Der private Wohnraum dient für die Regisseurin als wiederkehrende Kulisse und Fundus

Austro-Regisseurin Baumgartner gibt Einblicke in ihre Wiener Filmset-Wohnung

Die Wohnung als Filmset, zwischen Hollywood-Diva und Altweibersommer – Einblicke in das Leben und die Arbeit der international erfolgreichen, österreichischen Regisseurin Jasmin Baumgartner.

Text: Ada Karlbauer, Fotos: Petra Rautenstrauch

Durch den Eingang geht es direkt in das Schlafzimmer. Davor verläuft eine Pawlatsche, der Lieblingsort, mit Blick auf den Innenhof. Dort steht ein Brunnen, an dem sich täglich die Touristen versammeln. 

Das Haus wirkt geschichtsträchtig und es gibt auch viele Geschichten. Gegenüber wohnt eine Zeitzeugin, die   ein Archiv angelegt hat. Fernsehteams gehen ein und aus. In den Wandregalen findet man hauptsächlich Schuhe und andere Kleinigkeiten. Die Einrichtung ist eine Mischung aus Alt und Neu, Suchen und Finden.  „Irgendwann konnte ich mal Einbrecher im Haus beobachten, seitdem steht auf unserer Klingel ein Kreuz, das Zeichen,  dass wir die Nächsten sind. Wir warten immer noch.“

Kreislauf

Seit drei Jahren lebt und arbeitet Jasmin Baumgartner in der Innenstadtwohnung. Die Wohnung kann man in beide Richtungen im Kreis durchgehen. Oft wird die Wohnung spontan zum Filmset: Die Dusche, den Kleiderschrank oder andere Ecken findet man später in Filmen oder Videos wieder. „Es erzählt sich nie aus. Mein letzter Kurzfilm ,Bye Bye, Bowser’ wurde gerade beim Sundance Film Festival gezeigt und auch in dieser Wohnung gedreht.“

Im Badezimmer wurde zum Beispiel eine der wichtigsten Dialogszenen für „Bye Bye, Bowser“ gedreht. „Den Film haben wir gestern an Arte vercheckt“, sagt sie. „Das Haus ist kooperativ, noch nie hat sich jemand beschwert, wenn wir hier gedreht haben oder wenn es mal lauter wurde.“ 

Stimmungswechsel

Die Stimmung der Wohnung wechselt regelmäßig. Manchmal fröhlich und bunt, manchmal romantisch verträumt oder sogar traurig. Jasmin zeigt einen Schminkspiegel der alten Vormieterin, der mit Blick aus dem Fenster in das Fensterbrett integriert wurde. „Den Moment habe ich mir immer ganz melancholisch vorgestellt. Man kann hier einfach voll schnell in so einen bestimmten Blues finden, den Einsam-in-Wien-sterben-Blues und irgendwie erinnert mich die Wohnung auch an meine Mutter.“ 

Regisseurin Jasmin Baumgartner

Regisseurin Jasmin Baumgartner

©petra rautenstrauch

In der Dusche wurde einer der wichtigsten Monologe des letzten Kurzfilmes „Bye Bye, Bowser“ gedreht

©petra rautenstrauch

Jasmin Baumgartner ist Regisseurin und Drehbuchautorin, gerade arbeitet sie an ihrem ersten Spielfilm „The Sentimental Fail Club“. „Darin beobachten Kinder Erwachsene beim Scheitern und beurteilen dann, wer am besten gescheitert ist. Es ist eine Hommage ans Scheitern, eine Ode daran, je jünger man ist, desto klüger ist man.“ Angelegt ist das Projekt an ikonische TV-Shows wie „Wetten, dass..?“

„Ich war ein wahnsinnig problematischer Teenager, habe mit 13 entschieden, Regisseurin zu werden und hatte einfach nur Glück, dass es wirklich passiert ist. Natürlich ist es nicht nur Glück, ich habe auch immer nur das gemacht“, erzählt sie. 

