Friends talking on bench

Der Sitz der Gefühle: Wieso immer häufiger auf Parkbänken therapiert wird

In England gibt es künftig sogenannte Friendship Benches. Das Konzept dahinter kommt aus Afrika. Therapie im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, ist auch für Österreich relevant.

Parkbänke haben stets etwas Einladendes. Im Kontrast zu den konsum-orientierten Angeboten des öffentlichen Raums, in denen der Sitzplatz mit Preis und Leistung verbunden ist, wird man hier bedingungslos eingeladen, zu verweilen, Kräfte zu sammeln, Energie zu tanken.

Im südenglischen Sussex wird auf sogenannten „Friendship Benches“ künftig etwas mehr geboten: Personen, die unter Depressionen oder Ängsten leiden, erhalten hier niederschwellig Hilfe. Sogenannte „Großmütter“ oder „Großväter“ stehen Betroffenen kostenlos als Gesprächspartner zur Verfügung. In einer ersten Projektphase werden laut Guardian zehn Laienarbeiter für sechs bis acht wöchentliche Stunden im Einsatz sein. 

Die Vision

Das Projekt ist zwar eine Premiere in Großbritannien, aber keine weltweite Neuheit. Nach dem Tod einer früheren Patientin, ging der afrikanische Psychiater Dixon Chibanda vor rund 20 Jahren in sich. 

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Dixon Chibanda hat das Konzept der Friendship Benches begründet.

©APA/AFP/JEKESAI NJIKIZANA

Wie konnte er Menschen in der Krise helfen? Menschen, die vielleicht nicht genug Geld hatten, um zu ihm die Hauptstadt nach Harare zu kommen. Und er erkannte: Eine der zuverlässigsten Ressourcen in afrikanischen Communities, waren Großmütter. Er dachte weiter: Was wäre, wenn ich Großmütter in evidenzbasierter Gesprächstherapie ausbilde, sie im Zuhören und der Empathie schule, sodass sie unkompliziert auf einer Bank helfen könnten? 2006 begann er mit der ersten Gruppe an Großmüttern; mittlerweile gibt es nicht nur Hunderte von ihnen in Zimambwe, sondern Dutzende „Freundschaftsbänke“ weltweit: Das Prinzip hat sich in den USA, Sansibar, Jordanien oder auch Vietnam etabliert. Nun kommt es nach Europa.

Das Plauderbankerl der Caritas in Action
©Caritas Wien

Auch wenn eine Ausweitung nach Österreich derzeit nicht geplant ist, freut sich Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, dass ein solches Projekt von Afrika in den Westen kommt: „Wir wären gut beraten, wenn wir hin und wieder ein wenig auch zu anderen Ländern hinsehen würden“, ergänzt sie. „In der afrikanischen Kultur hat das Gemeinschaftsgefühl einen höheren Stellenwert als in unserer westlich-modernen Gesellschaft, in der es vorrangig um Leistung geht. Aber wir sind soziale Wesen, die Interaktion ist unser Lebensexilier.“ 

Bankerl gegen die Einsamkeit

Das hat auch die Wiener Caritas erkannt und 2022 sogenannte „Plauderbankerl“ eingerichtet. Vor Pfarren, oder auf Friedhöfen kann man sich dort ungezwungen unterhalten. Manche Bankerl werden gezielt von Freiwilligen besucht. 

„Die Plauderbankerl übernehmen quasi die Aufgabe, die früher die Greißler hatten“, sagt Robert Brescanovic, zuständiger Regionalbetreuer der PfarrCaritas, und erläutert das Konzept an einem Beispiel: „Meine Mutter arbeitet im Weinviertel in einer Greißlerei. Die Kunden kommen nicht nur zum Einkaufen, sondern auch, um zu reden. Supermärkte haben solche Greißler aber weitgehend ersetzt. Als Caritas haben wir uns gefragt, wo können diese alltäglichen Gespräche stattfinden, die den Menschen häufig fehlen?“ 

Künftig, hofft die Caritas, vielleicht beim Plauderbankerl. 160 Plaketten wurden in den vergangenen Jahren jedenfalls ausgesandt.  

Die Plauderbank der Caritas

Auf den Plaketten der Plauderbankerl findet man auch die Nummer des Plaudernetzes - sollte man auf der Bank niemanden antreffen.

©Caritas Wien

Das Caritas-Projekt richtet sich dabei bewusst nicht an Menschen in akuten Krisen. Und auch Haid betont: Die Laientherapeuten auf den Freundschaftsbänken können keine klassische Psychotherapie ersetzen

Und doch sie leisten sie wichtige Aufklärungsarbeit. Denn eine „Therapiebank“ im öffentlichen Raum habe einen wichtigen Symbolcharakter. Sie zeige, dass man sich mit seinen Problemen nicht im stillen Kämmerlein verstecken müsse. Zwar sinke die Hemmschwelle, in Österreich einen Psychotherapeuten, eine Therapeutin aufzusuchen, stetig – auch dank der Aufklärungskampagnen des ÖBVP – dennoch würden viele Menschen den Weg in die Praxis zu spät finden.

Bei den Jungen ansetzen

Um das zu ändern, möchte Haid bei der jungen Generation ansetzen. „Ich wünsche mir eine Psychotherapeutin in jeder Schule.“ Die gesamte Gesellschaft kämpfe zunehmend mit mentalen Belastungen, doch bei Kindern und Jugendlichen sei die Situation besonders dramatisch. Hier könnten Maßnahmen besonders schnell Früchte tragen.

Eine Schulpsychotherapeutin habe Haid unlängst von einem berührenden Austausch berichtet. Ein kleiner Bub sagte zu ihr: „Mei, ich bin so froh, dass du da bist. Wenn der Wasserhahn tropft, geh ich zum Schulwart. Wenn der Kopf verstopft ist, dann geh ich zu dir.“

Und damit bringt er das Ziel der verschiedenen Angebote – von der Psychotherapie bis zu den Friendship Benches – auf den Punkt: Wissen, an wen man sich wenden kann, wenn der Kopf verstopft ist.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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