Vom Supermodel bis zum Taxler: Ein Opernball, fünf Begegnungen
Menschen abseits und mittendrin im Glamour des Balls der Bälle. Die Walzer-Reportage vom 65. Wiener Opernball.
Alfons Haider schlägt mich. So beginnt mein Opernball. Im Vorbeigehen, beim Aufgang Feststiege rechts. Also, nicht auf die Art, wie der Begleiter von Johannes B. Kerner einst einem angetrunkenen Bayern 2014 eine harte Gerade ans Kinn versetzte. Zack! Der Rowdy hatte zuvor übel gepöbelt. Mehr so ein Knuffen, an den Arm. „Schau net so ernst!“ Und er hat recht. Es gibt guten Grund für gute Laune. Zwei Jahre Pause quälten uns in Lockdowns und Maskentracht (Pandemie, wir erinnern uns), und jetzt tanzt Wien wieder. Endlich.
Endlich wieder auf Hochglanz polierte Orden und Frontmänner im Frack. Endlich wieder edle Roben und so manch chirurgisch optimiertes Antlitz. Endlich sich wieder herrlich drüber ärgern können und das Maul zerreißen, wie füüürchterlich nur die Leut‘ daherkommen bittschön. Die einen mit einem Piccolo-Sekt gebannt vorm Fernseher. Die anderen gedrängt am Ballparkett.
Da hat man was zum Schauen! Logen und Luder. Macher und Meckerer. Krethi und Plethi. Der Opernball ist ein Panoptikum unserer Gesellschaft. Staatsball. Glamour-Gewalze. Frohes Fest.
Aber eigentlich heißt es: am Opernball ist vor dem Opernball. Der Staatsopern-Direktor meint, den Ball vorzubereiten sei wie eine paramilitärische Operation, die da ablaufe. Ich sage: Ein bisschen gilt das auch im Kleinen.
Also: nicht nur für die fleißigen Helferleins, die unter anderem dafür zuständig sind, für den Ball der Bälle 52.600 Gläser bereitzustellen, 9.200 Bestecke, 1.000 Sektkühler. Es ist nicht nur ein Aufwand für die 350 Facharbeiter, die in 30 Stunden die Oper in einen Ballsaal umbauen.
Jeder der 5.000 Ballgäste muss sich fürs beschwingte Champagnerisieren ordentlich in Schale werfen. Die Nöte der Damen sind dabei hinlänglich bekannt. Aber was machen die Männer?
Die fleißige Schneiderin
Die Antwort: Die Männer gehen zum Lambert Hofer. Und dort treffen sie die gute Seele des Hauses: Agnes nimmt Maß und passt jedem Herrn der Schöpfung jenen Frack an, den sein Body verdient. Eine Frau Mitte 40 mit grau-blondem Haar, die keiner kennt, und deren Arbeit doch tausende beim Opernball bewundern. Sie macht Hosen enger, Hemden weiter, Nadel und Faden immer flink zur Hand, und auch Schere und Bügeleisen.
Es ist ein schönes Gefühl, dass sie sich noch an mich erinnern kann. Schon als ich noch jährlich den Opernball besuchte, kam ich hierher. Jetzt feiere ich ein Comeback. Und will wieder gut ausschauen.
„Der Herr Alexander?“ Dem älteren, grau melierten Herrn mit polnischem Akzent, ein Grandseigneur mit grauem Haar und klarem Blick, stand sie früher schneidernd zur Seite. „Der Herr Alexander genießt die Pension“, gibt Agnes Auskunft. Er hat genug Bälle ausgestattet.
Die Ungarin von Geburt trägt praktisch-gemütliche Lounge Wear aus altrosa Nicki-Stoff. Im Zehn-Minuten-Takt kommen Kunden ins Geschäft in der Margaretenstraße, das seit 1862 seines Amtes waltet, um sich in feinsten Zwirn kleiden zu lassen, Damen wie Herren. „Das Geschäft zieht wieder an, nach Corona, zum Glück“, sagt Agnes. Hier, wo mehr als ein Dutzend Bilder jener Prominenten hängen, die die Dienste Lambert Hofers bereits in Anspruch nahmen: Maximilian Schell etwa. Klaus Maria Brandauer. Curd Jürgens.
Ob die ähnlich damit kämpfen wie ich, in den Frack zu schlüpfen? Den anzuziehen ist eine eigene kleine Wissenschaft. Die Lackschuhe gilt es vor dem Hemd anzuziehen. Da das Hemd, das man trägt, relativ steif ist, fällt das danach sonst ziemlich schwer. Beim Rest ist es ist hilfreich, Hilfe zu haben.
Beim Anlegen der goldenen Manschettenknöpfe. Oder bei den Perlmuttknöpfen des Frackhemds, die ähnlich handzuhaben sind. Sie haben Widerhaken und eine Feder. Zum Hemd (mit seitlichem Eingriff) kommt die Fliege. Die wird mittels einer Öse befestigt. Die Hose? Eine weitere Herausforderung. Was neben den drei Knöpfen und dem Haftel an einem kleinen Schlauferl liegt. Das muss man nämlich mit einem Hosenknopf verbinden. Agnes prüft kritisch beim Blick in den Spiegel: „Passt, perfekt.“
Das disziplinierte Supermodel
Solcherart gerüstet geht’s los, mitten hinein ins Ballgeschehen. Ich whatsappe mit einem Supermodel, wer hätte gedacht, dass ich das noch jemals würde sagen können in meinem Leben. Nadine Mirada hat ihre Kurven für Victoria’s Secret oder Guess ins rechte Licht gerückt. Sie schickt mir eine Einladung zu ihrer Loge. Zweiter Rang, Loge 13, links. Da muss ich hin.