Jasmin hat an der Filmakademie Regie bei Michael Haneke und Drehbuch bei Götz Spielmann studiert

©petra rautenstrauch

Über dem Bett hängt eine Arbeit der befreundeten Künstlerin Sofie Fatouretchi

©petra rautenstrauch

Überall noch Gold

Weiter ins Wohnzimmer mit Grundriss eines Salons, im Hintergrund läuft Tokio Hotel. „In dem Raum ist schon viel passiert, alle Möbel in sämtlichen Kombinationen gestanden. Zwischen ,Die alte Vermieterin stirbt’ und ,Wir ziehen ein’ war hier eine Galerie von einem schrägen Typen, der mit Goldpartikeln gearbeitet hat.“ Die Blattgold-Reste findet man immer in der Wohnung. „Ich mag es einfach nicht, wenn es ganz clean ist, ich bin da schon speziell mit der Geschichte von Dingen. Deshalb habe ich auch noch nie in einer Neubauwohnung gewohnt.  

In Amerika finde ich es so arg, dass alles so groß und plastisch ist. Im „Sentimental Fail Club“ gibt es eine Episode, da reist eine Protagonistin heartbroken nach Nashville und alles was sie mithat, ist eine Art Miniatur von etwas, ein Mini-Buch, ein Mini-Parfum, alles ganz klein, ganz europäisch im starken Kontrast zum amerikanischen Setting. Ich mag solche Klischees“,  erzählt Jasmin über die verschiedenen Welten, die in ihren Filmen kollidieren.

Die Einrichtung ist eine bunte Mischung aus Suchen und Finden. Neues findet man kaum

©petra rautenstrauch

Das Wohnzimmer ist wie ein Salon. Hier arbeitet Jasmin, dreht Partyszenen oder findet Goldpartikel

©petra rautenstrauch

True Crime Stories

In der Geisterjäger-Community ist die  Gasse in der Jasmin wohnt allbekannt. Irgendwann einmal war die Kirche am Franziskanerplatz, die an die Wohnung grenzt, ein Frauengefängnis. Später wurde es von einem Verrückten angezündet. „Das ist so die verruchte Ecke vom ersten Bezirk. Als wir eingezogen sind, hat sich mein damaliger Mitbewohner für ein Filmprojekt das Thema Geisterbeschwörung ausgesucht. Die Geisterjäger waren überzeugt davon, dass es  in der  ganzen Gasse spukt. In der Wohnung soll es laut ihnen sehr viele weibliche, gute Geister geben, geflüchtet aus dem Gefängnis. Die Geisterjäger hatten lustige Techniken, so Frequenz-Geräte, mit denen sie die Schwingungen messen können.“ Darauf folgt noch eine weitere urbane Legende:„Gleich gegenüber befindet sich die Herrensauna Kaiserbründl. Vor 20 Jahren ist ein Mann ins Kaiserbründl gegangen und danach hat ihn niemals mehr jemand gesehen, da waren die Geisterjäger natürlich auch gleich alarmiert. Das wäre auch eine gute Netflix True Crime Story für Unsolved Mysteries“, erzählt Jasmin und ergänzt: „Auch der Geist muss wohl hier noch irgendwo sein Unwesen treiben.“ 

Alles ist archiviert

„Die Wohnung wurde irgendwie auch schon archiviert. Müsste ich morgen plötzlich ausziehen, wäre jede Ecke irgendwo schon als filmisches Dokument verewigt, das finde ich schön“, meint Jasmin, während die Wohnung langsam die Stimmung verändert, im Hintergrund die nahen Kirchenglocken läuten. „Jetzt wird’s traurig.“ 

Zur Person

Jasmin Baumgartner, geb. 1990 in Baden bei Wien, arbeitet als freiberufliche Regisseurin und Autorin für Film und Fernsehen. Ab 2011 Studium an der Filmakademie Wien in der Klasse Buch und Dramaturgie und Regie. Ihre Kurzfilme liefen auf zahlreichen Filmfestivals (Camera Image, Max Ophüls). Mit ihrem Kurzspielfilm „Unmensch“ gewann sie im Jahr 2016 den Diagonale-Preis der Jugendjury. Zwischen 2017 und 2020 drehte sie mehrere Musikvideos für die Band Wanda. In derselben Zeit drehte sie im Auftrag des österreichischen Rundfunks in Kenia und im Iran für die Doku-Reihe Kreuz und Quer. Für ihren Abschlussfilm „Robin's Hood“ erhielt sie 2021 auf der DOK Leipzig den Gedanken-Aufschluss-Preis. Ihre Arbeit als Regisseurin bei der Klimaschutzkampagne wurde 2023 mehrfach ausgezeichnet. 

Kommentare