen sich Eltern, derzeit vor allem im englischen und amerikanischen Raum, zu vernetzen. Sie gründen WhatsApp-Gruppen und stellen Pläne auf, wie sie Druck auf die Regierung aufbauen können. 

Soeben ist sein Buch als Generation Angst nun auf Deutsch erschienen, im Mai auf Spanisch.

Vier Maßnahmen

Konkret stellt Haidt darin vier Maßnahmen vor: Keine Smartphones vor dem 14. Lebensjahr. Kein Social Media vor dem 16. Lebensjahr. Handy-freie Schulen. Und: Mehr un-überwachte, unabhängige Kindheit. 

"Denn", setzt er zur Argumentation an, "was passiert, wenn Teenager ihr soziales Leben in die sozialen Medien verlagern? Sie werden ängstlich."  

Seit 2010 sei die Einsamkeit von Schülern weltweit rasant in die Höhe gestiegen. Amerikanische Jugendliche zwischen 18 und 25 sind in der Zeit um das fast Eineinhalbfache ängstlicher geworden. Bei Mädchen in Großbritannien ist die Wahrscheinlichkeit um 78 Prozent höher, dass sie sich selbst verletzen. Und Mädchen im skandinavischen Raum sind um 75 Prozent gestresster. 

Bei Mädchen in Großbritannien ist die Wahrscheinlichkeit um 78 Prozent höher, dass sie sich selbst verletzen

©APA/AFP/OLIVIER DOULIERY

Dass sich die psychische Gesundheit der österreichischen Jugendlichen in den jüngsten Jahren verschlechtert hat, bestätigt die Wiener Psychologin Rosemarie Felder-Puig

Doch die Gesundheitsexpertin sieht in den Smartphones eher einen von mehreren Gründen. "Zuerst war da die Pandemie, und dann kam die Teuerungskrise. Dazu kommt der Klimawandel. Und die Rund-um-die-Uhr-Präsenz der sozialen Medien ist ein riesiger Stressfaktor. Dann noch das Cybermobbing. Die unrealistischen Vorbilder der Influencer. Es ist ein vielschichtiges Problem."

Wartberg: Umweltprotest bei Eröffnung von Hochwasserschutz

Wartberg: Umweltprotest bei Eröffnung von Hochwasserschutz

©APA/dpa/Sebastian Kahnert

Für Haidt ist das Smartphone und die dort verfügbaren sozialen Medien der einzige Angst-Auslöser der Generation Z. "Je mehr Zeit vor allem Mädchen in den sozialen Medien verbringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie depressiv sind."

Und: Eine Studie, bei der Studierenden zufällig ausgewählt wurden, ihren Handykonsum einzuschränken, zeigte: Bei allen Beteiligten mit eingeschränkter Nutzung gingen Gefühle von Einsamkeit und Depression stark zurück.

Noch nicht zu spät

Doch wie, fragt sich Rosemarie Felder-Puig, möchte Haidt die Maßnahmen durchsetzen? 

Österreichische Jugendliche benutzen ihr Handy im Schnitt vier Stunden am Tag. Der Digitalisierungsschwerpunkt des Bildungsministeriums sieht vor, dass alles Schülerinnen und Schüler ein Tablet oder Notebook mit Internetzugang haben. Und auch Eltern finden es oft erleichternd, über das Smartphone den Standort ihres Kindes zu kennen. 

Jugendliche stehen im Kreis und halten Smartphones in der Hand

 "Je mehr Zeit vor allem Mädchen in den sozialen Medien verbringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie depressiv sind."

©Getty Images/Kar-Tr/istockphoto

Ein paar Ideen hat Haidt dennoch. Regierungen sollten ihre Richtlinien ändern, um Kinder in der digitalen Welt besser beschützen. Technologieunternehmen sollten bessere Funktionen zur Altersüberprüfung entwickeln. Schulen sollten Handys komplett aus dem Schulalltag streichen. 

Vor allem aber will Haidt den Glauben aus den Köpfen der Menschen verbannen, dass es zu spät sei. "Ich war schon in Flugzeugen, die das Gate verlassen hatten und dann zurückgerufen wurden, weil ein Sicherheitsproblem entdeckt wurde." Und nachdem die Titanic gesunken war, wurden ihre Schwesterschiffe aus dem Verkehr gezogen und umgebaut, um sie sicherer zu machen.

Er ist überzeugt: "Wenn wir zusammenarbeiten, können wir Normen verändern. Jederzeit."

Vorschriften und Verbote

So wird der Smartphone-Konsum von Teenagern bereits eingeschränkt

In Österreich verfolgt die Bundesregierung bis dato den Ansatz, moderne Technologien zu integrieren, anstatt zu verbieten. Seit Oktober läuft ein KI-Pilotprojekt an 100 Schulen. Auch die Lehrergewerkschaft sieht ein Handyverbot nicht sinnvoll.

Und wie regeln andere Länder den Umgang der Teenager mit dem Smartphone?

Ab dem Herbst sind Smartphones in den italienischen Klassenzimmern komplett verboten. Selbst zu Unterrichtszwecken dürfen Handys dann nicht mehr aus dem Schulrucksack geholt werden. Italien hofft, mit dieser Maßnahme auch die Handschrift fördern zu können.  

In Großbritannien wird seit vergangenem Herbst über ein Verbot diskutiert. Aktuell gibt es Leitlinien für Direktoren, die zum Verbot anregen. Die Eliteschule Eton ist nun Vorreiter und wird ihren Schülern im kommenden Schuljahr alte Klapphandys austeilen. 

Bereits seit 2022 hat Frankreich Handys auf dem Schulgelände und bei Schulausflügen aus den Händen der bis zu 15-Jährigen verbannt. Französische Gymnasien haben die Möglichkeit ein Verbot einzuführen, sind dazu aber nicht verpflichtet. 

In den Niederlanden gibt es seit Jänner ein Handyverbot an weiterführenden Schulen. 

China will noch einen Schritt weiter gehen. Vergangenen Herbst kündigte die Regierung von Xi Jinping an, die Bildschirmzeit von Jugendlichen radikal einschränken zu möchte. Der Verordnungsentwurf sieht vor, dass Kinder zwischen 8 und 16 Jahren nur eine, Kinder zwischen 16 und 18 Jahren nur zwei Stunden pro Tag das Smartphone benutzen dürfen. Und das darf auch nur zwischen 6 Uhr Früh und 22 Uhr abends sein. Noch ist dieses Gesetz aber nicht in Kraft. 

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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