„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich

Nebel ist Leben: Wie der graue Dunst Menschen inspiriert

Auch wenn wir oft darüber schimpfen, ohne ihn gäbe es weniger spannende Filme, beschwingte Abende oder schöne Bilder. Eine Kulturgeschichte des Nebels.

Der Nebel ist nicht gern gesehen. Er blockiert die Sonne, macht viele Gemüter schwer. Um das Verhältnis zwischen Menschheit und grauem Schleier ist es nicht gut bestellt. Wenn jemand Nebelkerzen wirft, ist das nicht angenehm. Nebulöse Angelegenheiten sind auch nicht wirklich beliebt. Und wer im Nebel stochert, weiß eigentlich nichts.

Dabei ist der Nebel die Ursuppe der Menschheit – wenn es nach der Bibel geht. So beschreibt das 1. Buch Mose (Genesis) die Zeit, als Gott „Himmel und Erde machte“. Die Erde war kahl, da es Gott noch nicht hatte regnen lassen und auch kein Mensch da war, „der das Land bebaute“. Von blühenden Landschaften noch keine Spur. Doch dann wird es interessant: „Aber ein Nebel ging auf von der Erde und feuchtete alles Land. Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“ Es wird schon seinen Grund haben, dass Nebel umgekehrt Leben heißt.

Und ohne ihn gäbe es auch weniger spannende Filme, beschwingte Abende oder schöne Bilder.

Wanderer über dem Nebelmeer

„Wenn eine Gegend sich in Nebel hüllt, erscheint sie größer, erhabener und erhöht die Einbildungskraft und spannt die Erwartung gleich einem verschleierten Mädchen.“ So sieht der romantische Maler Caspar David Friedrich die Wirkung des grauen Dunstes in seinen Bildern. Er legt um Meere, Schiffe, Klippen, Berge, Wälder den grauen Schleier. Sein bekanntestes Bild, dessen Deutung bis heute noch nicht abgeschlossen ist, ist das um 1818 entstandene „Der Wanderer über dem Nebelmeer“.

Der Wanderer, dessen Rücken wir sehen, blickt in die Ferne, lässt die Natur auf sich wirken, er ist Teil von ihr. Aber ist auch auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach dem, was ihn erfüllt. Mit dem Nebel beginnt nach gängiger Auffassung das, was nicht mehr zu fassen ist.

Auch die Impressionisten sind ganz angetan vom Grau. Claude Monet, etwa, der von Frankreich nach London gezogen war, ist so einer. In der britschen Hauptstadt malt er wie andere Kollegen vom Kontinent zu Beginn des 20. Jahrhunderts Szenerien, die den Engländern keinen Pinselstrich wert sind: Den im Herbst und Winter allgegenwärtigen dichten Nebel über der Themse. 19 Mal bringt er alleine das nach einem Brand wieder aufgebaute Parlament auf die Leinwand, das stets mehr oder weniger stark eingenebelt ist.

Impressionisten wie Claude Monet entdeckten den Reiz des Londoner Nebels

©EPA/PETER KLAUNZER

In Wien sorgt der dänische Künstler Ólafur Elíasson mit seinem „Yellow Fog“ an der Fassade des Verbund-Gebäudes am Hof rund 100 Jahre später für gehöriges Aufsehen. Er will 2008 „die Luft sichtbar“ machen und „den negativen Raum, dieses Platzes zwischen den Gebäuden, den der Nebel in sich aufnimmt inszenieren“, sagte er vorab. Die Polizei hat diese Worte aber wohl nicht gehört. Schon beim Probelauf rückt sie an, weil sie einen Brand befürchtet. „Man kann das der Öffentlichkeit schon zutrauen“, reagierte Elíasson.

Künstler Ólafur Elíassons Installation „Yellow Fog“ sorgte in Wien für einen Polizeieinsatz.

©APA/APA/Hans Klaus Techt

Nebel kann Stimmungen transportieren. In Charles Dickens’ „A Christmas Carol“ ist es den ganzen Heiligen Abend über „draußen schneidend kalt und nebelig“. Der grummelige Scrooge sitzt – das Fest verachtend – in seinem Comptoir: „Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch und war draußen so dick, dass die gegenüber stehenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre eignen Geister aussahen.“ Erst als er geläutert ist, lichtet sich der Nebel am Weihnachtstag.

