Volksopern-Chefin Lotte de Beer: "Wir wollen das Publikum umarmen“

Mit Beginn der Saison 2022/’23 wird die niederländische Regisseurin Chefin der Wiener Volksoper. Ein Gespräch über Alt und Neu sowie Operette auf Rockfestivals.

Ab der kommenden Saison übernimmt Lotte de Beer die Volksoper von Robert Meyer. Am Mittwoch hat sie ihre erste Saison präsentiert (Programm siehe Infobox unten). Der KURIER traf sie zum Interview.

Welche Erfahrungen haben Sie in Wien gemacht?

Lotte de Beer: Nur gute! Ich habe immer gespürt, dass ich künstlerisch und menschlich sehr gut in diese Umgebung passe, ich habe hier ja schon sehr viel gemacht. Dass ich mitten in der Pandemie in einer Stadt träumen durfte, hier, wo Oper und Kunst so ernst genommen und geliebt werden, das ist ein Privileg. Ich bin von allen in der Volksoper so positiv unterstützt worden, da kann ich nur danke sagen. Ich hätte nicht herzlicher willkommen geheißen werden können.

Es gab auch Skepsis.

Natürlich gab es Skepsis – wer kommt denn da? Aber nicht aus dem Haus. Und die Skeptiker aus dem Publikum möchte ich künstlerisch verführen. Die Volksoper ist ein Repertoirehaus, das in der Stadt verankert ist. Man muss Brücken bauen zwischen der Vergangenheit und dem Heute. Wir wollen das Publikum umarmen, aber auch neue Menschen für die Volksoper begeistern. Wir beginnen eine Zusammenarbeit mit der Vienna Pride und mit den Wiener Festwochen. Das umfasst ein Publikum, das man vielleicht nicht gleich mit der Volksoper in Verbindung bringt. Die Volksoper soll offen sein für Menschen jeden Alters, jeder künstlerischen Vorliebe. Es wird die klassische Operette genauso geben, wie musikalisches Neuland.

Wie soll die generelle Positionierung des Hauses sein?

Kinder und Jugend sind uns auch sehr wichtig, das hat an diesem Haus große Tradition! Die Volksoper ist ein Vier-Spartenhaus – eine ,Volksoper’ im wahrsten Sinne des Wortes mit einem wunderbaren Ensemble.

Die erste Saison von Lotte de Beer

Lotte de Beer über ihre Premieren: „Wir fangen an mit einem großen Eröffnungswochenende: In der Premiere von ,Die Dubarry’ von Carl Milllöcker spielt Comedy-Legende Harald Schmidt den König Ludwig XV. Es wird eine theatralische Zeitreise über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, beginnend im Heute, geht es in das Berlin der 1930er Jahre, Wien im 19. Jahrhundert bis nach Paris von Ludwig XV.“

Zu Wiederaufnahmen: „Gleich am nächsten Tag kehrt Achim Freyers ,La Cenerentola’ zurück an die Volksoper mit wunderbaren neuen Stimmen. An diesem Wochenende wird es auch eine Late Night Jam-Session mit Omer Meir Wellber und Friends geben. ,Die Fledermaus’ wird in einer Neufassung von Maria Happel überarbeitet, und ich freue mich, dass sie auch ,Frau Frosch’ spielen wird. Im Oktober bringen wir gemeinsam mit dem Staatsballett eine Familienproduktion heraus: Dabei verweben wir Tschaikowskys ,Jolanthe’ mit dem ,Nussknacker’. ,Jolanthe’ war schon immer eine meiner Lieblingsopern – ich sehe sie als Geschichte über das Erwachsenwerden.“

Zu Spymonkey: „Der junge Regisseur Maurice Lenhard inszeniert im November ,Die Dreigroschenoper’, ein Werk, das noch nie hier gespielt wurde und wunderbar in die Volksoper mit all ihren Allroundern passt. Spymonkey, eine britische physical comedy-Truppe im Stil von Monty Python, wird dann ,Orpheus in der Unterwelt’ inszenieren. In dieser ,Mythentravestie’ wird Ruth Brauer-Kvam als Öffentliche Meinung zu sehen sein. Wir haben auch eine Operettenuraufführung in Auftrag gegeben. Moritz Eggert bringt in seiner Komposition ,Die letzte Verschwörung’ alle Verschwörungstheorien der letzten 30 Jahre auf die Bühne. Es soll eine rasante Revue werden.“

Über „andere Blicke“: „Nina Spijkers, eine niederländische Regisseurin wird einen feministisch-humoristischen Blick auf die Spieloper ,Die lustigen Weiber von Windsor’ richten. Und als Abschluss wird der türkische Regisseur Nurkan Erpulat Mozarts ,Entführung aus dem Serail’ aus dem Blickwinkel des Bassa Selim inszenieren.“

Wird es auch Musical geben?

Im ersten Jahr haben wir kein neues Musical geplant, aber viele bekannte Werke bleiben oder kehren wieder. Musical wird weiterhin eine Rolle spielen. Das klassische Musical muss hier ein Zuhause haben. Wir denken auch darüber nach, ein neues Musical in Auftrag zu geben. Ich möchte jedes Jahr eine Uraufführung bringen – egal ob Oper, Operette oder Musical, oder etwas dazwischen…

Noch-Direktor Robert Meyer wird weiterhin auf der Bühne zu erleben sein. . .

Robert Meyer wird in drei Rollen zu sehen sein und ich freue mich sehr, dass er als Publikumsliebling der Volksoper erhalten bleibt.

©APA/AFP/CHRISTOPHE ARCHAMBAULT
Das Kasino am Schwarzenbergplatz wird nicht mehr bespielt?

Das ist derzeit nicht angedacht. Lieber wollen wir dort hingehen, wo es vielleicht noch keine Operette gibt. Eine Operette oder eine Oper im Supermarkt oder auf einem Rockfestival kann ich mir zum Beispiel vorstellen. Letzteres habe ich schon mit ,La Traviata’ gemacht. Ich dachte mir damals, das kann nicht gut gehen. Aber siehe da: Alle Rockfans sind auch zur ,Traviata’ gekommen. Das war ein großer Erfolg.

Sie haben eben erst Janáceks ,Jenufa’ im Theater an der Wien inszeniert. Könnte diese Produktion an der Volksoper landen?

Das möchte ich nicht ausschließen, wenn man eine Produktion übernimmt, ist das künstlerisch und nachhaltig gesehen sinnvoll. Aber nicht gleich.

Wo soll die Volksoper in fünf Jahren stehen?

Ich hoffe, dass wir ein sehr großes und vielschichtiges Publikum haben werden, das weiß, in der Volksoper, da wird man verführt und umarmt und überrascht. Und dass wir auch international wahrgenommen werden, vor allem was die Zukunft der Operette betrifft.

Peter Jarolin

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