Gar nicht so einfach. Staatsopern-Abonnenten werden mich auslachen, aber die Oper ist ein Labyrinth. Gleichzeitig bin ich nicht das größte Orientierungsgenie auf Erden. Und ich bin ungefähr genau am anderen Ende als dort, wo Nadine Mirada auf mich wartet. Und wer will diese Frau schon warten lassen? Treppauf, treppab irre ich durch die Gänge wie das Phantom der Oper. Es wurlt nur so vor Menschen. Jeder sucht jemanden. Alles strömt aufs Parkett. Die Stimmung: prickelnd bis angeheitert.
Endlich treffe ich bei der Loge ein. Ich frage Mirada nach ihrem Kleid, weil man das auf Bällen nun mal so macht. Mirada hat ihre schwarze Traumrobe selbst designt, erzählt sie, umgesetzt von Walone Couture Fashion. Inspiriert von Monica Bellucci, Versace, den Supermodels der Neunzigerjahre. Dazu trägt sie rote Rubine um den Hals, 50 Karat, von Rozet & Fischmeister.
Es ist der zweite Opernball der Linzerin. Welcher der schönere war? „Der heurige, weil ich noch nie in einer so tollen Loge war.“ Wie lange sie heute Nacht noch bleibt? „Noch 15 Minuten. Ich verlasse jeden Event Punkt Mitternacht. Ohne Ausnahme.“ Das klingt aber nicht nach Glamour-Life? „Für mich ist es Arbeit, verbunden mit Freizeit. Daher: kein Champagner für mich.“ Wie geht’s weiter? „Morgen Verona, übermorgen Los Angeles.“
Die erlösten Debütanten
Weit nach Mitternacht bleiben dagegen zwei andere am Ball: Katharina-Christina Zimmermann und Stephan Maidl. Wochenlang haben sie eifrig geprobt, sind jeden Samstag und Sonntag in die Staatsoper, um die Opernball-Eröffnung einzustudieren. Jetzt laufen sie mir in einem Gang entgegen.
„Geschafft, debütiert!“, jubelt die Programmiererin. Leuchtende Augen, beide wirken erleichtert. Auch die gebrochene Rippe beim Barmann (Arbeitsunfall, nasse Fliesen) stellte kein Tanz-Hindernis dar. „Ich war lange Zeit nicht nervös, doch dann, kurz bevor es losging, musste ich doch ganz fest seine Hand drücken“, erzählt Katharina. Sie ziehen schnell weiter: Die Debütanten-Dame feiert heute nämlich ihren 25. Geburtstag. Darauf gilt es anzustoßen. Fit sollten beide dennoch bleiben: Bereits am Tag nach dem Opernball eröffnen sie einen weiteren Event: den Wiener Immobilien-Ball. Alles Walzer, ohne Ende.
Der verliebte Design-Star
Wohin als nächstes? Der Logenbesuch beim Opernball ist der Staatsbesuch der Ballgeher. Wer macht wem seine Aufwartung? Wer lädt wen zu sich ein? Vor der Loge von Richard Lugner herrscht selbstverständlich der übliche Tumult. Ungefähr jeder Ballbesucher reißt sich um ein Selfie mit dem Baumeister, sobald dieser einen Schritt vor seine Loge setzt. Wir wollen aber jemanden anderen besuchen: Thomas Sabo. Lugners Schmuckstück ist sein Star-Gast Jane Fonda. Sabos hingegen sorgt für sein Glitzern selbst: Der Österreicher ist einer der bekanntesten Schmuckdesigner des Landes. Graue Mähne, dicke, schwarz umrandete Brille. Geboren und aufgewachsen ist Sabo in Tulln. Die Schule hat er einst abgebrochen. Interessante Biografie.
An Sabos Seite: seine junge Frau Rita (in einem Kleid der israelischen Designerin Galia Lahav). „Mein schönstes Schmuckstück? Mein Ehering", schwärmt der Unternehmer. Heute Abend will er vor allem eines: sein Liebesglück am Opernball genießen. Beide sind zum ersten Mal hier. Und leben seit einem Jahr in Wien. „Eine Weltstadt“, sagt Sabo. „So facettenreich“, sagt seine Frau. Wie lange das Liebesglück bereits anhält, darüber muss das Paar sich allerdings noch einig werden. „Seit bald einem Jahr sind wir verheiratet, vier Jahre sind wir zusammen.“ – „Schatzii!“, reagiert Rita Sabo erstaunt. „Wir sind schon drei Jahre verheiratet!“ Wir lachen. Eine Übereinkunft auf die richtige Version wird vertagt. Und wir, ziehen weiter.
Der baggernde Taxler
Spät ist es geworden. So eine Ballnacht fängt spät an (um 21:45 Uhr war Eröffnung), und danach geht man auch eher nicht gleich heim. Doch irgendwann schon, nämlich jetzt. Nach einem kurzen Plausch mit Kabarettist Michi Buchinger („Ich geh noch eine Käsekrainer essen“) steige ich ins Taxi. Der Fahrer bringt uns sicher heim. Danach geht’s für ihn wieder zurück, zum Zentrum des Dreivierteltakts. Die ganze Nacht umkreist er die Oper.
Lange macht er den Job noch nicht. Früher war er Baggerfahrer, erzählt er. Gutes Geld war da zu verdienen, aber dann eben irgendwann nicht mehr. Im alten Job war auch mehr Zeit für die Familie: das Wochenende war Zeit für die Liebsten. Und Freitagmittag war Dienstschluss. Heute ist er sechs Tage die Woche im Einsatz. Sitzt er wieder am Steuer, ohne Schaufel vorne am Gefährt - dafür heute mit Menschen in Abendrobe am Rücksitz. Was besser ist? Keine Ahnung, sagt unser Taxifahrer. Unterm Frack sind halt alle gleich.
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