Wenn es bedrohlich wird

Besonders oft und gerne zeigt der Nebel aber etwas Bedrohliches, Schauderhaftes an. Der todbringende „Hund von Baskerville“ bricht aus einer grauen Suppe, die sich über ein Moor gelegt hat, hervor. Es liegt an Sherlock Holmes, um Licht in die trübe Angelegenheit zu bringen. Und was wären Gruselfilme ohne einen grauen Schleier? Der Pater aus „Der Exorzist“ kommt bei Nebel vor dem Haus des besessenen Mädchens an.

Horrorfilme wie „Der Exorzist“ wären ohne Dunst undenkbar, weil weniger gruselig

©Warner Bros. / Mary Evans / picturedesk.com/Warner Bros./Mary Evans/picturedesk.com

Der kopflose Reiter aus „Sleepy Hollow“ holt sich die Köpfe seiner Opfer stets aus dem nebligen Wald heraus. Johnny Depp als Polizist muss Licht in die grausamen Angelegenheiten bringen und den Untoten stellen.

Johnny Depp jagt in Sleepy Hollow einen mordenden, kopflosen Reiter. Der Nebel ist dabei allgegenwärtig.

©imago images/ZUMA Wire/imago stock&people/ZUMA Wire/imago images

Die verlassene Stadt „Silent Hill“ ist sowohl in düsteren Computerspielen wie im Film stets eingetrübt. Da ist nicht nur die Handlung undurchschaubar. Im 80er-Jahre-Film „The Fog“, der von der Kritik verrissen wurde, ist er sogar aktiver Akteur. Regie führt John Carpenter, mit dabei sind auch „Halloween“-Star Jamie Lee Curtis und „Psycho“-Hauptdarstellerin Janet Leigh. Der Dunst verbirgt Seeleute, die zu ewiger Wanderung verdammt sind, und die den 100. Gründungstag einer Stadt heimsuchen. Sie wollen sich an den Nachfahren der Gründer rächen, die ihnen einst Schlimmes angetan haben.

Schon 1957 legt sich eine radioaktive Wolke in Jack Arnolds „Die unglaubliche Geschichte des Mister C.“ über einen Protagonisten her und macht diesen kleiner.

Aber im Film kann der Nebel auch Schutz bieten – etwa, wenn Piraten ihren Verfolgern darin entkommen.

Von der Pfanne zur Maschine

Auf der Bühne, bei Autopräsentationen – immer wenn etwas vom Nebelschleier verhüllt ist, kommt es besonders gut zur Geltung. Schon die Griechen erhitzten Öl in der Pfanne, um ihre ohnehin schon bombastischen Aufführungen noch dramatischer wirken zu lassen. Im Londoner Globe Theatre gibt es zu Shakespeares Zeiten Raucheffekte. Allerdings sorgt der Ruß bei den Schauspielern wohl für Hustenreiz.

Die erste Nebelmaschine, die auf Trockeneis setzt, kommt erst im 20. Jahrhundert. Als legendär gilt der 23. März 1934. Da gibt die Jazz-Künstlerin Adelaide Hall im Harlem’s Cotton Club in New York ihr Lied „Ill Wind“ zum Besten. Und während sie singt, kriecht ein durch Nitrogen erzeugter Rauch auf dem Boden der Bühne. So etwas hat das Publikum zuvor noch nicht gesehen – es ist hin und weg vor Begeisterung.

Von Harlem kriecht der Rauch in die weite Welt und ist seither aus der Musik- und Showwelt nicht mehr wegzudenken. Bei Schlager-Shows bleibt der Nebel am Boden liegen, während Sängerinnen und Sänger vor sich hinsülzen. Auch die Rocker greifen in ihre Saiten oder hauen auf Trommeln, während der Nebel über die Bühne wandert. In der Disco gehört er sowieso zur Standardausstattung. Hierin soll man sich verlieren.

Der Nebel in der Discothek aus der Maschine ist unverzichtbar. Der sorgt für Stimmung und man kann sich so gut in ihm verlieren.

©Getty Images/iStockphoto/shironosov/iStockphoto

Und auch Witzesammlungen für Kinder und Theologen wären ohne den Dunst um einen Schenkelklopfer ärmer: Wie war der Name des ersten Dichters? Nebel. In der Bibel steht: Und Dichter Nebel lag auf der Erde.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare