Monumentale Aufarbeitung: Die Pavillons der Biennale Venedig
Die Inklusion verschiedenster Volksgruppen und der Ausgleich von Ungerechtigkeiten wird großgeschrieben
Wer darf mitspielen am symbolischen Feld der Kunst, wer hat eine Stimme im Konzert, das sich rühmt, den Ton der Zeit anzugeben? Auf der Biennale Venedig ist diese Frage seit jeher politisiert, wenngleich das System, in dem Länderbeiträge um einen Goldenen Löwen rittern, rituell hinterfragt wird. Der Krieg macht die Nationenfrage nun wieder aktuell – Russlands Pavillon ist geschlossen, für die Ukraine wurde in den Giardini eine „Piazza“ eingerichtet: Ein Turm aus Sandsäcken erinnert an Denkmäler, die vor Beschuss geschützt werden.
Der „Bewerb“, der sich ein wenig schämt, einer zu sein, misst sich inzwischen daran, wie gut es gelingt, unterrepräsentierte Stimmen einzubinden und historische Ungerechtigkeiten aufzuarbeiten.
Die Gefahr dabei ist, dass das Bußritual die ästhetische Wirkung erschlägt – so etwa im deutschen Pavillon. Maria Eichhorn ließ dort archäologische Grabungen durchführen, um die Geschichte des Hauses, das von den Nazis zum Protztempel erweitert worden war, freizulegen.
Verkleidete Pavillons
Die US-Repräsentanz, die von der afroamerikanischen Bildhauerin Simone Leigh bespielt wird, geht gefälliger, aber nicht minder plakativ vor: Leigh gab dem neoklassischen Pavillon (aus 1930) mit Holzsäulen und Strohdach eine afrikanische Anmutung, die wiederum auf eine Kolonial-Ausstellung von 1931 Bezug nimmt. Diese Wiederaneignung wirkt befremdlich, zumal auch Leighs Skulpturen die Formsprache des „Primitivismus“ der frühen Moderne monumental aufleben lassen. Doch es ist eben ein Unterschied, wer spricht: Leigh wurde – nicht für den Pavillon, sondern für ihr Werk in der Hauptausstellung – mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Die Auszeichnung für den besten Länderbeitrag ging an Großbritannien: Sonia Boyce nahm dafür vier Sängerinnen bei Performances auf. Die resultierenden Videos, mit Exponaten zur afro-britischen Popgeschichte kombiniert, vermitteln kulturelle Annäherung und Vielschichtigkeit, wirken aber betulich.
Natürlich gibt es viele Beiträge ohne Bezug zur Gegenwart oder Geschichte. Der in Wien lebende Michail Michailov zum Beispiel zeichnete akribisch vergrößerte Fusel auf weiße „Möbel“, die sehr gut zum Raum (dem bulgarischen Pavillon nahe der Rialtobrücke) und dessen Einrichtung passen.
Am stärksten sind aber jene Beiträge, in denen sich konzeptuelle Tiefe und sinnliche Ausführung die Waage halten: Etwa der polnische Pavillon, den Małgorzata Mirga-Tas in ein monumentales Bildprogramm hüllte. Ausgangsmaterial sind Frührenaissance-Fresken im Palazzo Schifanoia von Ferrara – bei Mirga-Tas werden sie zum anspielungsreichen Monument der Roma-Kultur, genäht aus Second-Hand-Textilien.
Recycling-Gedanken leiteten auch Latifa Echakhch an, die den Schweizer Pavillon gestaltete: Die Künstlerin fackelte Holz ab, das bei früheren Biennalen verwendet wurde. Im Inneren des Pavillons stehen nun Holzskulpturen, die in oranges Stroboskop-Licht getaucht werden – es sieht aus, als würde alles brennen. Auch wenn es vielleicht nicht so intendiert war, liest man das Werk als Kommentar zum Krieg, zumal die Schweiz in den Giardini gleich neben dem bewachten russischen Pavillon steht.
Belgien, das seinerseits viel Kolonialgeschichte aufzuarbeiten hat, setzt in seinem Beitrag ebenfalls auf den indirekten, nämlich poetischen Weg: Der Pavillon zeigt Gemälde und Kurzfilme des in Mexiko lebenden Künstlers Francis Alÿs, der seit 1999 (unter anderem) Kinder in aller Welt beim Spielen beobachtet. Die Botschaft der dabei gesammelten Bilder ist ebenso simpel wie einleuchtend: Es gibt unter Menschen mannigfache Unterschiede, aber auch Verhaltensweisen und Regeln, die unabhängig von Ort und Zeit gelten. Und vielleicht machen uns diese ja tatsächlich zu so etwas wie einer Gemeinschaft.
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