Jugendliche stehen im Kreis und halten Smartphones in der Hand

Die Kehrseite des digitalen Entzugs: Eine Psychologin über den Digital Detox Trend

Digital Detox liegt im Trend, so genannte "Retreats“ boomen – doch ein zu strikter Entzug kann erst recht stressen. Psychologen raten daher zu anderen Methoden.

Rund jeder Zweite nimmt sich vor, zeitweise auf digitale Geräte zu verzichten – so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Dazu passt, dass die Nachfrage nach Digital-Detox-Retreats steigt. Angebote gibt es weltweit – auch in Österreich: Die Kommunikationsdesignerin Linda Meixner hat im Bergdorf Gargellen in Vorarlberg ein Projekt gestartet. Die Gemeinde wird zum "Offline-Dorf“. Für September 2024 kann man sich ab sofort für ein Retreat ohne digitale Geräte anmelden. Mithilfe von Experten, Outdoor- und Entspannungsaktivitäten soll die Bildschirmzeit der Teilnehmenden  um die Hälfte reduziert werden. Das Urteil einer Expertin fällt über solche Urlaube mit Handyentzug allerdings eher negativ aus.

Schwerwiegende Folgen

Die klinische Psychologin Andrea Prettenhofer gibt zu bedenken, dass das Handy für viele ein Vehikel zur Ablenkung vom Alltagsstress sei. Sich ohne zu entspannen, sei gar nicht so einfach.  Im Gegenteil: Der "Entzug“ kann stressen. Darüber hinaus findet durch Retreats oft kein Lernprozess statt: Bei Yoga und Meditation kann man zwar versuchen, Stressauslöser aufzuarbeiten, doch "durch ein Retreat wird selten gelernt, wie man eigene Bedürfnisse nach Ablenkung anders stillen oder aufarbeiten kann. Für diesen Lernprozess braucht man Zeit.“

Besonders problematisch können sich mehrwöchige Urlaube ohne Handy bei Menschen mit einer Handysucht auswirken. Die Angst davor, den Zugang zu seinem Smartphone zu verlieren, ist mittlerweile bekannt unter dem Begriff "Nomophobie“, kurz für „no mobile phone phobia“. Laut einer Studie der Privaten Hochschule Göttingen hat man das Phänomen in mittlerem Maß bereits bei beinahe der Hälfte der Teilnehmenden (49,4 Prozent) feststellen können.

Laut Forschung sind nicht nur Angst und mentale Angespanntheit die Folgen, es können auch körperliche Symptome wie bei einer Angststörung auftreten. Schlafprobleme, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen sind möglich. Je nachdem, wie ausgeprägt die Handyabhängigkeit ist, treten Entzugserscheinungen unterschiedlich stark auf.

Fakten

  • Im Schnitt  verbringen Österreicher mehr als drei Stunden täglich mit ihren Smartphones, im Osten mehr als im Westen
  • 90 % der Österreicher besitzen ein Smartphone, vor zehn Jahren waren es noch ca. 43 %
  • Die meisten Handy-Besitzer nutzen ihr Smartphone für Whatsapp (87 %), zum Fotografieren (83 %) und als Wecker (68 %)
  • Lediglich 2 % geben an, mit ihrem Handy ausschließlich zu telefonieren
  • Mehr als 58 % der Österreicher nehmen ihr Smartphone mit zur Toilette. Etwa die Hälfte hat es schon einmal versehentlich versenkt

Die Tage danach

Wer dennoch gut erholt vom Retreat zurückkommt, muss  sich dem herausfordernden Alltag stellen. Hier sieht die Psychologin das Problem darin, dass man schnell wieder die Kontrolle über sein Konsumverhalten verlieren kann. "Die Natur unseres Gehirns ist es, nach einem stressigen Tag einen Zustand der Passivität vorzuziehen, um Energie zu sparen.“

Der Griff zum Handy ist naheliegend, um vor der Erschöpfung des Tages zu flüchten und sich abzulenken. Und schon ist man wieder im Teufelskreis. "Wenn ich in dem Moment nicht die Gelegenheit ergreife, mir meines Kontrollverlustes bewusst zu werden und nach der Ursache zu fragen, falle ich in verstärktem Ausmaß zurück in alte Muster“, so Prettenhofer. Deshalb kann es eine bessere Alternative sein, bewusste Maßnahmen im Alltag mit dem gelegentlichen Verzicht zu verbinden.

Was kann helfen?

Als Alternative gibt es nur eine Lösung: umgewöhnen und gemäßigt verzichten. Statt eines kalten Entzugs reduziert man also den digitalen Medienkonsum im Alltag. Das kann man sogar bereits bei der Gen Z beobachten. Unter Hashtags wie "y2k core“ lässt man die Nostalgie für die 00er-Jahre wieder aufleben, mit dem Grunge-Look, aber auch mit Klapphandys. Das heißt, Schluss mit Social Media und lieber zurück zu der Zeit, als man mit Handys nur Nachrichten schreiben und Anrufe tätigen konnte.

Andere bekämpfen ironischerweise ihre Handysucht mit dem Handy: "Wenn ich es schaffe, das Handy durch Bildschirmzeit-Apps weniger zu benutzen beziehungsweise es gleich nach der Benutzung wegzulegen, ist das ideal. Doch in den meisten Fällen verfällt man wohl wieder in die Gewohnheitsschleife“, sagt Prettenhofer. Anstelle von Apps und längeren Detox-Auszeiten ist es viel sinnvoller, sich Strategien zurechtzulegen. "Sobald man merkt, dass man zu exzessiv konsumiert, sollte man einen kurzen Gedankenstopp einlegen“, empfiehlt die Psychologin.  "Und sich fragen, was überhaupt der Grund für das eigene ungesunde Handyverhalten ist. Damit ist der erste Schritt getan.“

Jennifer Sandhagen

Über Jennifer Sandhagen

Redakteurin bei freizeit.at, dem Digitalformat der KURIER freizeit.

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