Das Comeback des Purismus: Jil Sander und die Magie ihrer Marke

Jil Sander steht für leisen Luxus wie keine andere Modemacherin. Ein neues Buch gibt Einblicke in die Karriere des Ausnahmetalents.

Die Tage als Gesicht eigener Parfumkampagnen liegen hinter ihr, heute zeigt sie sich nur noch selten in der Öffentlichkeit. Jil Sander hat sich schon lange zurückgezogen, ihr Unternehmen ist längst verkauft.

Ein neues Buch (Jil Sander by Jil Sander, 103 Euro, Prestel Verlag) zeigt nun die exklusive Werkschau der deutschen Modemacherin. Für die Sammlung hat sie ihre Archive geöffnet und gibt erstmals einen umfassenden Einblick in ihre Karriere als Designerin und Unternehmerin – vom naiven Startschuss bis hin zu den Höhepunkten der 1990er-Jahre, als ihr Name zu einem der begehrtesten in der gesamten Modewelt wurde.

Ihrer Zeit voraus

Ihr Werdegang liest sich zunächst wie eine Blaupause zur Selfmade-Millionärin, sie selbst war und ist von der Aufbruchstimmung der 60er-Jahre geprägt, wie sie im Buch erklärt. Die geborene Heidemarie Jiline Sander hatte sich zur Textilingenieurin ausbilden lassen, erst durch einen längeren Studien-Aufenthalt in Los Angeles entdeckt sie ihre Leidenschaft zur Mode. 

Als es noch um schrille Üppigkeit ging, ist Jil Sander bereits angetan von reduzierter architektonischer Kleidung und damit ihrer Zeit voraus.

Ihr Shop wird zum Kult

Mit dem Verkauf ihres VW Käfers finanziert sie kurzerhand die Eröffnung ihrer ersten Boutique in Hamburg, die schnell zum Kulttempel für Avantgarde-Liebhaber avanciert. 1973 präsentiert sie ihre Erstlingskollektion, die lässige Eleganz ist ein Gegenpol zur überladenen Modewelt. Vor allem ihre bequemen und präzise geschnittenen Hosenanzüge werden gefeiert. In ihren Entwürfen denkt sie die Bewegung immer mit. 

Zusammen mit Größen wie Calvin Klein und Helmut Lang kündigte Sander die Ära des neuen Purismus an, die Qualität und Understatement zum Nonplusultra erhob. Suzy Menkes, eine der berühmtesten Modekritikerinnen, brachte ihren Durchbruch auf den Punkt: "Jil Sander wusste instinktiv, was moderne Frauen wollen, weil sie selbst eine ist."

Jil Sander vor ihrem Shop in der Milchstraße

©Jochen Blume/ullstein bild via Getty Images

Millionen macht ihre Firma in den Achtzigerjahren auch bald mit Parfums, für die die Blondine mit blauen Augen selbst als Model auf Plakaten wirbt. In den Neunzigern nimmt der Erfolg Fahrt auf, man sehnt sich nach androgyner, puritanischer Mode und Sander liefert. Sie lässt sich immer stärker von japanischer Kunst und Kultur inspirieren und eröffnet Shops in Tokio und Taipeh, daneben gibt es auch Geschäfte in Paris und ihr Unternehmen geht an die Börse.

Markenzeichen

Sander wird zum deutschen Wunderkind, nur Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop sind im Modebereich heute so bekannt wie die Hanseatin. Anders als ihre männlichen Landsmänner wollte sie aber mit Reduktion punkten. "Ein Kleidungsstück ist perfekt, wenn man nichts mehr weglassen kann", lautet eine ihrer Aussagen.

Ihre Markenzeichen: weiße Blusen, beige Trenchcoats, ungefütterte schwarze Blazer – stets aus edelsten Stoffen wie Seide, Kaschmir und Makobaumwolle. "Sander ist hot, Armani not", schallt es während der Mailänder Mode Woche, in der sie die Massen mit ihrer Kollektion in den Bann zieht. Bescheiden erklärt sie über ihren Erfolg von damals: "Auf eine Weise, die mir nicht ganz klar ist, scheine ich das Vertrauen der Menschen gewonnen zu haben."

Fotos aus dem Buch "Jil Sander by Jil Sander"

Jil Sander 1991

©Peter Lindbergh Foundation

Entwurf für Uniqulo 2010

©Greg Harris

Amber Valletta für Jil Sander 1994

©Peter Lindbergh Foundation

Verkauft ihr Unternehmen und ihren Namen

Am Zenit ihres Erfolgs im Jahr 1999 verkauft Jil Sander einen Großteil ihrer Firma an den Prada Konzern um kolportierte 275 Millionen DM. Danach lässt sie sich noch zwei Mal hinreißen, als Designerin ihrer eigenen Marke zurückzukehren, kündigt die Zusammenarbeit aber immer nach kurzer Zeit.

Aus privaten Gründen

Das letzte Mal - 2012 - aus privaten Gründen. Sanders Lebensgefährtin ist erneut an Brustkrebs erkrankt. 30 Jahre lang sind sie und Angelica Mommsen ein Paar und leben abgeschieden am Plöner See in Schleswig-Holstein. 

Für die Liebe hat Sander der Modewelt also ein für alle Mal den Rücken gekehrt. 2014 verstirbt Mommsen. Viel ist seither nicht bekannt über Sander und ihren Alltag. Zurückgezogen feiert sie 2023 ihren 80. Geburtstag. "Diesen Geburtstag vergesse ich ganz gerne und gehe auf Reisen", erklärte sie zum Jubiläum.

2013

©Tullio M. Puglia/Getty Images

Marke Jil Sander wieder gefragter

Mehrere hundert Millionen Euro soll die diskrete Businessfrau noch immer schwer sein, lebt in Hamburg, Plön, Berlin, Ibiza und Gstaad. Ihre Modelinie galt für einige Jahre nicht mehr am Puls der Zeit und wurde irrelevant im schnelllebigen Modezirkus. 

Jetzt aber haben die Chefdesigner Lucie und Luke Meier das Label wiederbelebt. Die neuesten Kollektionen, geprägt vom Geist Sanders, ernten hochverdientes Lob. Das Erbe der Ikone, ihr Streben nach leisem Luxus, erlebt ein Comeback - und könnte die goldene Ära der 90er wieder aufleben lassen.

Die neuen Kollektionen von Jil Sander von Luke und Lucie Meier

Winter 2020

©APA/AFP/ANDREAS SOLARO

Spring/Summer 2022

©APA/AFP/MIGUEL MEDINA

Spring/Summer 2023

©APA/AFP/MIGUEL MEDINA

Spring Summer 2025

©REUTERS/Alessandro Garofalo

Lucie und Luke Meier

©APA/AFP/MIGUEL MEDINA
Christina Michlits

Über Christina Michlits

Hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Nach Kennenlernen des Redaktionsalltags bei Profil und IQ Style, ging es unter anderem zu Volume und dem BKF. Seit 2010 bei KURIER für die Ressorts Lebensart und Freizeit tätig. Schwerpunkte: Mode, Design und Lifestyle-Trends.

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