Pamela Anderson: Vom Versuch, sich sein Leben zurückzuerobern
Pamela Anderson veröffentlicht eine Autobiografie und eine Netflix-Doku. Ihr Ziel: Die Macht über ihre Lebensgeschichte zurückzuerlangen.
Das beste Interview, das Pamela Anderson nie gegeben hat, erschien 1996 und war erfunden vom Journalisten Tom Kummer. Fast jeden Tag schwinge sie nackt auf einem Trapez über das Klavier ihres Ehemanns Tommy Lee, während dieser spiele, sagt sie darin. Oder dass sie nicht verstehe, warum Leute denken, Nacktbilder wären der Schlüssel zu ihrer wahren Persönlichkeit.
Nie war das größte Sexsymbol ihrer Zeit oberflächlicher und reflektierter zugleich. Und ohne Maulkorb. Der Autor nannte es, nachdem die Chefredakteure des SZ-Magazins gefeuert wurden, und er selbst Tennislehrer wurde, „konzeptionsjournalistische Großereignisse“ – Kunst.
Für Pamela Anderson ist es eine weitere Fußnote von und ein gutes Beispiel für ein ihr lebenslänglich traurig vertrautes Spiel: der bewussten Fiktionalisierung ihrer Biografie etwa. Vor allem aber den Versuch, sich Einblick in ihr Privatleben zu verschaffen. Und zwar koste es, was es wolle.
Das berüchtigte Sextape
Auch die US-Serie „Pam & Tommy“ machte vergangenes Jahr Andersons Vita zum Thema. In acht Folgen wurde basierend auf einer Reportage des Rolling Stone-Magazins ihre turbulente Beziehung mit Mötley-Crüe-Schlagzeuger Tommy Lee aufgearbeitet. Und das Schlaglicht auf die umstrittenste, schlagzeilenintensivste und demütigendste Episode ihres heute 55-jährigen Lebens gelenkt: Wie das Sextape, das sie mit ihrem Mann in den Flitterwochen aufgenommen hatte, aus ihrem Safe gestohlen wurde. Von einem Handwerker, aus Rache, weil dieser vom Hausherren im Streit um eine unbezahlte Rechnung mit der Schrotflinte bedroht worden war.
Die Aufnahmen gingen 1995 online. Das gerade erst aufgekommene Internet glühte vor voyeuristischer Auf- und Erregung. Ein Skandal – der den Tätern satte 77 Millionen US-Dollar an Einnahmen bescherte. Die Serie schildert damit die Geschichte dessen, was man – noch vor Paris Hilton oder Kim Kardashian – als das erste Celebrity Sextape kennt, also den privaten Pornofilm eines Prominenten, der an die Öffentlichkeit gelangt. Und zwar gegen den Willen der Beteiligten.
Dass solche amateurhaft verwackelten Aufnahmen später von Glamoursternchen selbst publik gemacht wurden, um so ihrer Karriere den entscheidenden Kickstart zu verschaffen – das ist eine andere Geschichte. Pamela Anderson jedenfalls soll von der Serie keineswegs begeistert gewesen sein. Die handgeschriebenen Briefe der Hauptdarstellerin Lily James, um eine Audienz bittend, ignorierte sie ungelesen. Den Produzenten versagte sie die Unterstützung. „Eine Million falscher Wahrnehmungen“ konzedierte sie anschließend der Serie, gab bekannt, sie sei „kein Opfer, sondern Überlebende. Und am Leben, um die wahre Geschichte zu erzählen.“
Jetzt ist es soweit: Ab 31.1. ist „Pamela, a love story“ beim Streamingkanal zu sehen. Die Doku ist Teil eines ganzen Pam-Pakets – ihre Buch-Autobiografie „Love, Pamela“ wird am selben Tag erscheinen.
Es ginge ihr darum, ihre Geschichte mit ihren eigenen Worten zu erzählen, so das ehemalige Playmate. Das Schreiben, verriet sie jüngst, sei ein „Heilungsprozess“ und „therapeutisch“ gewesen: „Ich hatte keine Ahnung, wie viel Wut ich in mir hatte.“
Das eigene Leben rückerobern
Mit ihrer Offensive geht es der Schauspielerin deutlich darum, die Macht über das eigene Narrativ zu erlangen. Nicht die fremdbestimmte Erzählung anderer über sie soll gelten, sondern sie möchte die Deutungshoheit über ihr Leben zurückgewinnen. Man spricht von „reclaiming“, der Rückeroberung der eigenen Geschichte. Wie Paris Hilton oder Monica Lewinsky, denen es in den Neunzigern ähnlich erging, stehen die Zeichen auf Selbstermächtigung. Hilton produzierte auch eine Doku, darin räumte sie mit ihrem Image als luxusverwöhntes Dummchen auf; unbekannt war, wie früh sie bereits Missbrauch ausgesetzt war. Lewinsky wiederum war einer verhöhnenden Medienhatz ausgeliefert, weil sie als Praktikantin Sex mit US-Präsident Bill Clinton hatte.
Re-Vitalisierung der Karriere
Auch Pamela Anderson, die als „Baywatch“-Darstellerin zur ultimativen Männerfantasie avancierte, möchte einiges zurechtrücken. Über Hollywood, ihre sechs Ehen, einen gewalttätigen Vater, Missbrauch durch einen Babysitter, eine Vergewaltigung. Über das Sexvideo sagte sie kürzlich, sie habe es bis heute nicht angesehen. „Wir waren albern. Doch diese Aufnahmen waren nur für uns gedacht und für niemand anderen.“ Eine „schmerzhafte Erfahrung.“ Was sie gerettet habe, seien ihre zwei Söhne. „Ich habe dieses Tape aus meinem Leben verbannt, um zu überleben. Und jetzt, wo alles wieder hochkommt, fühle ich mich krank“, so Anderson.
Ihre Vergangenheit begeht sie mit Doku und Buch dennoch neu. Das birgt auch eigennützige Aspekte. Zumal es um ihre Karriere still wurde. Bei Instagram versuchte sie deshalb schon, sich etwas angestrengt mit in schwarz-weiß umgefärbten Bildern von früher und verträumten Texten als Brigitte Bardot der Neunziger zu inszenieren. Ein bewusster Umdeutungsversuch ihres grellen, drallen, ikonischen Images jener Zeit. Eine berufliche Re-Vitalisierung tut Anderson – passend zum Revival der Neunzigerjahre und in einer Zeit, in der Bios wie von Prinz Harry boomen – mehr als gut.
Heute lebt Pamela Anderson nach einem wilden Leben wieder in ihrer kleinen Heimatstadt in Kanada. Ohne Mann und ohne Trapez. Über ihr Leben sagt sie: „Es ist nur die Geschichte eines Mädchens aus einer Kleinstadt, das nach Los Angeles ging und all die wilden und verrückten Abenteuer durchmachte, die ich erlebte, und dann zurückkehrte und nach Hause ging.“
Kommentare