Von wegen Hausmütterchen: Ein Blick hinter die Fassade von Martha Stewart
Die schier perfekte Hausfrau Martha Stewart zeigt sich in einer neuen Netflix-Doku als toughe Geschäftsfrau, die Gefühlsduseleien nicht interessieren.
Martha Stewart ist "schockiert". Eine neue Netflix-Dokumentation beleuchtet den Werdegang der Medien-Legende mit vielen Interviews und Briefen von Stewart. Die unangefochtene US-Autorität in Geschmacksfragen und Haushaltsführung sieht sich zum Teil auf unvorteilhafte Weise porträtiert. Die zweite Hälfte sei langweilig und viele ihrer interessantesten Anekdoten seien dem Schnitt zum Opfer gefallen.
"Ich hasse die letzten Szenen, sie sind richtig schrecklich", so die erste Self-Made-Milliardärin der Welt. "Ich sehe aus wie eine einsame alte Frau, die gebückt in ihrem Garten herumwandert", unkt die 83-Jährige im Gespräch mit der New York Times.
Ihre Zeit im Gefängnis sei viel zu detailliert und dramatisch dargestellt, es sei eigentlich ein "Urlaub" für sie gewesen. Die Tagebucheintragungen von damals, die in der Doku veröffentlicht wurden, sagen etwas anderes.
Der Regisseur will nicht auf Details der Kritik eingehen. Er schätze ihre Courage und sagt dazu: "Es überrascht mich nicht, dass es hart für sie ist, einige Aspekte anzuerkennen."
Märchenhafte Karriere
Die Do-it-yourself-Königin hätte den Film wohl am liebsten selbst gemacht, wenn sie könnte. Und sie kann vieles. Erst Model, dann erfolgreiche Börsenmaklerin – bis ihr der Job zu langweilig wird. Sie zieht mit ihrem schier perfekten Mann in einen Vorort von New York, renoviert eine Villa eigenhändig, gestaltet den Garten und übt sich im Gastgeben und Kochen. Bald entsteht eine Catering-Firma für die Schönen und Reichen.
Stewart schreibt ihr erstes Buch "Gastgeben", ein fulminanter Hit. Es folgen Bücher, ihr eigenes Magazin, TV-Shows, Haushaltsprodukte für einen Supermarkt und viele Millionen Dollar.
Der Name Martha Stewart wird zum Inbegriff der perfekten Hausfrau, die vom Bilderrahmen streichen bis zum Blumen stecken alles beherrscht. Sie gilt als kontrolliert und unfehlbar. Ihren Ehrgeiz und Tatendrang setzt sie auch von ihrer Umgebung voraus.
Ihr Mann geht fremd
Nur dass ihr Mann fremd geht - unter anderem mit ihrer Assistentin – und er sich nach 27 Jahren Ehe scheiden lässt, passt nicht in das märchenhafte Leben. "Martha macht keine Fehler. Es war das erste Mal, dass sie etwas nicht lösen oder kontrollieren konnte", analysiert eine Publizistin in der Netflix-Produktion.
Fast als Retourkutsche für ihre Verletzungen erzählt Stewart in der Doku nun erstmals, dass sie schon in den Flitterwochen einen Fremden in Italien geküsst hat. "Ich bin keine, die in Selbstmitleid verfällt", so ihr trockenes Fazit zur Scheidung.
Über Gefühle zu reden, das war und ist ihr fremd. "Es interessiert mich einfach wenig. Ich frage nicht: 'Wie fühlst du dich jetzt gerade?'. Es interessiert mich viel mehr, was jemand macht, über was er nachdenkt, was er erreichen will. In diesen Dingen bin ich am besten"
Fünf Monate Gefängnis
Geheiratet hat sie nie wieder, 15 Jahre ist sie danach mit dem Tech-Milliardär Charles Simonyi verbandelt. Bis er im gemeinsamen Bett erklärt, dass er eine andere heiraten wird. Just in einer Zeit, in der der Ruf der TV-Heiligen im Wanken ist. Fünf Monate Haft hat sie zu verbüßen, weil sie Insiderinfos bezüglich Aktien hat. Ein Schauprozess mit extrem harter Strafe, wie viele meinen. Stewart verliert nicht nur ihr Sauberfrau-Image, sondern auch ihr Unternehmen und mehr als eine Milliarde Dollar.
Comeback
Doch sie schafft den Weg zurück ins Rampenlicht, ihre unzähligen Fans bleiben ihr treu und ihr Stolz und ihre Härte lassen sie weitermachen.
Mit ihrem Comeback hat auch Rapper und Kumpel Snoop Dogg zu tun. Die beiden lernen sich in einer TV-Show kennen, die Chemie stimmt auf Anhieb. 2016 startet das ungleiche Duo eine Koch- und Unterhaltungsshow und Martha zeigt sich erstmals viel frecher und tougher als zu ihren Anfängen.
Eine Million Dollar bekommt sie angeblich für die erste Staffel, ein Minimalbetrag im Vergleich zu dem, was die Geschäftsfrau früher verdient hat. Aber die Rehabilitation als TV-Star gelingt. 2021 berichtet das Wirtschaftsmagazin Forbes, dass Stewarts Marken 850 Millionen Euro Umsatz im Jahr machen.
An Ruhestand denkt sie nicht, die erste Influencerin der Welt ist heute auf Instagram und TikTok unterwegs. Auf ihrem 62-Hektar-Luxus-Anwesen nahe Bedford bei New York zeigt sie jeden Tag stolz ihre prächtigen Hortensien und neu gepflanzten Bäume. Mehr als 1.000 Stück hat sie eigenhändig gesetzt. Ihre vielen Arbeiter werden bei täglichen Rundfahrten mit einem Golfwagen kontrolliert.
Erstes Restaurant mit 80
In Las Vegas eröffnet sie mit 80 Jahren auch ihr erstes Restaurant. Die Grillhendl-Vorspeise kommt im "Bedford" auf stolze 90 Euro.
Und es geht weiter. Jetzt, mit 83, bringt sie ihr 100. Buch heraus – mit ihren 100 Lieblingsrezepten. Vom legendären Eintopf bis zu den "besten Keksen der Welt". Mit jedem Projekt zeigt Martha Stewart, dass sie mit aller Kraft eine umtriebige Macherin sein will, nicht eine "einsame alte Frau, die gebückt in ihrem Garten herumwandert".
Kommentare